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Heiberg, Johan L.
Geschichte der Mathematik und Naturwissenschaften im Altertum — München, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.23924#0061
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II. Astronomie

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bahn erklärten sie durch die lange festgehaltene Annahme, daß die Sonne
wie die übrigen Planeten sich von Westen nach .Osten bewege, die Fix-
sternsphäre dagegen von Osten nach Westen.1 Ein späterer Pythagoreer,
Ekphantos, und ein ebenso unbekannter Mitschüler Hiketas lehrten sogar
die Achsendrehung der Erde.2 Noch im 5. Jahrh. v. Chr. hatte Oinopides
von Chios Kenntnis des Tierkreises und der Neigung der Ekliptik sowie
des „großen Jahres", d. h. der Periode, nach deren Ablauf alle astrono-
mischen Erscheinungen sich wiederholen; er setzte sie zu 59 Jahren an
und stellte in Olympia eine Bronzetafel auf mit dieser Angabe.3 Nach
Eudemos hatte er die Konstruktionen Euklids Elem. I 12 (Errichtung einer
Senkrechten) und 23 (Konstruktion eines Winkels an einem gegebenen
Punkt einer Geraden) angegeben, weil er sie für seine astronomischen
Untersuchungen nötig hatte,4 und im pseudoplatonischen Dialog 'EgaoTal
(132 a—b) treffen wir zwei junge Leute Kreise zeichnend und ihre Nei-
gungen mit den Händen nachahmend, indem sie über einen Satz des
Anaxagoras oder des Oinopides streiten. Oinopides wird also als in Athen
bekannt betrachtet, wohin sein etwas älterer5 Zeitgenosse Anaxagoras
die Ergebnisse der ionischen Astronomie gebracht hatte. Bekanntlich er-
regten seine Äußerungen über Sonne und Mond, die er als einen uvögog
dtdjTvoog und eine Erde bezeichnete, bei der altgläubigen Reaktion gegen
Perikles ein so peinliches Aufsehen, daß er die Stadt verlassen mußte,
um einer Anklage äoeßelag zu entgehen.6

2. Festen Fuß in Athen gewann die Astronomie erst durch Piaton, der,
seitdem er sich in reiferen Jahren unter pythagoreischem Einfluß diesen
Fragen zugewandt, nicht aufgehört hat sich damit zu beschäftigen.7 Das
phantastische WTeltbild seines „Phaidons" setzt die im Zentrum des Himmel-
raums ruhende Erdkugel voraus (108e—109a); im „Timaios" (38 d ff.)
spricht er von der Eigenbewegung der Planeten als der des Fixstern-
himmels entgegengesetzt, so daß ihre Bahn ein eht; werde; das im ein-
zelnen auszuführen würde zu weitläufig werden und wird auf später ver-
schoben, wenn einmal Muße dafür vorhanden. Die Erde nennt er (40b)
illo/n£v)]v jieql zbv öiä ndvxog ttoXov lezauhov, und diese Worte (deren Über-
lieferung übrigens schwankt) verstand Aristoteles von der Achsendrehung
(De caelo II 293b), aber seine Deutung ist seit dem Altertum8 bestritten;
es ist jedoch zu bemerken, daß eine (freilich etwas dunkle) Stelle der
No/noi (VII 821b—822 c) kaum anders verstanden werden kann denn als
eine feierliche Verkündigung der Bekehrung zur Annahme der Achsen-
drehung der Erde.9 Ferner haben wir das unverwerfliche Zeugnis Theo-
phrasts10 dafür, daß Piaton in seinem Alter es bereut habe, daß er früher

1 Diels, Doxogr. S. 345. 6 Diels, Fragm. d.Yorsokr.3 I S. 375 ff.;

2 Diels. Fragm. d.Yorsokr.3 I S. 3-10. Piaton, Apol. 26d.

3 Diels, Doxogr. S. 341, 363; Theon 7 Const. Ritter, Piatons Stellung zu
Smyrn. S. 198; Censorinus 19, 2. Die ägyp- den Aufgaben d. Naturwissenschaft, Heid,
tischen Priester behaupteten, er habe seine Ak. Sbb. 1919. Th. Henri Martin, Etudes
Kenntnisse von ihnen (Diodor I 98,3), und sur le Timee de Piaton. I—II, Paris 1841.
für „das große Jahr" wird das richtig 8 Simplikios in Aristot. de caelo S.517 ff.
sein. — Die Tafel in Olympia Aelian, Yar. 9 Schiaparelli. I precursori di Coper-
hist. X 7. nico nell7 antichitä, Milano 1873.

4 Proklos in Euch 8.283.333. 10 Diels, Doxograptii S. 494.

5 Ebd. S. 66.
 
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