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EINLEITUNG

III

»In dieser niedlichen, unnachahmlich gebliebenen Welt, diesem wahren
Pantheon des Rokokozeitalters haben wir das einheimische Gewächs, zu dem sich
die exotische Kunstpflanze acclimatisierte. Für diese artigen, munteren, graziösen,
phantastischen, gepuderten Leutchen, deren Gang ein Tanz ist, war die mensch-
liche Grösse offenbar viel zu plump; der weisse Marmor war nichts für sie, wohl
aber die vornehm blassen, geschmackvoll harmonischen Farben dieser feinen Erde
mit ihrer schimmernden, durchscheinenden Oberfläche. Glücklich die Zeit, welche
sich mit so kindlicher Heiterkeit über dies aus dem Spiegel der Kunst zurück-
geworfene Puppenspiel ihres Daseins belustigen konnte!«1)
Justi meint weiter, erst im Porzellan habe die Plastik der Rokokozeit das
Material und die Dimensionen erhalten, für die sie eigentlich bestimmt war. Julius
Lessing spricht geradzu von einer Art von .Wechselwirkung zwischen Porzellan und
Rokoko.5) Im Porzellan finden die ästhetischen Grundanschauungen des Rokoko
ihren vollkommensten, lebendigsten Ausdruck. Der Kunstzweig hat seine eigenen
ästhetischen Bedingungen, welche unmittelbar aus der lebendigen Kunstentwick-
lung der Zeit herauswachsen. Im Zusammenhang von Cabinet und Boudoir des
Rokoko, wo sie hin gehörte, muss man diese Kunst betrachten, um sie richtig
zu verstehen.
„Wiederholte Durchdringung mit dem genialen Schwung des Barockstiles
und der niederländischen Malerei und die feinsinnigste Läuterung dieser befruch-
tenden Elemente“ hätten nach August Schmarsow zum Werden dieses Stiles
beigetragen.6) Gewiss liegt auch in dem plastischen Zuge, welchen das Rokoko
in die asiatische Porzellankunst hineintrug, welche diesen Zug in dem Mafse nicht
kennt, ein gemilderter Nachklang der plastischen Gestaltungskraft des Barock. Aber
der Grundzug des Rokoko ist doch ein malerischer: „Sie ist malerisch gewordene
Kunst in eminentem Sinne!“ Das Vorwiegen der malerischen Anschauung
äusserst sich auch in diesem plastischen Zweige der Kunst des Rokoko, der einen
Teil ihrer Innenkunst bildet.
Das Gemach des Rokokostiles ist ein einheitliches Gewächs: das Ganze
soll als zusammenhängendes Bild dastehen, in welchem die einzelnen Teile nur
im grossen Zusammenhang betrachtet sein wollen, ein Teil mit dem anderen
den engsten Zusammenhang wahrt. Ueberall Vermittlung, taktvolle Einordnung;

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