Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1878

DOI Kapitel:
No. 35 - No. 43 (1. Mai - 29. Mai)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43708#0149

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
heidelberger Lamilienblätter.

Beletriſiſche Beilage zur Heidelberzer Zeitung.

*.

+.
———777

Samſtag, den 4. Mai

1878.

——

— 7
Ueberwunden.
Novelle von W. von Dünheim.

Schluß)

Erſt ſpät in der Nacht kehrte er heim, froh, ſeinen
Vater nicht mehr wach zu finden. Als er ſeine Zimmer
betrat, erſchrack er; denn auf dem Tiſche lagen noch
Luiſens Briefe und auch das Bild. So mußte er dieſes,
um es an ſeinen Ort zu legen, noch einmal in die Hand
nehmen und es betrachten. Ein ſchmerzliches Laͤcheln flog
über ſeine Züge.



„Wie gut kannteſt du mich,“ wprach er halblaut vor

ſich hin, „ich bin es nicht im Stande, mein Glück auf
den Trämmern eines Andern aufzubauen.“
Dann legte er ſich zur Ruhe, um gleich darauf in
niefen Schlaf zu fallen. Auch ihn hatte dieſer Tag wmächtig
erſchuttert.
Am anderen Morgen eilte er wieder nach Witten.
Thalen hätte ihn am liebſten keine Secunde lang von
ſeiner Seite gelaſſen und am Ende mußte er den Bitten
des alten Mannes nachgeben, ganz auf das Gut überzu-
ſiedeln. Dort war nun die Sorge für die Kranke ſein

einziges Dichten und Trachten. So hatte es noch kommen

müſſen, um ihm den Entſchluß ſchwer zu machen, der
längſt in ſeiner Seele feſtſtand. Dennoch war dieſe Zeit
nicht unfruchtbar für ihn. In bittren inneren Kämpfen,
die nur allzu oft noch wiederkehrten, rang er ſich endlich
zu voller Klarkeit hindurch. Elſe durfte nicht ſein werden.
Als ſie ihrer Geneſung entgegenging, ſchied er wieder
von Witien, kehrte in die Stadt zurück und kam ſeltener.
Reinhold, der ſich mit ſtiller Entſchloſſenheit an ſeine

Berufsgeſchäfte gemacht hatte und zu der alten Mutter

Freude nicht mehr vom Fartgehen ſprach, erhielt durch
ihn täglich Nachricht.
Monate verſtrichen aber noch, bis Elſe ſo weit war,
daß ſie ins Freie hinaus durfte. Ihr ſehnlichſter Wunſch
der letzten Zeit war es geweſen, den Platz unter den
Kaſtanien zu erreichen. Dort wollte ſie noch einmal von
der Vergangenheit träumen, ehe ſie ſich dem neuen Lehen
zuwendete,
ſtand. Endlich kam der Tag, da man es ihr geſtattete,
und ſie war in ihrem Herzen froh, daß ihr Berlobter
auch heute ausgeblieben war. Ihr Vater geleitete ſie
n Lieblingsſitz und ließ ſie dann auf ihren Wunſch
allein. —
Mit geſchloſſenen Augen, an den Stamm zurück-
gelehnt, ſaß ſie lange unbeweglich da. Sie mochte die
lieben Bilder nicht verſcheuchen, welche ſie umſchwebten.
Sie glaubte Reinhold drunten an der Pforte zu ſehen

und ſeine- Stimme wieder zu hören! „Guten Morgen,

Fraͤulein — wenn es an's Ausfechten geht, möcht' ich
Ihnen gern zur Seite ſtehen.“ ö
Ein Geräuſch weckte ſie. Sie ſchrack zuſammen und
öffnete die Augen. War es noch Traum oder Wirklich-
keit? Der heiß Erſehnte ſtand wieder drunten an die
Hecke gelehnt und neben ihm Mühlfeld. Beide Mäͤnner

das drohend, wie eine mühevolle Reiſe, vor ihr

traten im nächſten Augenblicke durch die Gartenpforte

ein und ſchritten zu ihr hinauf.
Sie begriff das alles nicht und war keines Wortes
mächtig, die Ankommenden auch nur zu begrüßen. Jetzt
ſtand ihr Verlobter vor ihr und ſah ſie mit einem inni-
gen freundſchaftlichen Blicke an. Seine Hand ruhte, noch
ehe ſie ſich beſinnen konnte, auf ihren Locken.
„Elſe, mein gutes Kind,“ ſagte er mit einer Stimme
aus welcher alle Strenge verſchwunden war, „du biſt
mir vom erſten Tage ab gehorſam geweſen, eine treue
Schülerin. Willſt du es heute noch einmal ſein und mich
als deinen Lehrer und Meiſter anerkennen??ꝰ
Das Madchen blickte verwundert und voll Span-
nung auf. —
„Ja“, entgegnete ſie dann ohne Zögern, „ich ver-
traue Ihnen, wie ich es immer gethan, weil ich mich in
guten Händen wußte. So iſt es auch jetzt noch.“
„Gott lohne dir's Kind; denn ich begehre nichts
Geringes von dir. Du ſollſt dein Jawort, das du mir
gegeben, auffaſſen, wie ich es thue, und erkennen lernen,
daß es ſo allein richtig.“ — Er hielt eine Secunde lang
inne, denn trotz aller Seelenſtärke, üher die er gebot,

pochte ſein Herz doch zu ſtürmiſch, um ihn ſprechen zuw

Aaſſen. Dann fuhr er fort: „Als dein Lehrer war es
meine Pflicht, dich nicht in die Wiſſenſchaft allein, ſon-
dern vor allem, dich in das Leben einzuführen. Und, da
ich die Gefahren ſah, die dich umgaben, wollte ich ein
Recht an dich gewinnen, um dich zu ſchützen, dich als die
Meine einſt dem Manne zuzuführen, den dein Herz er-
wählt. Keinem Andern ſollteſt du gehören. Daß ich ihn
fruüher gefunden, als ich geglaubt, hat ein Höherer gefügt;
ich danke ihm aus tieſſter Seele dafür.“
Elſe wußte nicht, wie ihr geſchah. Sie glaubte in
ihr Fieber zurückgeſunken zu ſein und Phantaſiegebilde zu
ſehen. Zu viel ſtürmte auf ſie ein, zu jäh war dieſer
Wechſel von der Entſagung zur Vereinigung mit dem
Geliebten. Kraftlos lehnte ſie ſich an den Baum und
ſtarrte die Beiden an. Plötzlich aber leuchtete das Feuer-
in ihren Augen auf. Lebensluſt und Lebensfreude durch-
ſtrömte ihr Herz.
„O edler Mann“, rief ſie beſeligt, „iſt das möglich,
iſt bn- — Wie viel haben Sie für mich
gethan
Und ſie ergriff ſeine Hand, um ſie dankbar mit
Küſſen zu bedecken, bis er ſie ihr behuſam entzog. „Mein
treuer Lehrer, mein Beſchützer. Niemals werde ich Sie
vergeſſen!“ ——
Dann ſchloß Reinhold's Umarmung ihr den ſtam-
melnden Mund. „Reinhold“, „Elſe“ klang es zu den
rauſchenden Wipfeln empor, wie damals bei dem Wieder-

finden vor dem Abſchied. x
Als Beide aufblickten, war ihr Wohlthater ver-
ſchwunden.
* „ *

Wenige Tage darnach trat Mͤhlfeld unerwartet in

Berlin bei ſeiner Freundin Luiſe Hartwig ein. Mehr
erſchreckt als erfreut eilte die ſchoͤne Frau ihm entgegen.
 
Annotationen