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Heidelberger Familienblätter — 1878

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No. 10 - No. 17 (2. Februar - 27. Februar)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43708#0046

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ſpielte.
Keiner von beiden ſchien das erſte Wort ſprechen zu



fühlte Hildegard, die Blicke aller Anweſenden auf ſich
zog. „Würden Sie mir geſtatten, Ihnen noch einen
Beſuch zu machen, ehe ich meine neue Stellung über-
nehme?“ ö
Es waren nicht die Worte, es war der Ton und
die Art und Weiſe des jungen Mannes, die dieſe allge-
meine Phraſe wichtig machte. Hildegard verſtand voll-
kommen, was von ihrer Antwort abhing. Sie betäubte
die ſchüchterne Stimme, die in ihrem Herzen ein warnen-
des „Halt!“ rief; ſich hoch aufrichtend, reichte ſie dem
jungen Manne die Hand und ſagte mit feſter, klarer
Stimme: „Ich werde mich ſtets freuen, Sie zu ſehen!“
Herr Erbach verneigte ſich tief und trat zurück,
ſtolzen Triumph in den Mienen. Er ſah nicht, daß Hu-
bert's Wangen erblichen und der eben noch leuchtende
Blick ſeiner Augen erloſchen war.
„Hildegard, wir müſſen fort!“ ſagte Frau von
Reichenau tonlos. „Es iſt die höchſte Zeit!“

Die Mutter.

Wieder ſaß die Juſtizräthin am Fenſter ihrer Stube
und blickte auf das Gewimmel des Marktplatzes hinaus
und wieder verfolgte ihr Blick die Geſtalt eines Mannes,
der auf ihr Haus zuſchritt. Aber dieſes Mal war es
nicht Hubert, den ſie ſah, ſondern ein ältlicher Herr mit
grauem Haar und Bart.
Vbittich!“ murmelte die Dame. „Er hat ſich lange
nicht bei mir ſehen laſſen! Was mag ihn herführen?“
Ein leiſes Klopfen an der Thüre verkündete, daß
der Gaſt die Treppe bereits erſtiegen hatte. Der alte
Herr trat ein.
Die Atmoſphäre des Zimmers ſchien ihm die Luft
ein wenig zu verſetzen, er blieb wie unſicher an der
Thüre ſtehen, warf einen forſchenden, faſt ängſtlichen Blick
um ſich und ſagte endlich unentſchloſſen: ö
„Störe ich nicht, Frau Gevatterin?“
„Wie ſollten Sie, lieber Freund?“ fragte die Juſtiz-
räthin, ihm die Hand reichend, die er mit altmodiſcher
Galanterie an ſeine Lippen drückte. „Iſt es doch ſo
wie ſo ſchon lange her, ſeit wir das letzte vertrauliche
Geſpräch mit einander hatten!“
„Es war keine beſondere Veranlaſſung dazu da,“
verſetzte er, nachdem er Platz genommen hatte. „In
früherer Zeit hatten wir manche Conferenz, Frau Ge-
vatterin!“ ö
„Manche!“ ſagte die Dame mit leiſem Seufzer.
Es trat eine Pauſe ein. Der alte Herr zog ein
goldenes Lorgnon heraus, mit deſſen ſchwarzem Bande
Frau von Reichenau ſah ihn erwartend an.

wollen. **
ö „Ich hoffe, liebwertheſte Frau Gevatterin, Sie haben
meinen Rath immer als einen befunden, der aus treuem
Herxzen kam!“ brach der alte Herr endlich das allgemach
drückende Schweigen. *

„Stets!“ ſagte die Juſtizräthin warm. „Und wollte
Gott, ich haͤtte ihn öfter befolgt!“ fügte ſie leiſe hinzu.
„Dann wäre mir Manches erſpart geblieben.“
Das verlegene Geſicht des alten Herrn leuchtete
auf und mit mehr Sicherheit, als er bisher gezeigt hatte,
verſetzte er:
„Dieſe freundlichen Worte geben mir den Muth,
zu ſprechen! Was mich herführt, iſt die Sorge um un-
ſere Hildegard!ꝰ
„Iſt etwas geſchehen?“ rief die Mutter auffahrend.
„Nichts, nichts!“ beruhigte der alte Freund. „Nur
— ich bitte im Voraus um Verzeihung, wenn ich ver-
letzen ſollte — ich glaube in Bezug auf unſere Hildegard

gefalteten Hände aufgeſtützt hatte:

38 —

eine Entdeckung gemacht zu haben, die — die ihre Mutter
wiſſen Zur S0 —
„Zur Sache, wenn ich bitten darf!“ drängte die
Juſtizräthin.
Onkel Wittich warf einen faſt hilfeflehenden Blick
auf die Dame, aber ihre Augen blieben geſenkt und der
ſtolze Ausdruck ihrer Züge veränderte ſich nicht.
„Ich glaube, bemerkt zu haben, daß das Herz un-
ſerer Hildegard nicht mehr frei iſt!“ ſagte er endlich,
ſeinen ganzen Muth zuſammenraffend.
Eine jähe Röthe überflog die blaſſen Wangen der
geman“ ſie erwiderte: „Ich habe dieſelbe Bemerkung
gemacht.
„Vermuthlich in Bezug auf dieſelbe Perſönlichkeit!“
bemerkte der alte Herr ſchüchtern.
„Vermuthlich!“
Wieder trat eine jener Pauſen ein, die dann zu
entſtehen pflegen, wenn beide Theile daſſelbe denken und
entſchloſſen ſind, nicht das erſte Wort zu ſprechen. End-

lich ſagte der Vormund:

. nd was gedenken Sie zu thun?“
„Nichts!“ erwiderte die Mutter.
„Nichts?“ wiederholte der alte Herr bekümmert.
„Ich muß geſtehen, daß ich für unſere Hildegard andere
Hoffnungen hegte!“
„Ich auch!“ ſagte die Mutter tonlos.
Wieder ſpielte Onkel Wittich mit der goldenen Lorg-
neite. „Ich glaubte — ich dachte — ich bildete mir ein,
unſere Hildegard ſei Herrn von Nordeck nicht gleich-
giltig!“ ſagte er ſchüchtern.
Frau von Reichenau ſtand auf und ging einige
Mal im Zimmer auf und ab. Dann, als wolle ſie
nicht, daß die Bewegung geſehen werde, die in ihren
ſtolzen Zügen arbeitete, ſagte ſie, hinter dem Stuhl des
alten Mannes ſtehen bleibend, auf deſſen Lehne ſie ihre

„Als ich in jener Nacht, von der wir Beide wiſſen,
von dem Lager aufſtand, auf dem er ſeinen letzten Athem-
zug ausgehaucht hatte, glaubte ich mit allen Träumen
dieſes Lebens fertig zu ſein. Wie viele ich begraben
habe, weiß Niemand beſſer, als Sie, mein Freund! Jetzt
ſehe ich, daß das arme Menſchenherz nicht zur Ruhe
kommt, bevor es ſeinen letzten Schlag gethan. Was Sie
mir da ſagen, war der heiße Wunſch meiner Tage, der
ſtille Traum meiner Nächte. Es ſoll nicht ſein — laſſen
wir das!“ ö
Ihre Hände bebten ſo krampfhaft, daß der alte
Mann die Erſchütterung fühlte. „Liebe Eleonore!“ rief
er aufſpringend und alle Steifheit und Befangenheit war
verſchwunden. „Noch iſt nichts verloren, noch iſt kein
entſcheidendes Wort geſprochen. Wäre es geſchehen, ich
haͤtte wahrlich nicht gewagt, mit meinen Bemerkungen
hier einzudringen! Aber ieht ſo lange es noch Zeit iſt,
jetzt reben Sie noch. Hildegard iſt ſo jung, iſt weich,
ſie iſt Ihnen immer ein gehorſames Kind geweſen“ —
„Wer ſind wir, mein Freund, daß wir uns unter-
fangen ſollten, die Herzen unſerer Kinder zu lenken!“
unterbrach ihn die Dame mit tiefem Ernſt. „Einſt, ja
einſt dachte ich anders! Sie ſelber wiſſen am beſten,
was daraus wurde, als ich mich fähig glaubte, mein
Kind nach meinem Willen zu formen. Lieber Freund,
ſoll noch ein zweites Opfer bluten, nachdem mein Sohn
durch meinen Starrſinn ins Elend getrieben worden iſt?

ö Cortſezung folgt.) ö 0
 
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