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Erscheint tilMch ruß« M»mag. Wsnnementr't'reiS mir
tzem wöchentl. UnterhaltungSblatt „Alt Heidelberg", für Heidel-
berg: monatlich 5V Mg. mit Trägerlohn, durch die Post be-
zogen viertelj. Ml. 1.25 ohne Zustellungsgebühr.

Menerat-Uu^iger.

Verkündigungs-Blatt fir dir Kkjirke Hridelderg, Weinheim, Achmtzingkn, Meslsch, Amshem, Sp-inze«,
Buchdruckerei und Expedition- Brunnengaffe 24.MMN, AdÜShelM, KSÄerg, T-Mdkrbisch-fsheM RUd Mkrthkil^

Anzeigen: die'1-fpalNge Petiizeik »der deren A«um für ruk-
wSrtS 1v Pfg., Lokalanzeigen 8 Wfg., Stellengesuche und
WohnungS-Anz. 3 Pfg. Reclam« ZH Pfg. Bei mehrm. Erschein,
bedeutenden Rabatt. GratiS-BerbreiNmg durch Mauer-Auschlag.

Mosbach, Neckarbischofsheim, Eberbach, Asches
Buchdruckerei und SWediti»»: Brunnengaffe >4-

M 278.

Verantwort!. Redacteur Friedrich Kley
in Heidelberg.

Sonntag, 23. November

Bruck und Berlag von Carl Pfeffer
vorm. Wurm L Pfeffer in Heidelberg.

MW.

VW" Erstes Blatt.
Bestellungen für den Monat
Deeember
auf das Heidelberger Tageblatt (General-Anzeiger)
(billigste Zeitung in ganz Baden), werden fortwährend von
fümmtlichen Postanstalten, Briefträgern und unseren bekannten
Agenturen zum Preise von Mk. —.55 frei in's Haus,
sowie von unseren hiesigen und den Trägern und Träge-
rinnen der nächsten Umgebung zum Preise von 50 Pfg.
monatlich entgeaengenommen._Die Expedition.
Die allgemeine Weltlage.
In den letzten Tagen hat sich wieder einmal gezeigt,
daß die öffentliche Meinung Europa's in Bezug auf Frie-
dens- und Kriegsfrage, trotz momentaner Beruhigung zur
Zeit der Kaiserreise, sich immer noch in einem gespannten
Zustande befindet. Die große Mehrfordernng des franzö-
sischen Kriegsministers für außerordentliche Hceresausgaben
in Höhe von 500 Mill. Francs, die Nachrichten über
Abschluß einer russischen Anleihe von mehreren hundert
Millionen Francs mit Hilfe französischer Banquiers und
die wiederholten Mittheilungen über neue Verschiebungen
der russischen Armee haben in der Presse des In- und
Auslands wieder jene, aus den letzten Jahren uns nur
zu wohl bekannte Beunruhigung hervorgerufen, welche im
Augenblicke zwar nicht gleichbedeutend mit unmittelbaren
Kriegsbefürchtungen ist, aber doch die Friedenssicherheit
wieder sehr herabgestimmt hat. Es wird demgemäß wieder
in manchen Blättern von einem gefährlichen Spielen mit
der Kriegsfrage Seitens Rußlands und Frankreichs ge-
redet, während andere von einem Kriegsbungen Nichts
wissen wollen. Immerhin dürfte es im Hinblick auf die
neu aufgetauchten Gerüchte geeignet sein, auf diejenigen
Thatsachen hinzuweisen, welche zur Beurrheilung dieser
heiklen Angelegenheit maßgebend sein können. Zunächst
kann nicht geleugnet werden, daß gewaltige Gegensätze in
den politischen Verhältnissen Europa's noch keineswegs
ausgeglichen sind, und daß zur Mahnung ihrer Stellungen
die einander gegenüber stehenden Parteien sich bis an die
Zähne bewaffnet haben, und daß die Völker in Bezug auf
die Kriegs- und Friedensfrage nun einmal in einen reiz-
baren, nervösen Zustand versetzt sind. Alle Politiker sagen
sich eben, daß die für den Austrag aufgeschobenen Gegen-
sätze in der Politik keineswegs völlig aufgehoben sind, und
daß der Kampf hierüber früher oder später einmal ent-
brennen muß.
Die außerordentlichen Rüstungen und Truppenver-
mehrungen in Deutschland, Frankreich und Rußland dürfen
als bekannt angenommen werden. Gleichwohl hat es mit

Die Sirene.
Roman, frei nach dem Amerikanischen, von Ernst v. Treuenfels.
78) (Fortsetzung.)
Auf dem Wege nach Schönburg, als sie „die Lorch"
Passirten, hatte Paul sich in die Kissen zurückgelehnt und
nicht einmal das Haus anzublicken gewagt, das er so
namenlos entehrt hatte.
Doch wie bebte bei der Rückfahrt sein Herz! Ein
sehnendes Heimweh erfaßte ihn und konnte er dem Wunsche
nicht widerstehen, zum letzten Male die Heimath zu sehen,
die er nie, nie wieder betreten sollte.
Er befahl dem Kutscher langsam zu fahren, als sie
dem Hause näher kamen, und, einem unwiderstehlichen
Drange folgend, lehnte er sich zum Wagen heraus, um
einen Blick auf das Haus zu werfen, in welchem er ein
Herz wußte, daß in so inniger Liebe für ihn geschlagen
und das er so tief, so bitter gekränkt hatte.
Da plötzlich bedeckte dunkle Röthe sein Gesicht, sein
Herz schlug fast hörbar, denn am offenen Fenster sah er
seine Mutter sitzen, die er so tief, so bitter gekränkt hatte.
Bleich, abgemagert, und kummervoll und mit gebeugtem
Kopfe saß sie da und in der Hand hielt sie den Brief,
den er ihr am vorigen Tage geschrieben hatte.
Er konnte sich in dem Briefe nicht irren, denn es
war das grüne Papier deutlich zu unterscheiden.
O, welche Gefühle durchbebten sein Herz, als er sah,
wie die geliebte Mutter plötzlich den Brief leidenschaft-
lich an ihre Lippen preßte und dann ihr Gesicht mit beiden
Händen bedeckte. Es war ein Anblick, welcher ihm das
Herz zerriß.
Seine Mutter, seine einst so stolze, stattliche Mutter,
die er schon einmal so tief verletzt hatte, seine Mutter, die
ihn immer so innig geliebt, deren Rath, wenn er ihn be-
folgt, ihn immer zum Guten geführt hatte: sie saß da,
gebeugt von Schmerz und Sehnsucht nach ihrem Sohne.

den Rüstungen in Frankreich und Rußland seinen Haken.
Frankreich ist mit seinem neuen Lebelgewehre noch lange
nicht fertig, die Anlage großer Lagerfestungen werden ihm
vielleicht mehr schaden als nützen, und Rußland ist wohl
im Stande 5—600000 Mann auf die Beine zu bringen;
schwer dürfte es diesem Reiche aber fallen — bei seinen innern
Calamitäten und seiner Finanznoth, sowie seiner großen Aus-
dehnung — rechtzeitig größere Heeresnachschübe zu vollziehen.
Mit dem Gedanken der militärischen Ueberlegenheit in
Frankreich und Rußland unserem Dreibunde gegenüber
brauchen wir also noch nicht zu rechnen, und so lange dies
nicht der Fall ist, steht auch ein Krieg noch nicht so nahe bevor.
Hat doch selbst das Organ des russischen Auswärtigen
Amtes, das „Journal de Petersbourg" in Bezug auf ein
russisch-französisches Bündniß neulich erklärt, daß Ruß-
land es zwar gerne sähe, wenn Frankreich seine alte Stel-
lung in Europa wieder erlange, daß die Interessen beider
Staaten aber vorerst den Frieden erheischten. Die Kriegs-
trauben hängen aber noch zu hoch und mit den vorerst
noch friedlichen Aussichten stimmt auch die Thronrede des
deutschen Kaisers überein.
Demschss Msich.
Berlin, 22. Nov. Der Bundesrath hat, wie be-
reits kurz gemeldet wurde, in seiner letzten Plenarsitzung
über die vom Reichstag in den verflossenen Tagungen an-
genommenen Gesetzentwürfe aus dem Gebiet der gewerb-
lichen und Arbeiterfrage Beschlüsse gefaßt und ist überall
zu lediglich ablehnenden Entschließungen gekommen. Es
handelte sich zunächst um den noch aus der Tagung von
1887 herrührenden Reichstagsbeschluß zum Arbeiterschutz.
Der Reichstag hat damals auf Anregung der Abgeordneten
Hitze und Lohren unter Zurückstellung weitcrgehender
socialpolitischer Forderungen fast einstimmig einen Gesetz-
entwurf angenommen, welcher die Frauen- und Kinderarbeit
in den Fabriken über das bis jetzt zulässige Maß hinaus
einschränkte. Wenn der Bundesrath jetzt diese Beschlüsse ab-
gelehnt hat, so übernimmt er damit die Verpflichtung, selbst
in kürzester Zeit mit Vorschlägen auf diesem Gebiete her-
vorzutreten. Sie gehören auch zu einer arbeiterfreundlichen
Socialreform und dürfen nicht länger aufgeschoben werden.
Auch den beiden vom Reichstage beschlossenen Resolutionen,
worin die Regierung um Vorlegung eines Gesetzentwurfs
zur Regelung der Beschäftigung von Kindern im Gewerbe
außerhalb der Fabriken (Hausindustrie) und um Veran-
staltung einer Untersuchung über die Ausführbarkeit eines
Maximalarbeiters für erwachsene Arbeiter in Fabriken ersucht
wurde, Hal der Bundesrath keine Folge zu geben beschlossen.
Auch der in der vorigen Tagung auf Anregung der Ab-
geordneten Lieber und Hitze vom Reichstag ebenfalls

O, sie hatte recht gut vorausgesehen, wie verhängniß-
vvll diese unglückselige Leidenschaft für ihn werden sollte.
Und trotzdem, daß er ihr so bitteres Weh zugefügt, leuch-
teten ihre milden Augen doch hell auf. Ach, die Mutter-
liebe verzeiht ja so gern. Und trotz all' seiner Schwächen
blieb Paul doch ihr Liebling.
Paul ließ den Wagen halten, sprang herab und eilte
den Pfad entlang, den man von dem Fenster, an welchem
Mrs. Prant saß, überblicken konnte, und als er seine
Augen zu einem flüchtigen, halb furchtsamen, halb sehn-
süchtigen Blicke erhob, sah er das aufleuchtende Gesicht
seiner Mutter, das jedoch sofort vom Fenster verschwand.
Einige Augenblicke später öffnete sich die Thür und
in derselben stand die geliebte Mutter, ihn mit ausge-
breiteten Armen bewillkommnend, wie einst der Vater den
verlorenen Sohn.
„Paul! Mein lieber, theurer Paul! Du bist doch
zurückgekommen, damit ich Dir vergeben kann!"
„Meine gute, theure Mutter!" stammelte Paul mit
tief bewegtem Herzen.
„O, sprich nicht, sprich nicht, mein Sohn! Ach, wie
konntest Du Deine alte, treue Mutter verlassen?"
Ihre Arme umschlangen seinen Hals, während die
liebevollen Augen, von Thränen verschleiert, ihn glück-
strahlend anschauten.
Auch in Paul's Augen glänzte eine Thräne; mit
inniger Liebe umschlang er seine Mutter und mit gepreßter
Stimme sagte er:
„Kannst Du mir verzeihen, Mutter? O, wenn Gott
und meine Mutter mir verzeihen, dann —"
Seine Stimme brach, er konnte nicht fortfahren.
Fester und inniger umschloß sie den reuigen Sohn.
„Dir vergeben?" sprach sie. „O, die Mutterliebe
vergiebt ja so gern, Paul. Du hieltest Deine Leidenschaft
für Liebe und wie könnte ich Dir deßhalb zürnen? Ich
konnte Dir ja keine Vorschriften machen, und wenn mein
Herz auch blutete bei dem Gedanken, daß Dich diese unselige

fast einstimmig beschlossene Gesetzentwurf zur Einschränkung
der Sonntagsarbeit wurde vom Bundesrath abgelehnt.
Mit ungleich größerer Befriedigung wird man vernehmen,
daß dasselbe Schicksal auch dem Gesetzentwurf Ackermann-
Biehl zur Abänderung des ß 100 s der Gewerbeordnung
(Erweiterung der Jnnungsprivilegien) widerfahren ist.
Derselbe wollte, wie erinnert sein mag, die Erthcilung der
Privilegien hinsichtlich des Lehrlingswesens von dem Mehr-
heitsprincip abhängig machen, sie nicht mehr in das Er-
messen der höheren Verwaltungsbehörden stellen und be-
währte Leistungen im Lehrlingswesen als Bedingung
fordern, sondern den Innungen einen rechtlichen Anspruch
darauf zuerkennen, wenn denselben die Mehrheit der Ge-
werbetreibenden angehört.
Berlin, 22. Nov. Die Reorganisation der höheren
Stäbe der Feldartillerie und des Großen General-
stabes ergicbt sich aus den Etats folgendermaßen: Die
Feldartillerie soll, unter Beseitigung ihrer der Fußartillerie
und dem Jngenieurcorps analogen besonderen Organi-
sation, wie die Fußtruppen und die Cavallerie, den Ge-
neralcommandos unterstellt werden. Dadurch wird der
Fortfall der Generalinspection der Feldartillerie und der
vier Feldartillerie-Jnspectionen nebst allem Zubehör be-
dingt, wogegen den Generalcommandos je ein weiterer
Adjutant zuzutheilen ist. Daneben bleibt, zur Leitung und
Beaufsichtigung in der artilleristisch-technischen Ausbildung
der Feldartillerie eine besondere Jnspection der Feld-
artillerie auch weiter erforderlich. Was ferner den Großen
Generalstab anlangt, so sollen die einzelnen Abtheilungen
desselben, welche bisher dem Chef des Generalstabes un-
mittelbar unterstellt waren, zu größeren Verbänden unter
Leitung von Generalen vereinigt werden; letztere werden
dadurch zugleich Gelegenheit erhalten, sich in der Stellung
als Oberquartiermeister mit den ihnen im Kriege zu-
fallenden wichtigen Aufgaben schon im Frieden vertraut zu
machen. Dagegen kommt die Stelle des Generalquartier-
meisters in Fortfall.
DsDekLKrH-MLzKLK.
Wien, 22. Nov. Die am Dienstag in Wien einge-
troffene „Nowoje Wremja" meldet, 60 bulgarische
Officiere, welche seit 2 Jahren dem russischen Heere
zugetheilt seien, hätten Mittheilung von einer kaiserlichen
Entschließung erhalten, wonach sie entweder in russische
Dienste treten oder das Heer verlassen müßten.
Kvßksstz.
Petersburg, 22. Nov. Der Brüsseler Correspondent
der „Times" erfährt, daß die russische Regierung
alle ihre Militärattaches im Auslande, mit Aus-
nahme derer in London, Berlin, Wien und Konstantinopel,
abzuberufen gedenkt.

Leidenschaft an den Rand eines tiefen Abgrundes stellte,
so verzieh ich Dir doch; denn ach, ich habe ja nur Dich,
Dich allein noch im Leben."
Paul lehnte seinen Kopf mit kindlicher Liebe an ihr
edles ergrautes Haupt, indem er sprach:
„O, Mutter, ich war ein unwürdiger Sohn! Ich
habe Deine Geduld stärker versucht, als menschliche Nach-
sicht ertragen kann; aber ich war in einem festen Banne
der Leidenschaft und habe einen Traum geträumt, dem ein
entsetzliches Erwachen gefolgt ist."
Seine Lippen preßten sich einen Moment zusammen
und nach einer Pause fuhr er fort:
„Der wüste Traum ist zu Ende und die lockende
Sirene wird Dich nicht mehr kränken!"
Sie sah ihn fragend an und entgegnete:
„O, Paul, Du ahnst nicht, wie glücklich mich diese
Deine Worte machen; aber ist es auch wahr? Ist Alles
vorüber zwischen Dir und —"
Er unterbrach sie mit ernster Stimme:
„Es ist alles vorbei, Mutter, der Tod hat die unselige
Kette gelöst, vor wenigen Minuten ist Marianne gestorben."
Mrs. Prant's Lippen bebten bei der überraschenden
Nachricht und tiefes, ernstes Schweigen folgte derselben.
Niemals, so lange sie lebten, wurde der verhängniß-
volle Name zwischen ihnen wieder genannt.
Alles dies war an der Thür verhandelt worden.
Sie erfaßte die Hand ihres Sohnes und sprach mit herz-
lichem Tone:
„Doch nun komm' in's Haus, mein Paul, o, Du
kannst Dir nicht denken, wie einsam ich mich gefühlt habe,
als Du nicht da warst."
„Meine theure Mutter!"
„Komm nur, mein Sohn, es ist Alles vergeben und
vergessen und nun werden mit Gottes Hilfe neue und
glückliche Tage in mein Haus einkehren; denn ich hoffe —"
Ein leises Zucken ließ sich in dem Gesichte Paul's
sehen und mit sichtlicher Verlegenheit unterbrach er sie:
 
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