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Heidelberger Familienblätter — 1878

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No. 71 - No. 78 (4. September - 28. September)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43708#0322

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— 344 —

zeitig mit ſeinem Centrum Wenborn räumend, ohne den

Sturm der ihn hart bedrängenden 22. Diviſion abzu-

warten. ö
Es kam jetzt für das Nord⸗Corps darauf an, auch
den linken Fluͤgel des Süd⸗Corps aus ſeiner Stellung
an der Kalbsburg zu verdrängen und erhielt zu dieſem
Zwecke die 25. Diviſion den Befehl, mit allen Kräften
gegen die genannte Oertlichkeit vorzugehen. —
Um dieſem Gefechtsmoment beiwohnen zu können,
hatte ſich der Kaiſer nebſt Gefolge an den Nordrand der
die Kalbsburg umgrenzenden Waldparzellen begeben. Der
linke Flügel des Süd⸗Corps mußte dem Andrängen der
25. Diviſion weichen und nahm das Süd⸗Corps zur
Deckung des nothwendig gewordenen Ruͤckzuges durch das
Schwalm⸗Defilé bei Kerſtenhauſen eine letzte Aufſtellung
auf den Höhen nordöſtlich Großenenglis.
Zur Degagirung ihrer bereits hart bedrängten In-
fanterie attackirte die Cavallerie des Süd⸗Corps mit dem
erſten Treffen das feindliche Centrum, während das zweite
Treffen durch die von der Wabern'ſchen Spitze vorgehende
Cavallerie⸗Diviſion des Nord⸗Corps attackirt und in Folge
ihrer Minderzahl zum Rückzuge gezwungen wurde. Dieſer
Moment, welcher durch das Auftreten der Corpsartillerie
des Nord-Corps an der Straße Udenborn⸗Uttershauſen
eingeleitet war, erlangte in dem Vorgehen der 25. Divi-
ſion von der Kalbsburg in der Richtung auf Kleinenglis
und der 22. Diviſion von Wenborn auf Großenenglis
ſeinen Schluß.
Die 21. Diviſion war ſüdweſtlich der Wabern'ſchen
Spitze geſammelt und in der Reſerve gehalten worden.
Am Schluß des Manövers, 12 Uhr 40 Min., ſprach
der Kaiſer den Generalen und Regiments⸗Commandeuren
ſeine vollſte Zufriedenheit über Anlage und Ausführung
des Manövers und die dabei hervorgetretene Ausbildung
und Anſpannung der Truppen aus. ö
Der Verlauf des Manövers wurde von dem Kaiſer
im Wagen ſtehend, bei der 21. Diviſion mittelſt eines
Fernrohrs beobachtet. Nach Beendigung des Mandvers
waren die Generale und Stabsoffiziere zur Kritik um
den Kaiſer verſammelt. Bei der Abfahrt von dem Bahn-
hofe Wabern waren fämmtliche Bürgermeiſter und Land-

rathe der umliegenden Kreiſe zur Verabſchiedung anwe-
ſend. Ihre Majeſtäten ſowie der Kronprinz und der

Großherzog von Mecklenburg unterhielten ſich auf das
Huldvollſte mit denſelben. ö

Verſchiedenes.
— Wir haben in Nr. 76 der „Heidelb. Familienbl.“

aus den „Basl. Nachr.“ den von Oberſt Rüſtow an

ſeine Töchter gerichteten Brief gebracht, durch welchen der-
ſelbe ſeinen Selbſtmoͤrd vor der Welt zu begründen ſucht.
Hierauf veröffentlicht in einer Zuſchrift an die „Köln.
Zig.“ Major Wille eine Entgegnung, um Leſern, welchen
die Beziehungen des Herrn W. Nüſtow zu der ſchweiz.
Militärbehörde unbekannt ſind, und im Intereſſe der hi-

ſtoriſchen Wahrheit — die Thatſachen, welche dem Brief

und Selbſtmord vorausgegangen ſind, bekannt zu geben.
Das Schreiben lautet: ö

Herr Rüſtow lebte als Flüchtling in Zürich. 3* der zwei-

ten Hälfte der fünfziger Jahre beabſichtigte er ſich zu verhei-
rathen. Zu dieſem Behuf ließ er ſich durch die Mühewaltungen

von Bekannten in einer Gemeinde des Cantons Zürich als Bür-

ger aufnehmen. Er wurde alſo Schweizer durchaus nicht aus
idealer Liebe zur Schweiz und ihrer Verfaſſung, ſondern aus
rein perſönlichen Intereſſen. Dem entſprechend fuhr er auch
nach wie vor fort, ſich über die Bourgeoisrepublik zu moquiren.
Als Schweizer wurde er natürlich wehrpflichtig. In Anerken-
nung und wirklicher Hochachtung vor ſeinen literariſchen Leiſtungen

glaubte die Regierung des Cankons Zürich dem ehemaligen Ju-
genieurlieutenant das Patent als Major überſenden 3 müſſen.
Wenn ich nicht irre, ſo fand Herr Rüſtow, daß die Bekleidung
dieſer Charge in der Miliz⸗Armee unter ſeiner Würde ſei, und
hat auch als Major keinen oder ſoviel wie keinen Militär-
Dienſt gethan; das aber en 5 ich genau, daß dieſe Charge ſo
wie die daraus erwachſenden Beziehungen zu ſeinen militäriſchen
Obern für ihn Anlaß zu zahlreichen Witzen waren, durch welche
er weder Liebe noch Hochachtung für ſein neues Vaterland und
deſſen militäriſche Inſtitutionen an den Tag legte. Nachdem
Rüſtow in den ſechziger Jahren bei Garibaldi in Italien ge-
kämpft, auch eine Brigade commandirt und Gelegenheit gefun⸗-
den hatte, zu beweiſen, daß das theoretiſche Wiſſen durchaus
nicht das praktiſche Können in ſich ſchließt, wurde er im Früh-
jahr 1870 zum eidgenöſſiſchen Oberſten ernannt, dem höchſten
militäriſchen Grad, der in Friedenszeiten ertheilt werden kann.
Marſchall Niel, der große Gönner Rüſtow's, war geſtorben
und durch ſeinen Tod der beabſichtigte Ankauf der Rüſtow'ſchen
Werke als officielles Lehrmittel für das franzöſiſche Officier-
corps wieder aufgegeben.
In Folge der großen Productivität der Rüſtow'ſchen Feder,
die es moͤglich machte, die Kriegsbeſchreibungen faſt ſchneller zu
beenden als die betreffenden Kriege ſelbſt, in Folge der gehäſſi-
gen und ungerechten Kritik, die Rüſtow an den militäriſchen
Inſtitutionen ſeines urſprünglichen Vaterlandes übte, in Folge
der vielen bedeutenden Werke anderer Militärſchriftſteller, die
aus Selbſterlebtem folgern konnten, nicht weil Rüſtow in einem
kleinen Lande lebte und ſchrieb, hatte das Intereſſe der deutſchen
Leſer an den Rüſtow'ſchen Werken abgenommen, Rüſtow mußte
ſich ſagen, daß der höchſte Punkt ſeiner Schriftſtellerlaufbahn
weit überſchritten ſei; nun war er gern geneigt als Schweizer-
bürger für das Milizheer zu wirken. Die Achtung vor ſeinem
militäriſchen Wiſſen, die Hoffnung, daſſelbe für das Heer nutz-
bringend machen zu können, ließ bei der Berwendung Rüſtow's
in den Militärſchulen vielerlei Dinge ſtillſchweigend überſehen,
die ſich der ehemalige preußiſche Lieutenant glaubte als Miliz-
Oberſt geſtatten zu dürfen. Man verwandte Rüſtow im Ge-
neralſtabsbureau, und in der Abſicht, ihn dort bleibend anzu-
ſtellen, gab man ihm die Leitung einer Recognoscirungsreiſe
höherer Generalſtabsoffiziere. Auf dieſer Reiſe kamen ſchließlich
Sachen vor, die ſelbſt die größte Achtung vor dem Genie nicht
als entſchuldbare Freiheiten hinnehmen konnte. Für die Ver-
wendung im Generalſtabe und als Lehrer an höheren Offiziers-
curſen hatte ſich Herr Rüſtow unmöglich gemacht. Nach einiger
Zeit erſuchte Herr Rüſtow von Neuem die Militärbehörden, ihn
zu verwenden. Trotz der gemachten Erfahrungen wurde darauf
eingegangen. Herr Rüſtow erhielt probeweiſe für ein Semeſter
die Vorträge am eidgenöſſiſchen Polytechnikum über Militär-
wiſſenſchaften. Was in dieſem Colleg ſtatt Militärwiſſenſchaft
vorwiegend vorgetragen wurde, dürfte in halbwegs anſtändiger
Geſellſchaft nicht. wiederholt werden. Von ſeinen Freunden
wurde er gebeten, im Intereſſe ſeiner ſpäteren Anſtellung, im
Intereſſe der noch jungen Inſtitution dieſe Abſchweifungen zu
Unterdrücken; die direkte Folge davon war eine neue Blumen-
leſe übelriechender Anekdoten und mehr als trivialer Ausfälle
gegen Deutſchland und ſeinen Kaiſer. Auf dieſe Art machte ſich
Rüſtow wiederum unmöglich; zum Profeſſor der Militärwiſſen-
ſchaft am Polytechnikum in Zürich durfte man ihn nach ſolchem
Debüt nicht wählen. —
Wenn man alle dieſe Thatſachen berückſichtigt, darf man
doch wohl nicht annehmen, daß Rüſtow von der Schweiz un-
dankbar behandelt worden ſei. Was er wirklich für die Schweizer
Miliz geleiſtet, war gering; was man ihm gegen gute Bezahlung
zu leiſten gewähren wollte, war bedeutend. —
Die Urſache für die untergrabene Geſundheit des Herrn
Rüſtow waren nicht blos Ueberarbeitung. ö
Wenn das in dieſem Sommer in der „Köln. Zig.“ ver-
öffentlichte Teſtament Laſſalle's, von mir recht geleſen, zu Recht
beſtehend iſt, ſo bezog Rüſtow aus demſelben jährlich 800 Thlr.,
vor der bitterſten Noth war er auf jeden Fall geſchütztt.
Genehmigen Sie, Herr Redacteur, die Verſicherung meiner
ausgezeichnetſten Hochachtung.
Thun, 10. September 1878.
Major Wille,
Inſtructionsoffizier in der ſchweizeriſchen Artillerie.

— Ein farbiger Prediger in Georgia begann den
Gottesdienſt mit der Anküͤndigung einer Collecte für einen
frommen Zweck und fügte hinzu: „Aber um der Ehre
Gottes willen, wer es aus ſei, der geſtern Mr. W. 3
Schaaf geſtohlen hat, er lege ja nichts auf den Teller.“
Die Andchtigen ſteuerten ohne Ausnahme bei.

Druck u. Verlag von Adolph Emmerling und Sohn in Heidelberg. Für die Redaction verantwortlich Ad. Emmerli ng9.
 
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