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Heiberg, Johan L.
Geschichte der Mathematik und Naturwissenschaften im Altertum — München, 1925

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https://doi.org/10.11588/diglit.23924#0060
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•50 Gescl) ich.te der Mathematik und Naturwissenschaften

IL Astronomie

Die enge Verbindung, die von Anfang an zwischen Astronomie und
Mathematik bestanden hatte, fast wie zwischen Mutter und Tochter, hielt
sich trotz der selbständigen und weit aasgreifenden Entwicklung der
Tochterwissenschaft das ganze Altertum hindurch; alle bedeutende Mathe-
matiker haben auch über Astronomisches geschrieben. Neben der mathe-
matischen Behandlung der Astronomie ging von jeher die Sternenbeobach-
tung, die teils an die früh aufgekommenen Sternbilder und Sternsagen
anknüpfte, teils für das Kalender wesen von praktischer Bedeutung war,
aber mit dem Fortschritt der Theorie nach und nach einen wissenschaft-
lichen Charakter annahm.

Ueber Geschichte der antiken Astronomie ist neben den älteren Werken von Schau-
bach (Geschichte der griechischen Astronomie bis auf Eratosthenes, Göttingen 1802)
und Delambre (Histoire de l'astronomie ancienne I—II, Paris 1817) als Hauptwerk
zu nennen: P. Tannery, Pecherches sur l'historie de l'astronomie ancienne, Paris
1893. Von der Geschichte der Astronomie des Eudemos ist leider viel weniger er-
halten als von seinem entsprechenden Werk über die Mathematik (Spengel, Fragm.
94—98). Noch immer nützli6h: Petavii Uranologion I—II, Paris 1630.

1. Das homerische Weltbild, die flache auf dem Okeanos schwimmende
Erde von der Himmelsgiocke überwölbt, hat Anaximandros für immer
zerstört durch die Annahme einer die Atmosphäre wie eine Baumrinde
umschließenden Himmelskugel, in deren Mitte die tamburinförmige Erde
frei schwebe. Die Himmelskörper dachte er sich als hohle Wagenräder,
gefüllt mit Feuer, das durch Löcher der Umschließung sichtbar sei. Diese
Mischung von genialer Intuition und kindlichen Analogien ist gerade für
die junge überkühne ionische Wissenschaft charakteristisch; aber jeden-
falls hat Anaximandros durch sein neues Weltbild einer rationellen Er-
klärung der Bewegungen der Himmelskörper eine vorläufig genügende
Bahn geöffnet. Er hatte seine H}^pothese durch einen Himmelsglobus ver-
anschaulicht. 1

Einen gewaltigen Schritt weiter taten die Pythagoreer mit der An-
nahme der Kugelgestalt der im Zentrum der Welt schwebenden Erde und
der Himmelskörper überhaupt,2 und innerhalb der pythagoreischen Schule
wurden bald weitere Fortschritte gemacht; Philolaos gab die für die
immittelbare Anschauung allein natürliche Vorstellung von der Erde als
Weltmittelpunkt auf und setzte an ihre Stelle ein Zentralfeuer an, worum
die Erde und alle Himmelskörper sich drehten.3 Der Bedeutung dieser
Hypothesen tut es keinen Eintrag, daß sie wahrscheinlich auf apriorische,
halb mystische Theorien beruhen von der Vollkommenheit der Kugel und
der Würde des Feuers; um die heilige Zahl 10 voll zu bekommen erfand
Philolaos eine Gegenerde (ävzi/ßcov), die sich zwischen Zentralfeuer und
Erde drehen sollte und auch zur Erklärung der Häufigkeit der Mond-
finsternisse dienen sollte.4 Uber deren Ursache waren die Pythagoreer im
klaren nach dem Vorgang des Anaximenes,5 und die jährliche Sonnen-

1 Diels, Doxogr. S. 579, 348. 355. Diog.
Laert. II 2.

2 Diog. Laert. VIII 25, 48. Th. Henri
Martin, Bullettino Boncompagni V, 1872.

3 Diels, Doxogr. S. 378.

4 Ebd. S.377; Aristoteles, De caelo II 13.

5 Theon Smyrn. ed. Hiller S. 198 nach
Eudemos.
 
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