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Mdm», Kd,I°hn», ra-derdischeftdeim »«d WecheL.
4L 124.
Verantwortl. Redakteur PH. Klausner
in Heidelberg.
Dienstag, Ä9. Mai
Druck und Verlag von Carl Pfeffer
vorm. Wurm L Pfeffer in Heidelberg.
1888.
Bestellungen für den Monat
Juni
auf das Heidelberger Tageblatt (General-Anzeiger)
(billigste Zeitung in ganz Baden), werden fortwährend von
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sowie von unseren hiesigen und den Trägern und Träge-
rinnen der nächsten Umgebung zum Preise von 50 Pfg.
Monatlich entgegengenommen._Die Expedition.
Deutsches Reich.
Karlsruhe, 26. Mai. Die allgemeine Verhandlung
der Kirch envorl ag e in der Ersten Kammer gewährte
interessante Einblicke in die parlamentarische Lage. Staats-
winister Dr. Turban ergriff sofort nach dem Berichter-
statter v. Holst das Wort, um einer Verständigung zwischen
den beiden Kammern vom Standpunkte der Regierung
forderlich zu sein. Die Regierung will keine Rechte des
Staates preisgeben, aber sie möchte ein Werk des Friedens
schaffen und das Vertrauen aller Bevölkerungstheile zu den
Sesetzgebenden Gewalten zu stärken. Gegenüber v. Holst
hebt der Minister ausdrücklich hervor, daß zwar Verab-
redungen mit der Curie vorangingen, daß es sich aber bei
der Vorlage um einen freien Willensakt des Staates han-
delt. Die Freiherren v. Bodmann und v. Hornstein
ffeten scharf vom katholischen Standpunkte für die Vorlage
stn, Landgerichtspräsident v. Nottek in versönlicherer
Form; Freiherr E. A. v. Gölcr fürchtet die friedlose
Einwirkung von Ordcnsgeistlichen und hält die heutige
^irchenpolitik Preußens für einen großen Fehler, der sich
Noch rächen müsse. Geheimrath Dr. Schulze betont den
Akvßen Unterschied zwischen einem Lande mit althergebrachten
Drdcn und Klöstern gegenüber einer neuen Einführung
solcher Anstalten. Die Anträge auf reine Wiederherstel-
lung der Regierungsvorlage (v. Hornstein) und auf nur
dreijährige Geltung der Ordensaushilfc (Dr. Schutze)
werden von den Antragstellern selbst als wenig aussichts-
voll bezeichnet. Durch die scharfen Ausfälle v. Hornsteins
stird Prälat Doll zu einer Entgegnung veranlaßt, in
sicher er zahlenmäßig nachwcist, daß die protestantischen
Geistlichen dienstlich stärker überlastet sind, als die katho-
stschen. Das kirchliche Gebot der katholischen Kinderer-
stohung bei gemischten Ehen stehe in dircctem Widerspruche
^>t dem staatlichen Rechte des Vaters auf die bezügliche
^utscheidung. — Prinz Karl von Baden ist nicht an-
^osend, dagegen mehrere Standesherren, die sonst niemals
on den Sitzungen Theil nehmen. Die Generalverhand-
^ug, um 9 Uhr begonnen, dauert um 1'/„Uhr noch fort.
Temparatur des Ganzen deutet nicht auf unheilbaren
^orlamentarischen Zwiespalt.
Karlsruhe, 26. Mai. Nach neunstündiger Verhand-
lung verwarf die Erste Kammer bei Berathung des
Gesetzentwurfs über die Kirchenvorlage die Ordens-
aushilfe mit 11 gegen 10 Stimmen. Der Nest der Ge-
setzesvorlage wird einstimmig nach dem Commisfionsantrag
angenommen. Ein Conflict ist somit ausgeschlossen.
Berlin, 25. Mai. Die Begnadigung des früheren
Lieutenants Techow, welcher vor 40 Jahren von dem
Militärgericht verurtheilt wurde und seitdem im Auslande
lebte, war seitens des Kaisers beabsichtigt. Der Kriegs-
minister aber lehnte es ab, die Begnadigungsordre zu
zeichnen. In einer ausführlichen Denkschrift wurde dieser
Widerspruch mit Rücksicht auf die angeblich bedrohte Dis-
ciplin der Armee zu begründen gesucht. In Folge dessen
ist das nm 22. März eingereichte Gesuch Techow's um
Erlaubniß straffreier Rückkehr seitens des preußischen
Generalauditoriats ablehnend beschicken worden. Techow
hatte, so erinnert die „Freis Ztg.", bei dem Zeughaus-
sturm in Berlin im Sommer 1848 dem Hauptmann
Natzmer, welcher mit einer Compagnie das Zeughaus zu
räumen. Techow, der sich als Officier nicht im Dienst
befand, aber Einlaß in das Zeughaus gefunden hatte,
wurde zu 15jährigem Festungsarrest und Entlassung aus
dem Officierstande verurtheilt. In Magdeburg gelang es
ihm, aus der Festung zu entfliehen, worauf er sich an
dem badischen Aufstand betheiligte. Techow gab im
Jahre 1848 über die Motive zu seiner Handlungsweise
öffentlich Auskunft. Danach wollte Techow einen blutigen
Conflict zwischen Volk und Soldaten verhüten, bei welchem
die Soldaten nicht im Stande gewesen sein würden, das
Zeughaus zu behaupten.
Berlin, 26. Mai. Kaiser Friedrich hatte eine
gute Nacht und fühlt sich gestärkt, heute Vormittag hielt
er sich im Park auf. — Das Volksschullastengesetz
wurde heute im Abgeordnetenhaus in namentlicher
Abstimmung mit 194 gegen 121 Stimmen endgiltig an-
genommen. Die Mehrheit ist also gegen gestern noch er-
heblich gewachsen. — Um 6 Uhr waren beide Häuser des
Landtagesaunter Vorsitz des Herzogs v. Ratibor zur
Schlußsitzung versammelt. Minister v. Puttkamer
verlas die königliche Botschaft vom 25. Mai, durch welche
der Landtag geschlossen wird. Der Herzog v. Ratibor
brachte das Hoch aus, in welches die Anwesenden begeistert
einstimmten. — Der Reichskanzler Fürst Bismarck
soll morgen oder übermorgen aus Varzin nach Berlin
zurückkehren.
Berlin, 26. Mai. Der Parkw lichter Langhammer,
welcher nach seiner Aussage vorgestern im Park von Char-
lottenburg durch einen Posten verwundet worden sein wollte,
hat bei dem mit ihm gestern angestellten Verhör, durch
vielfache Widersprüche in die Enge getrieben, zugegeben,
daß er sich die Verwundung mittels eines Teschins selbst
beigebracht habe, um das Mitleid der Höchsten Herr-
schaften zu erwecken und hierdurch eine günstigere Stellung
zu erlangen.
Weimar, 26. Mai. Die heutige Generalversamm-
lung der Goethe - Geselschaft fand unter dem Vorsitze
des Präsidenten Dr. Simson statt. Die Versammlung,
an welcher außer Mitgliedern des Großh. Hauses der
Kronprinz von Griechenland theilnahm, war sehr zahl-
reich besucht. Die Festrede hielt Geheimrath Dr. Kuno
Fischer aus Heidelberg über Goethe's „Iphigenie".
Schmidt (Berlin) machte sehr überraschende Mitthei-
lungen über Goethe's ArbeittN bezüglich des zweiten Theils
des „Faust".
IrauKreiL.
Paris, 26. Mai. Im heutigen Ministerrathe theilte
der Finanzminister mit, die Bank von Frankreich habe,
unter voller Wahrung ihres Rechtes, die Einlösung falscher
Bankschcine zu verweigern, sich bereit erklärt, die durch
die letzten Fälschungen Betroffenen in ausgedehntem Maße
schadlos zu halten. — Der Kriegsminister Freycinet hat
heute dem Präsidenten Carnot einen Erlaß zur Unterschrift
vorgelegt, durch welchen zeitweilig ein aus Mitgliedern
des obersten Kriegsrathes zu ernennender Ausschuß ge-
schaffen wird, der die Verwaltung der Armeccorps über-
wachen soll. — Renan ist zum Großofficier der Ehren-
legion ernannt worden.
Paris, 26. Mai. Da Dsroulsde die Unterstützung
der bonapartistifchen Abgeordneten im Charente-Departement
nicht erlangt hat, so läßt er in den Wandelgängen des
Palais Bourbon anzeigen, daß er nicht als Candidat hei
der Deputirtenwahl in der Charente auftreten werde. —
Da morgen die üblichen Jahres-Kundgebungen der Cvm-
munards auf dem Pere-Lachaise zum Gedächtnis an die
blutige Woche vor sich gehen werden, so hat die Polizei
Vorsichtsmaßregeln getroffen, weil sie befürchtet, daß es
bei dieser Gelegenheit zwischen Communards, Boulangisten
und Antiboulangisten zu Händeln kommen könnte.
Ijelgleu.
Brüssel, 26. Mai. Der „Nord" sagt: Die Trans-
caspische Eisenbahn bis Samarkand werde auch die Stellung
Rußlands im Abendlande befestigen. Jetzt, wo England
erkannt haben werde, daß seine Bemühungen, Rußland an
seiner Festsetzung in Asien zu verhindern, vergeblich seien,
werde es vielleicht darauf kommen, in einer aufrichtigen
Verständigung mit Rußland die Sicherung seiner indischen
Besitzungen zu suchen. Sofern Rußland nicht geradezu
herausgefordert werde, habe es nichts Besseres zu thun,
als zu Hause zu bleiben und seinen eigenen Garten zu
und auch eine bedeutende Summe baaren Geldes geraubt
worden sind. Tausend Mark Belohnung sind theils vom
Polizeipräsidium, theils von dem Bestohlenen für die Ent-
deckung der Thäter uud Wiederherbeischafsung des geraubten
Geldes ausgesetzt worden.
Dabei rückte Frau Lessing ihre etwas verschobene
Brille wieder zurück und heftete ihre Blicke mit großem
Interesse abermals auf die Zeitung.
Helene war durchaus nicht müde, sie scheute sich nur,
in den Bereich des Lampenlichts zu kommen, damit ihre
Mutter das Fehlen des Verlobungsringes an ihrem
Finger nicht merken sollte. Sie hatte derselben noch nicht
mitgetheilt, daß sie dem Assessor Simmern den Ring und
damit auch sein Wort zurückgegebcn hatte.
Der armen Helene war ihr Entsagungsschmerz zu
heilig, selbst ihre Mutter sollte nicht erfahren, wie sehr
sie litt. Es ist eine Eigenthümlichkeit sanfter, schüchterner
Naturen, daß sie, sobald sie einmal von einem jähen und
harten Schicksalsschlage getroffen werden, diesen ruhiger
und ergebungsvoller hinnehmen, als stärkere Naturen, denn
es ist eine alte Wahrheit, daß die Gewohnheit jedes Leiden,
sogar das Elend erträglich macht. Aber selbst den pas-
sivsten Naturen, zu welchen Helene gehört, ist in der Fähig-
keit, zu leiden, eine Grenze gesetzt; ist diese erreicht, so
sind sie in höchster Spannung ihrer Seelenkräfte oft zu
einer ganz unerwarteten und unerhörten That fähig.
Auf diesem Standpunkte war Helene angekommen.
Ihre Ruhe, ihre Schweigsamkeit der Mutter gegenüber,
jetzt, wo sie Alles verloren hatte, waren unnatürliche und
beunruhigende Symptome, welche eine durch Verzweiflung
herbeigeführte Katastrophe erwarten ließen.
Frau Lessing halte inzwischen unter fortwährendem
Kopfschütteln und wachsender Erregung ihre Zeitungs-
lectüre beendet.
Es ist schrecklich, sagte sie im Aufstehen, was Alles
geschieht! Denke Dir, Kind, bei dem Einbruch hat auch
Mordversuch stattgefundcn, und noch dazu in den Nachmit-
Die Ueilchendame.
Roman von Carl Görlitz.
(Fortsetzung.)
31)
. Wenn ich Sie, ehe Sie gehen, sprach die Gräfin zu
Assessor etwas verlegen, um eine kurze Belehrung
Er drückte ihr die Hand, welche sie ihm jetzt entzog,
^ieine Zeit gehört Ihnen, Gräfin.
Teö Sie Eckte zu Boden, als ob sic sich scheue, ihre
sic ?"ken zu verrathen. Nach cinxr kleinen Pause fragte
erin ""' Eriche Strafe steht auf Betrug, wenn er unter
Wvercnden Umständen begangen worden ist?
er >, D". Assessor konnte ein Lächeln nicht unterdrücken;
sao "e überzeugt, daß die Gräfin etwas Anderes hatte
- mn wollen und sich im letzten Augenblick hinter eine
^ verschanzte, die dem Juristen galt, nur, um ihm
Mann nicht zu großen Avancen zu machen.
ein,- ^eser Selbsttäuschung lächelte er so schalkhaft, daß
^rtraulichkeit hindurchblicktc. Gräfin, Sie spielen falsch.
Ci« -/b Dame trat sichtlich erschreckt von ihm zurück.
Sck. M)es Errölhen flog über ihr Gesicht. Ich? - Falsch?
ander als wolle sie seinem Gedankengang eine
. üuung geben, setzte sie hinzu: Nein, nur unbe-
kisch/m indem ich eine Frage stellte, die ein lange juris-
lvollc j^'Einandersetzung nach sich ziehen könnte, und Sie
Duck" ^"m Freunde vor seiner Abreise Gesellschaft leisten.
Mvrn^ ^ie, denselben ungesäumt auf; mich belehren Sie
A juristischen Dingen ausführlicher.
Verm m°rgen, dachte der Assessor in fortwährender
>»ar nng. Wie fein! Der Grund von Kurt's Abreise
äMau keinen Augenblick zweifelhaft; nach seiner Ueber-
b>ar nk^ Jener der Gräfin seine Liebe gestanden und
ferm, bewiesen worden, und daher dann seine schnelle Ent-
Stad^ dem Hause, seine plötzliche Abreise aus der
' Der Assessor mußte Zeuge dieser Abreise sein,
> damit war das letzte Hinderniß fortgeräumt und er behauptete
' den Platz bei der Gräfin allein.
Die Letztere verlangte heute sehr früh ihren Thee,
welcher ihr von Frau Lessing unter Assistenz des Dienst-
mädchens scrvirt wurde. Dann wünschte die Gräfin, die
von einer heftigen Migräne befallen war, sich zur Ruhe
zu begeben.
Frau Lessing bot ihrer Mietherin noch verschiedene
Hausmittel gegen nervösen Kopfschmerz an, welche aber
von Letzterer dankend abgelehnt wurden. Sie meinte, daß
Ruhe und Schlaf für sie die besten Hausmittel sein würden.
Frau Lessing zündete noch dienstfertig die Nachtlampe im
Schlafzimmer an, löschte die Kerzen auf den Armleuchtern
im Salon und wünschte der Dame dann eine gute Nacht.
Als Frau Lessing über den Corridor in ihre Wohnung
zurückging, hörte sic noch, wie die Gräfin die Thüre ihres
Salons von innen abschloß. Nachdem Frau Lessing
? schon längere Zeil in ihrer Stube war, schlug die auf
r einem Console stehende Wanduhr Zehn.
Die Gräfin, sagte Frau Lessing zu ihrer Tochter, hat
f sich heute sehr früh zur Ruhe begeben; sie ist leidend.
Helene, welche im Schatten an dem Fenster saß, ant-
wortete nicht.
Frau Lessing sah von ihrem Sophaplatz, wo sie beim
Scheine einer Lampe die Abendzeitung las, nach ihrer
Tochter hinüber.
Du bist auch wohl unpäßlich? fragte sie besorgt, da
Du Dich so in das Dunkel zurückgezogen hast? DaS ist
doch sonst nicht Deine Art.
Mir fehlt nichts, versetzte Helene ruhig, ich bin nur
müde; es mag im Frühjahr liegen.
Frau Lessing nickte bedächtig. Der Flieder blüht,
sagte sie, zur Zeit der Fliederblüthe leiden viele'Menschen
an Schlafsucht. Wir wollen auch bald zur Ruhe gehen,
ich will nur noch diesen einen Zeitungsartikel lesen. Es
ist eine polizeiliche Bekanntmachung über einen gestern
i vorgckommcnen Einbruch, bei welchem viele Werthsachen