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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1888

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Nr. 1-26 (1. - 31. Januar)
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Wochenschau.
Heidelberg, 31. December.
Das meiste Aufsehen erregte in verflossener Woche
der Streit über die kirchliche und politische Stellung des
Prinzen Wilhelm. Es ist in in- und ausländischen Blät-
tern ein Thema behandelt worden, das sich hier nur kurz
streifen läßt. Von einem Theil der Presse, welche in dem
deutschen Kronprinzen den Träger eines gemäßigten Libe-
ralismus sieht, war angedeutet worden, daß an den hohen
Kranken in San Remo die Anregung herangetreten sei,
freiwillig schon jetzt auf eine künftige Thronbesteigung zu
verzichten. Bei der Schwere seines Leidens würden Ne- i
gierungssorgen ihm eventuell von der gesundheitlichen Pflege j
seines siechen Körpers zu sehr abhalten. Der Kronprinz s
habe aber im Einverständnis; mit seiner treuen Pflegerin, z
der hohen Gemahlin, diesem Ansinnen um so weniger -
Gehör geschenkt, als sein Leiden von Dr. Mackenzie nicht
mehr als Krebs bezeichnet werde und er außerdem sich zu
wohl und kräftig fühle, um nicht jede ihm künftig für
das Vaterland auferlcgte Pflicht zu tragen. Mit diesen
Andeutungen waren gleichzeitig starke Angriffe auf hoch-
kirchlich und hochconservativ gesinnte Persönlichkeiten ver-
bunden, welche sich jetzt „an die Sohlen de^ Prinzen
Wilhelm hefteten", weil sie in,ihm die Hoffnung ihrer
Zukunft sähen. Wie erinnerlich, Mtte Prinz Wilhelm
nebst Gemahlin jüngst im Hause der frommgläubigen
Gräfin Waldersee einer Versammlung beigewohnt, welche s
berufen war, um zu berathen, wie die vom Hofprediger !
Stöcker geleitete Stadtmission zu unterstützen sei. Prinz
Wilhelm hielt auf jener Versammlung eine Rede, die un-
gefähr darin gipfelte, daß der immer weiter fressende i

Anarchismus als gemeinsamer Feind zu bekämpfen sei und
daß die innere Mission dazu nützlich sei. Im klebrigen
verwahrte er sich dagegen als „Antisemit" verschrieen zu
werden.
In der deutschen Politik fiel sonst nichts Wesent-
liches vor. Die Sendboten des Reichs und der Einzeln-
staaten sind in Ferien gegangen.
Die Wiener Marschalls- und Ministerberathungen
ergaben, daß vorläufig kein erhöhter Credit für Mobil-
machungszwecke erforderlich sei. Von russischer Seite ver-
lautet, daß für den Winter weitere russische Truppen-
verschiebungen an der Grenze nicht beabsichtigt seien.
Zwei eigenthümliche politische Reisende hohen Ranges
besuchten Berlin und Petersburg in diesen Tagen. Der
eine war der österreichische Erzherzog Johann Salvator,
der als einer der begabtesten Prinzen des Hauses Habs-
burg gilt. Der andere wckr Lord Randolf Churchill, das
Schreckenskind der englischen Conservativen. Beide gingen
angeblich als Privatmänner auf Reisen, von beiden wird
indessen vermuthet, daß sie irgend welche politische Zwecke
verfolgten, die mit Krieg und Frieden Zusammenhängen.
Zur Klarstellung der fra nzösisch en Politik brachte
der Pariser „Figaro" einen halbamtlichen Artikel, worin
ausgeführt wird, seit einigen Tagen werde wieder viel von
den Beziehungen Frankreichs zu Deutschland gesprochen,
und man sei versucht zu glauben, daß die fieberhafte Auf-
regung, die seit einiger Zeit in Europa herrsche, sich auch
auf Frankreich ausdehnen könne. Zum Heile des Landes
sei es jedoch ersprießlich, wenn Frankreich von dieser Krank-
heit verschont bliebe. Nach Erkundigungen an maßgeben-
der Stelle seien Frankreichs Beziehungen zu Deutschland
augenblicklich normal.
Das Priesterjubiläum Papst Leo XIII. wurde bereits
und wird noch dieser Tage in der ganzen civilisirten Welt
in erhebendster Weise gefeiert. Alle Welt verehrt den Ju-
bilar als eben so edlen seltenen Charakter, als großen
Gelehrten und Staatsmann, wie ächten Priester.
Der englische Premier hielt vor einer großen Ver-
sammlung der conservativen Vereinigung eine Rede, in
welcher er sagte: Er sei genöthigt, sich über die auswär-
tigen Fragen mit großer Reserve auszulaffen, und be-
schränke sich deßhalb daraus, zu bemerken, daß nach den
vorliegenden diplomatischen Informationen kein Grund für
den Schrecken vorhanden sei, welcher die Zeituugen, wie
die Börsen Europas ergriffen zu haben scheine. Man be-
trachte oft die Beziehungen der fremden Mächte als kri-
tischer, wie sie in Wirklichkeit seien, und zwar in Folge
einer gewissen rhetorischen Schärfe, wie sie unter rioali-
sirenden Journalisten aufzutreten pflege. Er habe keinen
Grund, anzunehmen, daß, abgesehen von gewissen Zeitungs-

artikeln, der Friede Europas durch eine unmittelbare Ge-
fahr bedroht sei; er sage „umittelbare" Gefahr, weil schon
die Existenz der stets wachsenden Rüstungen eine bestän-
dige Gefahr darstelle; es würde jedenfalls sehr vermessen
sein, Voraussagungen jetzt auf viele Jahre hinaus machen
zu wollen. Salisbury wandte sich alsdann zu einer Dar-
legung der inneren Fragen.
Von der Schließung der russischen Universitäten
gab der „Petersburger Regierungsbote" wie, wir meldeten,
Kunde: In drei Universitäten und in dem Charkower
technologischen Institut wurden die Vorlesungen eingestellt.
Durch den Vergleich mehrerer hierbei zu Tage getretener
Umstände ergiebt sich, daß bei allen diesen Unruhen Auf-
hetzungen übelwollender Leute mitwirkten. Die Moskauer
Universität wurde bekanntlich schon früher geschlossen.
In Nordamerika droht wieder ein neuer Riesen-
streik. Unter den Angestellten sämmtlicher Linien der Phila-
delphia-Reading-Eisenbahn-Gesellschaft ist ein allgemeiner
Strike ausgebrochen. Die Strikeaufforderung ergeht an
ca. 60000 Arbeiter. Scheint aber beigelegt zu werden.
Verussgenojfenschäft und Altersversicherung.
Die Ergebnisse des außerordentlichen Berufsgenossen-
schaftstages, der kurz vor Weihnachten in Berlin tagte,
um zu den Grundzügen für die Alters- und Invaliden;
Versicherung der Arbeiter Stellung zu nehmen, sind in
mehrfacher Beziehung bemerkenswerth. Zunächst ist durch
die Berathungen festgestellt worden, daß die große Mehr-
zahl der Vertreter der Berufsgenossenschaften in Ueberein-
stimmung mit der Regierung und dem Volkswirthschafts-
rath den Gedanken, die Berufsgenoffenschaften zu Trägern
der neuen socialpolitischen Aufgabe zu machen, durchaus
sympathisch begrüßt hat. Neben den Referenten Direktor
Holtz und Baumeister Felisch waren es namentlich die
Herren Commerzienrath Dr. Websky, v. Pfister-
München und Schlick-Hamburg, welche die Bedenken
des Rcichstagsabgeordneten Schmidt-Elberfeld wider-
legten und die Versammlung bestimmten, mit einer Zwei-
drittelmehrheit sich für die Uebernahme der Invaliden-
versicherung auf die Berufsgenossenschaften zu erklären.
Die Majorität wäre ohne Zweifel noch erheblich größer
gewesen, wenn nicht eine Anzahl von Mitgliedern,
welche in erster Linie den Erlaß des neuen Gesetzes
noch für einige Zeit hinausgeschoben zu sehen wünschten,
um eine weitere Consolidirung der Berufsgenoffenschaften
abzuwarten, sich durch die Reihenfolge der Abstim-
mungen genöthigt gesehen hätte, gegen den Antrag der
Referenten zu stimmen, obwohl sie demselben grund-
sätzlich durchaus nicht feindlich gegenüber standen. Außer
diesem für den Gegenstand der Berathung selbst hochwich-

Charlotte Ol-rnstiitt.
Cr imi n al - N o v e lle von A. Klock.
27) (Fortsetzung.)
„Einzige, geliebte Irene", bat dcr Freiherr mit zärt- l
lichem Schmeichelton, „rege Dich nicht so heftig auf. Du -
weißt nicht, wie sehr es Dir schaden kann."
„Mein Sohn Erhard kommt! rief die Kranke voll
Entzücken, seine Worte ganz überhörend, „ich fühle seine
Nähe, bald werde ich ihn fragen können, warum er so
traurig ist, daß ich ihn in meinen Träumen stets so
kummerschwer gesehen."
Konrad verschwand Plötzlich aus dem Zimmer, den
Geschwistern abwehrend winkend, welche ihm folgen wollten.
Aber die Freifrau hatte sein Hinauseilen wohl bemerkt,
hoch aufgerichtet saß sie da, die weit geöffneten, glänzen-
den Augen auf die Thür gerichtet, durch welche gleich da-
rauf die Brüder eintraten.
„Mutter, Mutier! so müssen wir uns Wiedersehen!"
„Erhard, mein Kind —" und schon war er in die
Knie gesunken, schon ruhte das Haupt des heiß Ersehnten
an ihrer Brust. Sie schlang die Arme um des Sohnes
Hals und ihre glühenden Freudenthränen netzten sein
lockiges Haar, dann richtete sie das Antlitz des Theuren
empor, ihr selig schimmerndes Auge sog dürstend den An-
blick der geliebten Züge. Erhard senkte die Lider, konnte
er der Mutter frei entgegenblicken?
„Wie bleich Du bist, mein Kind", flüsterte die Frei-
frau in schmerzlich bewegtem Tone, und küßte ihm Stirn
und Wangen, „Dein Gesicht ist krankhaft abgezehrt, und
in dem Blick Deines Auges spiegelt sich der Widerschein
einer leiderfüllten Seele. Mein Kind, mein Erhard, die
Gruft hat sich schon geöffnet vor mir — bald wirst Du
keine Mutter mehr haben."
Die flehende Stimme drang dem unglücklichenSohne
wie ein blitzendes Messer durch's Herz, während die Um- i

stehenden ihr Gesicht mit den Händen verhüllten und heftig
schluchzten.
„Ich kann nicht eher eingehen zur Ewigkeit", sprach
die Kranke in beschwörendem Tone weiter, „bevor Du mir
nicht alles, alles vertraust, einzig geliebtes Kind! Meine
Gedanken flogen zu Dir in die Ferne, mein Geist war
Dir stets nahe, aber immer sah ich Dich nur mit ver-
hülltem Angesicht; o was bedrückt Dich so tief, daß der
Schmerz Dich nimmer lassen kann! Du Liebling meines
Herzens", flüsterte sie leiser, „versenke in die Brust Deiner
sterbenden Mutter den großen Kummer, der Dein theures
Leben verzehrt."
Erhard athmete tief und schwer, er fühlte auf der
Stirn ihre zitternde Hand, seine Wangen umspielte der
Hauch ihres Mundes.
„Mutter, Mutter," schluchzte er leise; er hatte seinem
Gewissen, das ihn zu Tode gefoltert, er hatte der schrei-
enden Gerechtigkeit, dem verzweifelten Klopfen seines füh-
lenden Herzen Trotz geboten — aber der sterbenden
Mutter Stimme trotzte er nicht, ihr wollte er beichten
seine schwere Schuld, ihr allein; unter heißen Thränen
der Geliebten Vergebung erflehen, und die Erinnerung
daran mit sich nehmen in den Tod! —
In Schmerz und Liebe fühlte mit heiliger Sympathie
die Freifrau seine Gedanken, sie bat ihre Lieben sanft, sie
aus kurze Zeit mit dem Sohne und Bruder allein zu
lassen."
„Mein Kind, zum letzten Male in diesem Leben
bist Du mit Deiner Mutter allein; zögere nicht länger,
sondern sprich!"
Und Erhard erhob sein bleiches Antlitz aus dem
Kissen und enthüllte mit gebrochener Stimme der Mutter
das erschütternde Geheimniß seiner Vergangenheit! Den
Blick in tiefster Vernichtung zu Boden gesenkt, gewahrte
er nicht, wie die eben noch so glühenden Wangen der
Mutter eine tödtliche Blässe bedeckte; die Lippen waren
bläulichweiß geworden und die Pupillen ihrer weit ge-

öffneten Augen überzogen sich mit einer stumpfen, farb-
losen Haut.
„Vergieb mir, Mutter", preßte der Unglückliche aus
gequälter Brust hervor.
„Erhard, Erhard! Du das — mein liebstes Kind
— o Schmach — mein Gott!" — und mit einem schrillen
Klagelaut sank die Freifrau in die Kissen zurück.
Von Schrecken und Angst erfaßt, stürmten der Frei-
herr und seine Kinder herein.
„Irene!" rief der alte Mann in heißem Schmerze
aus — zu spät, die Sonne seines Lebens ging dahin,
sein geliebtes Weib war todt! —
Da erbebten der Kinder Herzen in den tobenden Ge-
fühlen ihres Jammers, sie rangen die Hände und riefen
tausendmal den Namen der theuren Entschlafenen; am
furchtbarsten aber litt Erhard — alle zurückdrängend von
ihr, umschlang er allein die todte Mutter, küßte ihre Lippen,
ihre Augen, ihr Haar und rief in wilder Verzweiflung:
„Mutter, Mutter, Du darfst nicht sterben, ehe Du
mir vergabst, habe Erbarmen, Gott im Himmel, laß sie
nicht scheiden, bis sie das Wort der Verzeihung sprach!"
Plötzlich öffnete sich die Thür, ein Diener trat un-
gerufen in den Trauerkreis und schritt auf den alten Frei-
herrn zu, welcher ihm vergeblich winkte, sich zu entfernen.
„Sie lasses sich durchaus nicht abhalten", flüsterte
er, „sie müssen unter allen Umständen den Baron Erhard
sprechen."
Wortlos schritt der Freiherr hinaus in die Halle.
Hier standen zwei Herren; in einem derselben erkannte er
einen Geheimpolizisten aus St.
„Sie kommen zur unglückseligen Stunde," sagte der
Freiherr mit finsterem, ahnungsschwerem Tone, „und Un-
glück kann es nur sein, was sie bringen."
Die Herren zuckten traurig die Achseln und erklärten
noch einmal, was sie schon durch den Diener hatten sagen
lassen. —
„Was wollen Sie von meinem Sohne — jetzt, da
 
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