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Heidelberger Tageblatt: unabhängige Zeitung für Nordbaden — 1888

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Nr. 283-306 (1. - 30 Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.70375#1457
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Erscheint täglich «aßcr M-Ntllg. Msm»e«eitt--reis mit
»em wöchmtl. Unterhaltungsblatt „Alt Heidelberg", für Heidel-
berg: monatlich 5« Mg. mit Trägerlohn, durch die Post be-
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Buchdruckerei und Expeditton: Brunnengaffe 24.WaMkN, AdelsheM, KSLbekg, TL«btrdischoföhkM UUtz Mtrihki«.Buchdruckerei und «r-Mtid«: Brmmengaffe ,4-

.HL 2 W.

Beranttvortl. Redacteur Friedrich Kley
in Heidelberg.

Sonntag, 9. Deeernber

Druck und Berlag von Earl Pfeffer
vor«. Wurm L Pfeffer in Heidelberg.

L888.

ÄM- Erstes Blatt.
AHs' Unsere heutige Nummer umfaßt mit „Weih-
nachts-Anzeiger" und „Unterhaltungsblatt" 26 Seiten.
Gin gestnrster Botschafter.
Seit einigen Tagen wird das öffentliche Interesse
von der Politik abgelenkt durch die eigenlhümlichen Gerüchte,
welche über den bisherigen spanischen Botschaft am deut-
schen Hofe, Grafen Benomar, im Umlauf gesetzt worden
find. Die plötzliche Abberufung dieses Mannes von dem
Posten, den er so lange inne gehabt, den er zur vollen
Zufriedenheit der vielen Regierungen der letzten 15 Jahre
und des Leiters der deutschen auswärtigen Politik be-
kleidet hat, mußte natürlich großes Erstaunen erregen und
zu Ermittlungen über die Ursachen dieser unerwarteten
Verfügung herausfordern. Man hat guten Grund zu der
Annahme, daß cs weniger die „Thaten" des Grafen Beno-
mar find, welche seine Abberufung und die ihm erwiesene
Ungnade hcrbeigeführt haben, als vielmehr politische Gegen-
sätze und Jntriguen, welche aus persönlichen Interessen
gegen ihn angcsponnen worden sind. Es war feit lange
für Niemanden ein Geheimniß, daß der bisherige Bot-
schafter in den vertrautesten Beziehungen zu den Führern
der conservativcn Partei stand, namentlich mit Canovas
de Castillo eng befreundet war. Er beharrte denn auch
jedes Mal, da die Liberalen an die Regierung gelangten,
nicht darauf, auf seinen Posten zu bleiben, sondern gab
vielmehr im Gcgentheil in diesen Fällen wiederholt seine
Absicht zu erkennen, von seinem Amt enthoben zu werden.
Wenn die Liberalen seine Entlassungsgesuche nicht an-
nahmen, so war der Grund hierfür die richtige Erkcnntniß,
daß es praclisch war, auf dem äußerst schwierigen Berliner
Posten diesen Mann zu belassen, der Jahre lang mit
großem Geschick die Interessen Spaniens in Berlin
vertreten hatte und sich der Anerkennung und des Wohl-
wollens des Fürsten Bismarck im vollsten Maße er-
freute. Man wußte nur zu wohl, daß es nicht leicht
sein würde, eine andere geeignete Persönlichkeit in den
Reihen der der liberalen Partei angehörenden Diplomaten
zu finden; und die Neubesetzung des Berliner Postens
hat dres jetzt bewiesen, denn Graf Rascon wurde erst
in dritter Linie hierfür ausersehen, nachdem zwei andere
Diplomaten, Albreda und Mazo nämlich, diese Ehre ab-
gelehnt hatten. So ließ denn Sagasta 188l wie 1885 den
Grafen Benomar auf seinem Posten, obgleich cs ihm im
Grunde wohl sehr lieb gewesen sein würde, ihn durch eine
andere Persönlichkeit zu ersetzen. Vielfach behauptet man,
die Demokraten hätten wegen seiner Sympathien für Deutsch-
land einerseits und sür die Conservatioen andrerseits seinen

Sturz herdeigeführt. Soweit Einblick in die Angelegen-
heit möglich ist, scheinen nun folgende Umstände vorzu-
liegen. Als aus Anlaß der offenkundigen Bestrebungen
der Conservatioen, der Herrschaft der Liberalen ein Ende
zu machen, und aus Anlaß der Propagandareise Canovas
de Castillos nach Katalonien und in Folge seiner daselbst
gehaltenen heftigen Reden der Zwist zwischen der Regie-
rung und ihren conservatioen Gegnern sich zum Kriege
zwischen ihnen zuspitzte, gelangte zur Kenntniß eines demo-
kratischen Ministers, daß sich Canovas im Besitze mehrerer
Actenstücke befinde, welche zwischen den Regierungen Spa-
niens und Deutschlands gewechselt worden sind und die
dem Führer der Conservatioen nur von dem Grafen Beno-
mar zugeftellt sein können. Diese Urkunden sollen indessen
angeblich nicht im Original, sondern in Copien vorhanden
sein. Ob nun eines von diesen Schriftstücken sogar in die
Hände der Regierung gefallen, das ist noch nicht klar, eS
läßt sich aber daraus schließen, daß die „Epoca" und
andere conservative Blätter von einem Vertrauensmißbrauch
sprechen, den Freunde oder Hausgenossen de Castillos an
diesem begangen haben. Gleichzeitig wirb von diesen Blät-
tern hervorgehoben, daß es sich um diplomatische Actcn-
stücke aus den Jahren 1882 und 1883 handelt, aus jener
Zeit im besonderen, in welcher der Marques Vega de
Armijo Minister des Aeußern war. (Es soll sich um
Verhandlungen betreffs der Stellung Spaniens zum Drei-
bund handeln.) Die eine Anklage, welche gegen den
Grafen Benomar angeblich erhoben worden, ist somit;
Canovas de Castillo diplomatische Aktenstück zugänglich ge-
! macht zu haben, die ihrer Natur nach geheim gehalten
s werden wußten. Die zweite Beschuldigung lautet: nach
- seiner Abberufung von Berlin daselbst noch die Geschäfte
i des Botschafters weiter geführt zu haben. Worauf sich
l dies bezieht, darüber verlautet noch nichts.
z — Deutsches Weich.
Karlsruhe, 6. Dec. Gestern nach der Ankunft in
f der Residenz besuchten, dem Hofberichl zufolge, II. KK.
s HH. der Großherzog und die Großherzogin, S.
i Gr. H. den Prinzen und I. Kais. H. die Prinzessin Wil-
; Helm, sowie S. Gr. H. den Prinzen Karl und Höchstdessen
: Gemahlin, die Frau Gräfin Rhena. Heute Vormittag
empfing der Großherzog den Finanzminister Ellstätter zu
l längerem Vortrag. Nachmittags nahm S. K. Hoheit die
i Vorträge des Geheimenraths Frhru. v. Ungern-Sternberg
und des Legatioussecretärs Frhru. v. Babo entgegen.
Berlin, 6. Dec. (Reichstag.) Bei fortgesetzter
i Berathung der Alters- u. Invalidenversicherung
- spricht Abg. Buhl sich sehr warm für die Vorlage aus,
> als einen großen wirthschaftlichen Fortschritt. Dieselbe

könne in der Commission in manchen Punkten, namentlich
bezüglich der Altersgrenze, der Gewährung vorübergehender
Rente bei vorübergehender Erwerbsunfähigkeit, bezüglich
der weiblichen Arbeiter, der Höhe der Rente und der Bei-
träge verbessert werden. Die in der Vorlage vorgeschlagene
Aufbringung der Beiträge durch das Reich, die Betriebs-
inhaber und die Arbeiter zu je einem Drittel, sowie der
staatliche Versicherungszwang sei das allein Richtige.
Die Einwendungen des Abgeordneten Grillenberger seien
fast durchweg haltlos. Buhl erklärt sich mit der Carenz-
zeit einverstanden, will aber die Uebergangsbestimmungen
in der Commission so verbessert haben, daß den-
selben auch die Gegner des Capitaldsckungsverfahrens ihre
Billigung nicht versagen können. Betreffs der Organi-
sationsfragen gingen die Absichten seiner Partei auseinan-
der; einstimmig aber seien sie betreffs möglichster Centrali-
sirung der Versicherung im Interesse der Arbeiter selber.
Dem Verhältniß von Reich und Bundesstaaten seien die
Vorschläge der Regierungen vom Jahr 1882 zu Grunde
zu legen. Das Markensystem sei das Zweckmäßigste.
Abg. Hitze (Centrum) hebt dem Abg. Grillenberger gegen-
über den principiellen Unterschied der Invalidenrente
von der Armenunterstützung hervor. Die Erhöhung der
Rente sei ohne genügende statistische Unterlagen unmög-
lich, die Einführung der vorübergehenden Invalidität
aber nothwendig. Hitze hält ferner für einen der be-
denklichsten Punkte des Entwurfs die Frage des Reichs-
zuschusses. Dieser bedeute doch nur eine schärfere
Heranziehung der Steuerzahler, damit der Arbeiter, der
bis zu 2000 Mk. jährlich verdiene, eine Altersrente be-
ziehe. Viel eher wäre ein Rcichsbeitrag bei der ersten
Einrichtung der Versicherung oder als Ersatz für den Er-
laß oder die Stundung der Beiträge für Familienväter
gerechtfertigt, sowie eine größere Fürsorge für die Hinter-
lassenen des Arbeiters als geschehen erwünscht. Wir glauben
an die wohlthuende Wirkung des Gesetzes im ganzen und
hoffen von der endlichen Feststellung eine Befestigung des
socialen Friedens. Abg. v. Helldorf (conseroatio) ist im
ganzen und einzelnen für den Entwurf, der den socialen
Frieden fördern werde, und spricht sich für eine größere
Dccentralisation aus, da die Ansammlung allzu großer
Capitalien in einer Hand gefährlich werden könnte.
Abg. Schrader (Fortschritt) bemängelt die statistischen
Unterlagen des Entwurfs als ungenügend und erklärt seine
Partei müsse die Verantwortung für das Gesetz ablehnen.
Redner findet die Rente zu niedrig. Dieselbe würde die
Armenpflege nicht ersetzen. Die Rente müsse deshalb er-
höht werden, was eine Erhöhung der Steuern zur Folge
haben würde. Abg. Le uscher (freiconservativ) empfiehlt,
das Gesetz auch aus die kleinen Handwerker auszudehnen,

Schloß Denby.
Aus dem Englischen von A. Tebbitt.
10) (Fortsetzung.)
„So schreitet kein Geist", denkt Henry bei sich, inner-
lich lachend, und seine Thür langsam hinter sich zuziehend,
folgt er eben so langsam und leise der voranschreitenden
Gestalt. Am Ende des Korridors biegt sie in einen
Seitengang, dann einige Treppen hinauf, und endlich
schlägt sie die Richtung nach der Gemäldegallerie ein,
Henry stets in derselben Entfernung hinter ihr. An den
Bildern steifblickender Damen und stolzer Ritter schreitet
sie vorüber und Plötzlich, — ist sie verschwunden. Ec reibt
seine Augen, geht einige Schritte weiter noch, — nein sie
ist nicht mehr da. Wohin kann sie gekommen sein? Dort,
wo er zuletzt sie sah, ist keine Thüre, kein Fenster, nur
zwei lebensgroße Figuren in Bronze. Der lange Saal
ist nicht so Helle, wie der Corridor, aber dennoch herrscht
ein gewisses Dämmerlicht, welches ihn die Umrisse der
Bilder, die wenigen Sessel die dort stehen, sowie ein riesiges
Kamin erkennen läßt. An der Stelle, wo die Erscheinung
verschwand, sieht er nur zwischen den beiden Figuren, das
dunkle Holzgctäfel vor sich. Unwillkürlich überläuft ihn
doch ein leiser Schauder. Konnte ein irdisches Wesen so
spurlos verschwinden, hätte es nicht den Weg durch eine
Thüre oder selbst das Fenster genommen? Doch sein ge-
sunder Verstand kam ihm gleich zu Hilfe. Er befand sich
in einem alten, weitläufig gebauten englischen Landsitze, in
dessen Treppen und Gängen er sich am Anfang nur schwer
zurechtfinden konnte. Natürlich mußte es noch geheime
Winkel und Thüre geben, von derem Dasein er als Frem-
der keine Ahnung haben konnte. An der eichenen Holz-
schnitzerei vor ihm, mußte sich sicher ein Knopf oder Drücker
befinden, den eine Feder in Bewegung setzte, oder auch
ganz einfach nur eine kunstvoll angebrachte Thüre öffnete,
welche den Blicken eines Uneingeweihten entgehen mußte.

Am folgenden Tage, so nahm er sich vor, wollte er zurück-
kommen und den geheimnißvollen Ausgang ausfindig machen,
denn jetzt würde es doch vergebliche Mühe sein, darnach
zu suchen. Aber wenn er jetzt wieder in sein Zimmer
zurückging, hatte er doch seine Neugierde nicht befriedigt.
Wer war es, der in später Stunde die kalten Treppen
und Säule durchwanderte, und in einem, so viel ihm be-
kannt, gänzlich unbewohnten und abgegebenen Flügel des
Schlosses sich begab? So viel er aus der Entfernung
hatte wahrnehmen können und den Gewändern nach zu
schließen, mußte es eine Frau gewesen sein, allein die
Tracht, die schleppende Robe konnte auch von einem Manne
umgeworfen worden sein, um einen etwaigen, unerwünschten
Beobachter irre zu leiten. Vielleicht um den Gedanken an
Gespensterspuck, der unter der Dienerschaft (und nicht nur
unter ihr allein) zu erhalten und zu nähren. Wenn dies
der Fall, so mußte ein Grund hierfür vorliegsn, ein Grund,
der allen verborgen sein und bleiben sollte.
Henry war jetzt ganz der Advokat, der Rechtsanwalt,
der die Dinge von allen Seiten prüft und ausforscht, der
das Motiv zu jeder Handlung sucht, das Für und Wider
sorgfältig abwägt, ehe er seinen Schluß zieht. Drum fühlte
er auch jetzt nicht die Kälte, die in der großen öden Halle
herrschte, als er sich in der Nähe des Eingangs nieder-
ließ. Der Geist würde wohl wieder zurückkehren, jeden-
falls wollte er geduldig darauf harren, und in dem Augen-
blicke, wo er aus dem Gemäldesaale in den Hellen Gang
trat, mußte er die Züge, wenn sie nicht absichtlich verhüllt
waren, deutlich erkennen können.
So saß er denn stille und lauschend, mit dem sonder-
baren Vorgänge vollauf beschäftigt. Dann plötzlich legte
sich das kalte Gefühl wieder auf seine Brust, welches in
den letzten Tagen ihn ganz verlassen hatte, die Furcht, die
Gewißheit fast, daß Schloß Denby ein Geheimniß ein-
schließe und daß dem Verschwinden seines Bruders eine
andere Ursache zu Grunde liegen könnte, als die, welche
er angenommen hatte.

- „Ich will das Dunkel erhellen", sagte er sich mit
, Entschlossenheit, „nicht Mühe, nicht Zeit und nicht Geld
! will ich sparen, vielleicht kann ich mit letzterem etwas aus-
f richten, Wilson. Er ist der Mann, der mir helfen könnte,
wenn er wollte. Ich muß es versuchen."
In diesem Augenblicke machte ein leises Geräusch ihn
aufschauen. Es mußte durch das Oefsnen der geheimen
Thüre entstanden sein, denn als Henry aufblickte, sah er
die weiße Gestalt durch den langen Saal schreiten. Sie
wandelte nicht so langsam wie vorher und die Fußtritte
: waren deutlicher hörbar. Als sie in den, durch die Mond-
z strahlen hellbeleuchteten Gang trat, verhüllte sie rasch das
i ganze Haupt. Aber der Advokat hatte selbst in dem kurzen
z Momente die Züge erkannt — es waren die des alten
s Dieners, mit den er soeben in seinen Gedanken sich be-
schäftigt. Er erhob sich hastig, aber geräuschlos und folgte
dem Verkleideten, dem die Rolle, die er zu spielen hatte,
keineswegs vertraut zu sein schien. Fast hätte Lister laut
auflachen müssen, als er bemerkte, wie ungeschickt der Geist
über die lange Schleppe stolperte, und einmal hörte er
sogar einen halblauten Fluch. Wilson ging nicht denselben
Weg, den er gekommen, sondern schlug den Corridor ein,
der nach der Bediententreppe führte. Henry folgte
ihm nicht weiter, sondern kehrte nachdenkend in sein Zimmer
: zurück. Den Menschen hatte er sicher nicht als Gespenst
s zu sehen erwartet, und er vermochte nicht zu begreifen,
l was tiefe Mummerei zu bedeuten haben könne. Aber er
ist müde und kalt, und sehnt sich jetzt nach einigen Stunden
Schlafes. Morgen, oder vielmehr heute noch, will er
seinen Forschungen mit Vorsicht und Eifer Nachgehen.
„Was gibt es denn jetzt da unten wieder", sagte er
ärgerlich, und blickt durch das Fenster des Ankleide-
i zimmers, von welchem aus man die Stallungen über-
- sehen kann.
„Da ist ja der unruhige Geist, ohne Talar uno
? Grabesgewänder, — so jetzt übernimmt er die Rolle des
Z wilden Jägers wohl. Richtig, da schwingt er sich au,
 
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