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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1888

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Nr. 231-256 (2. - 31. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.70375#1123
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zogen Viertels. Mk. 1.25 ohne Zustellungsgebühr.

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Buchdruckerei und Expedition: Brunnengaffe 24. MnüdLkU, AdelshkiM, DslKklg, TallbkrbifchofshkiM NUd Wkrthk^ Buchdruckerei und Expedition: Brunnengaffe 08-

M 231.

Verantwort!. Redacteur Friedrich Kley
in Heidelberg.

Dienstag, Ä. Oktober

Druck und Verlag von Tarl Pfeffer
vorm. Wurm L Pfeffer in Heidelberg.

1888.

Abommknts-CiMlliig.
Mit dem I. October begann wieder ein neues Abonne-
ment aus das
„KerbeLVerrger: TcrgeMcrtL^
General-Anzeiger
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briefträger, sowie unsere auswärtigen Herren Agenten und
hier unsere Trägerinnen jederzeit entgegen.
Are Expedition.
Kaiser Wilhelm und Kisrnarck.
Von vertrauenswerther Seite gehen über die Stel-
lung des Reichskanzlers zum jetzigen Regime wie über
seine Wünsche für die Zukunft nachfolgende Mittheilungcn
zu, die beachtenswerth, aber doch unter aller Reserve
wiedcrzugeben sind.
Fürst Bismarck, der sich zu längerem Aufenthalt nach
Varzin begeben wollte, bleibt bis auf weiteres in Friedrichs-
ruh, und jedenfalls meidet er auf mehrere Monate die Rückkehr
nach Berlin. Der Fürst hat keinerlei Anlaß, aus Groll von
Berlin sich fern zu halten, denn alles, was geschieht, voll-
zieht sich unter seiner Zustimmung und nach seinem Rath.
Es wäre nichts thörichter, als einen Gegensatz construiren
zu wollen, in den er zur maßgebenden Stelle hineinge-
rathen sein könnte. Welch hohen Vertrauens der Fürst
beim Kaiser sich zu erfreuen hat, war aus dem Besuch
ersichtlich geworden, den ihm in Friedrichsruh nach der
Petersburger Reise der Kaiser abstattete. Genau derselben
Werthschätzung, die dem Grafen v. Moltke nach dessen
Entlassungsgesuch zu Theil wurde, hat sich der Kanzler
zu rühmen.
Es verlohnt sich, bei der Parallele dieser beiden Männer
zu verweilen, weil es zweifellos der Wunsch des Kanzlers
ist, sich in ähnlicher Weise von den Geschäften befreit zu
wissen, wie sein berühmter Mitarbeiter bei der Begrün-
dung und Befestigung des Deutschen Reichs. Graf Moltke
ist- unter Belassung der Pflicht, bei jedem gewichtigen An-
laß dem Kaiser zur Verfügung zu stehen, in den Ruhe-
stand getreten, und weil genug Kräfte vorhanden sind, die

ihn zu vertreten die Befähigung besitzen, so ist Ersatz für
ihn geschaffen, ohne daß in der Organisation der Armee
auch nur die geringste Veränderung zu spüren wäre. Einen
gleichen Ersatz wünscht für sich der Staatsmann, und die
Frage, wie dies zu bewirken sei, ohne daß in dem Charakter
der auswärtigen Politik auch nur eine Spur von Modi-
fication auftrete, ist die für den Augenblick wichtigste und
brennendste. Fürst Bismarck hatte niemals einen Zweifel
darüber aufkommen lassen, daß er dem greisen Kaiser Wil-
helm bis zu dessen letztem Athemzuge treu dienen würde.
Damit sah er seine Lebensaufgabe als erfüllt an. Daß
er den todtkranken Kaiser Friedrich nicht im Stich ließ,
lag in den Verhältnissen, die als schweres Geschick über
das Vaterland kamen, und der Kanzler hätte sich für fahnen-
flüchtig angesehen, wäre er nicht zu jedem Dienst für den
Sohn seines ersten Kaiserlichen Herrn bereit gewesen.
Jetzt befinden wir uns wieder in völlig normalen
Verhältnissen, die einen langen gesicherten Frieden in Aus-
sicht stellen, und dies Moment ist bestimmend, auf den
lang geplanten Vorsatz zurückzugreifen, für dessen Aus-
führung der gewichtige Umstand spricht, daß ein jüngling-
frischer Kaiser an der Spitze des Reiches steht, ein Mo-
narch voll festen Willens, dem es auf die Dauer Bedürf-
niß sein wird, mit geistig wie physisch gleich frischen
Kräften zusammenwirken zu wollen. Der Abstand der Jahre
schafft Urtheils-Verschiedenheiten, die für den Jüngeren
nur durch Verzicht auf die eigene Meinung auszugleichen
sind, was indeß, wo der Jüngere die entscheidende Instanz
bildet, auf die Dauer nicht wohl angeht. Es kommt hin-
zu, daß dem Wesen des Canzlers eine Präponderanz an-
haftet, die für den jüngeren Monarchen zu viel Erdrücken-
des hat, und damit ist, rein psychologisch betrachtet, eine
Scheidung gegeben, die, wenn nur der Tod sie herbei-
führen sollte, auf Kosten lebensfrohen, ursprünglichen Han-
delns sich vollziehen würde. Zu der Scheidung, die unter
den denkbar ehrenvollsten Formen sich vollziehen würde, ist
der gegenwärtige Augenblick wie geschaffen. Wie bei Moltke
wäre auch Bismarcks Rücktritt nur ein bedingter, bedingt
im Princip, thatsächlich unbedingt. Die Frage der Nach-
folge ist hier schwieriger zu lösen, aber sie wird sich lösen
lassen, und wenn nicht Zug um Zug, doch in absehbarer
Zeit, und in diese Zeit sind wir, wie unsre Informationen
schließen, bereits eingetreten.
Deutsches Weich.
Karlsruhe, 29. Sept. Der junge deutsche Kaiser
wird während mehrerer Tage auf Schloß Mainau ver-
weilen. Das herzliche Verhältniß zwischen dem jungen
Monarchen und unserem Fürsten hat sich in der kurzen
Zeit seiner Regierung schon wiederholt auf ehrende Weise

bekundet und erhält nun einen neuen Beweis durch den
verlängerten Aufenthalt auf Schloß Mainau. Mit hoher
Freude kann Badens Bevölkerung sich sagen, daß Groß-
herzog Friedrich nun der dritten Generation des Kaiser-
hauses zum Segen Deutschlands ein treuer, von dem besten
Geiste der Nation erfüllter Berather werden dürfte.
Konstanz, 29. Sept. Der Kaiser kam Nachmittags
nach Konstanz, um dem Herzog von Nassau, welcher
Sr. Majestät am Vormittag aus Schloß Mainau einen
Besuch gemacht hatte, seinen Gegenbesuch abzustatten. Auf
der Fahrt durch die prächtig geschmückten Straßen nach
dem Jnselhotel, wo der Herzog sein Absteigequartier ge-
nommen, wurde der Kaiser von der dichtgedrängten Menge
mit begeisterten Zurufen begrüßt. Beim Jnselhotel em-
pfing der Herzog Se. Majestät an der Treppe und ge-
leitete denselben unter lebhaftem Gespräch in seine Ge-
mächer. Bei der Rückkehr wiederholte sich die jubelnde
Begrüßung seitens der Bevölkerung.
Berlin, 29. Sept. Die kaiserlichen Attribute werden
in nächster Zeit verändert werden. Insbesondere hat der
Kaiser eine Aenderung in der Form der Reichskrone be-
fohlen und einige neue Entwürfe ausarbeiten lassen. Durch
die veränderte Krone werden aber auch alle andern kaiser-
lichen Attribute, in welchen dieselbe vorkommt, wie der
Reichsadler, das kaiserliche Wappen, sowohl das große wie
das mittlere und das kleine, die Standarte, der Tron und
der Mantel eine Veränderung erfahren. Eine Veränderung
der Attribute der Kaiserin und des Kronprinzen ist, zur
Zeit wenigstens, nicht in Aussicht genommen.
Berlin, 29. Sept. Von allen Nachrichten, welche
über das bisherige Verfahren gegen die Veröffentlichung
von Auszügen aus dem „Tagebuche des Kaisers
Friedrich" veröffentlicht worden sind, hat diejenige im
Publikum am meisten Aufsehen gemacht, daß das von der
Verlagshandlung der Behörde ausgelieferte Manuscript
nicht durchweg auf mechanischem Wege, also metallographirt,
sondern zum Theil abschriftlich von dem Einsender herge-
stellt sein soll. Die Annahme, daß es sich um theilweise
nicht echte Aufzeichnungen handle, wurde dadurch bekräftigt.
Berlin, 29. Sept. Nach der „Nationalzeitung" ist
der ehemalige hanseatische Gesandte in Berlin, der spätere
Straßburger Professor Geffcken der Einsender des
Tagebuches. Geffcken ist conservativ und wird zu Bis-
marcks Gegnern gerechnet. Mit Kaiser Friedrich
dürfte er engere Beziehungen kaum gehabt haben. (Friedr.
Heinr. Geffcken, geb. am 9. December 1830 zu Hamburg,
wurde, nachdem er in Bonn, Göttingen und Berlin die
Rechte studirt hatte, 1851 Legationssecretär, 1856 ham-
burgischer Geschäftsträger in Berlin, 1859 hanseatischer
Ministerresident daselbst, 1866 in gleicher Eigenschaft nach

Die Sirene.
Roman, frei nach dem Amerikanischen, von Ernst v. Treuenfels.
31) (Fortsetzung.)
Siebzehntes Capitel.
Vergeltung.
Marianne erreichte Schönburg am Nachmittage des-
selben Tages, vollständig befriedigt von dem Resultate, das
Ke erzielt hatte, trotzdem sie nicht im Staude war, die
Stimme gänzlich zu ersticken, die ihr zuflüsterte, daß, wenn
°ie so schwer gekränkte junge Frau ihres Bruders Hand
"N sich lege, sie selbst die Schuld an ihrem Tode trüge.
Der Wagen und die Diener warteten bei der Station
und einer der Letzteren überreichte ihr, zu ihrem großen
Erstaunen, ein Billet, mit Bleistift von Malwine's Hand
geschrieben.
Ihr erster Gedanke war, daß Malwine vielleicht in
dein Dorfe, durch das sie fuhren, etwas zu besorgen hätte,
und Marianne damit beauftrage.
Doch, als sie sich bequem im Wagen eingerichtet hatte,
lus sie, was ihr das Blut in den Adern gerinnen machte
.. »Ich glaube, daß es besser ist, Sie für die sonst
ichrecklich überraschende Nachricht vorzubereiten, die Sie
^fahren werden, wenn Sie nach Hause kommen, liebe
-Nrs. Nollis. Papa ist sehr, sehr krank-die Aerzte
k Hui und obgleich sie mir die Versicherung geben,
utz der Anfall nicht gefährlich ist, glaube ich doch, daß
vupa sehr krank ist. Malwine."
». Ihr Gatte sehr, sehr krank! Vor nicht ganz sechs
s; ^"ddn hatte sie ihn an der Eisenbahnstation, an die er
„^gleitet, in gewöhnlicher Gesundheit und Kraft und voller
tuckseligkeit verlassen und jetzt bei ihrer Rückkehr wurde sie
überraschenden Botschaft empfangen. Sie rollte
lo« ,. "e, abgerissene Blättchen Papier in nervöser Ruhe-
Mert zusammen, während ihre starren Blicke die immer-

wechselnde Landschaft durch das Fenster zu betrachten
schienen und ihr Gesicht finstere Gedanken anzeigte. Ihr
Mann krank, „nicht gefährlich", aber sehr, sehr krank.
Und ein plötzlicher Anfall, — war es Herzkrampf? —
Oder ein Schlaganfall? — oder Starrkrampf? Sie er-
innerte sich jetzt, daß er ein oder — zweimal erwähnt,
daß er sich nicht ganz so wohl, wie gewöhnlich, befände,
doch, mit ihren anderen bösen Plänen beschäftigt, hatte sie
sich nicht darum gekümmert. Wenn ihr nun der Weg ge-
ebnet würde! Wenn sie nun das erwünschte Ziel erreichen
könnte, ohne ihre Seele in den Abgrund der Sünde zu
tauchen, zu der sie schon entschlossen war — um Paul
Prants willen. Und ein Gebet, wirklich — ein wildes,
wahnsinniges Gebet drang aus ihrem leidenschaftlichen,
undisciplinirten Herzen, daß diese Krankheit mit dem Tode
endigen möge! —
Indessen erreichte der Wagen Schönburg, und sie
hatte sich ein wenig gesammelt, so daß sie Malwine für
ihre freundliche Fürsorge danken und mit Mr. William
über seines Bruders plötzlichen Krankheitsanfall sprechen,
auch die ihr sonst unter diesen traurigen Verhältnissen
auferlegten Pflichten erfüllen konnte.
Die Aerzte waren in dem an Mr. Nollis Schlaf-
zimmer anstoßenden Zimmer versammelt, als Marianne
sachte eintrat. Sie hatte ihr Straßenkleid gegen einen
Morgenrock von weichem grauen Cachemire, mit rothen
Seidenkanten hier und da verziert, vertauscht, ein kleines
Spitzenhäubchen saß auf ihren dunklen Zöpfen — und
sie war so bestrickend schön, daß sie jedes Mannes Ver-
stand bemeistern konnte.
Sie schritt geräuschlos über den Boden, wo ihre
schwarzen Sammetpantoffeln mit den rothseidenen Rosetten
tief in den dicken Teppich einsanken, trat in das Kranken-
zimmer und stand am Bette, auf ihren Gatten nieder-
blickend, der dalag, bleich, still, in tiefer Betäubung, die
Folge des Anfalles, den er erlitten.
„Ich wünschte, er möchte sterben! Der Gedanke an

meine Befreiung zeigt sich mir wie ein Blick in's Para-
dies durch die offenen goldenen Thore! Ich möchte meinen
ersten und einzig Geliebten mir zurückgewinnen! Ich werde
ihn schon dahin bringen, daß er mir vergiebt und mich
wieder liebt, so tief und fast unverzeihlich ich mich auch
gegen ihn vergangen habe. Er soll mich lieben — und
mir wieder vertrauen, — ich habe die Macht, ihn dazu
zu bringen, und — ach! das Leben mit ihm wird himm-
lisch sein!"
Sie bot ein herrliches Bild, als sie dastand, mit ge-
falteten Händen, getheilten Lippen, angstvoller Miene, und
Malwine, die leise eintrat, überkam ein Gefühl des Mit-
leids für die junge Frau, die sie früher sicherlich falsch
beurtheilt hatte.
Sie trat zu ihr und legte ihre Hand auf Mariannes
Schulter.
„Mrs. Nollis, Dr. Mister wünscht Sie zu sprechen,
wenn es Ihnen angenehm ist. Dars er hereinkommen?
Es ist nicht zu fürchten, daß Papa dadurch gestört wird",
— die Thränen traten ihr in die Augen und ihre Lippen
zitterten, — „er wird wahrscheinlich noch mehrere Stunden
so bleiben, wie er ist."
Dr. Mister wurde in das Krankenzimmer geführt
und Mrs. Nollis vorgestellt. Er war ein berühmter Arzt,
von dem Marianne bis jetzt nur gehört, den sie jedoch nie
gesehen hatte.
Sie erhob ihre schönen Augen zu seinem ernsten Ge-
sichte, in vollendet erheuchelter Angst und Kummer, als sie
ihn über seine Meinung wegen des Kranken fragte.
„Ich sehe keine unmittelbare Gefahr, Mrs. Nollis",
erwiderte dieser, bewundernd, wie sehr dieses strahlend
schöne Weib ihren doch schon älteren Gatten liebte.
„Erste Anfälle find selten tödtlich, die zweiten manch-
mal und es können Jahre dazwischen vergehen. Natürlich
wird ein solcher Anfall, wie der Ihres Mannes, ihn
mehr oder weniger angreifen und ihn zu anderen Anfällen
leichter geneigt machen, doch wie gesagt, es können Jahre
 
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