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Hugo Helbing <München> [Hrsg.]
Sammlung Eduard v. Grützner, München: europäische Kunst - altes Kunstgewerbe, alte Möbel, Vertäfelungen und Öfen, altdeutsche Gemälde und frühe Glasgemälde, Skulpturen, Textilien u Orientteppiche, Gemälde u. Zeichnungen v. Eduard von Grützner ; [Verst.: Dienstag, den 24. Juni u. folg. Tage] — München, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.1106#0009
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\ TOR knapp fünf Jahren, am 2. April 1925, ist Eduard Grützner in München ge*
V starben, hochbetagt und hochgeehrt. Der letzte der großen Pilotyschüler, der letzte
populäre Maler von Bedeutung aus diesem großen Kreis von Künstlern, der im 19. Jahr-
hundert einmal Münchens Blütezeit als Kunststadt, Münchens Rang als erste Kunst;
zentrale Deutschlands geschaffen und einige Zeit gehalten hatte. Er starb in seinem
Hause an den Gasteiganlagen, das in den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts
fast Weltruhm hatte, das damals von Königen und Fürsten, von Sammlern und Kunst*
freunden aus aller Herren Länder als künstlerische Sehenswürdigkeit besucht und be*
staunt wurde. Jetzt wird das Künstlerheim ausgeleert und die Sammlungen werden
verstreut. Damit schwindet wieder eine Reliquie von unschätzbarem Werte, ein letztes
Zeugnis einer bestimmten, malerischen Ateliertradition, das einzige, das in München
noch vorhanden war.

Der Verlust ist gewiß zu bedauern, aber es hat keinen Zweck über die Zerstör
rung eines Denkmals zu klagen, das schon lange keine Existenzberechtigung mehr hatte,
das der Vergangenheit angehörte, so wie Grützners Kunst schon längst der Geschichte
angehört. Ohne die markante Persönlichkeit des Hausherrn, des liebenswürdigen, humor*
voll heiteren, gastfreundlichen Mannes, mit den scharfen, wohlwollenden Augen war auch
dieses Kunstwerk tot. Es hatte Zweck und Wirkung verloren, weil die Seele fehlte, die
ihm den Atem gegeben hatte. Die Sammlung war selbst ein Stück Grütznerscher Kunst.
Jedes Möbel, jeder Silberpokal, jeder Teppich, jede Glasscheibe hatte einen bestimmten
Platz, jedes Kunstwerk war Partikel eines großen Ensembles, Teil eines malerischen
Ganzen, das von einem Künstler mit einer bestimmten, malerischen Einstellung ge*
schaffen war. Nicht nach dem Seltenheitswert hat Grützner die Stücke gekauft, obwohl
seine antiquarische Kennerschaft eine ganz erstaunliche und intime war, sondern nach
künstlerischen Bedürfnissen, weil Form oder Farbe entsprachen, einem vorhandenen oder
geplanten Milieu sich einfügten. Das Haus war im Kopf des Malers schon fertig, bevor
es nach seinen Angaben von Romeis^gebaut wurde. Die Vertäfelungen, die Decken, die
Möbel waren auf Studienreisen gesammelt, jeder Raum hatte seinen Charakter, dem der
Baumeister nur mehr die Form wieder zu geben hatte. Diese Form ist mehr malerisch
als architektonisch. Sie entspricht dem koloristischen Geschmack des Künstlers, der durch
die Pilotyschule seine Richtung erhalten hatte, sie entspricht der historisch gerichteten
künstlerischen Einstellung der sechziger, siebziger Jahre. Malerische Räume im Sinne des
damaligen Kunstverstandes, mit dunklen Ecken, aus denen die goldgefaßten Heiligen*
figuren aufleuchten, Wände mit naturfarbener Vertäfelung, Holzdecken mit geschnitz*
ten Balken, Fensternischen mit Sitzbänken und farbigen Stoffen, auf die das Licht durch
bunte, alte Scheiben gedämpft hereinfiel, lauschige Winkel, Regale mit schweren Foli;
anten in Pergamentbänden, alte Schrankmöbel und Stühle in malerischer Gruppierung,
ein Arrangement in einem bestimmten Ateliergeschmack, der durch die retrospektive
Orientierung der verspäteten Romantik dieser Jahrzehnte bedingt war.

Gewiß war dieser Geschmack bis zu einem gewissen Grad Erbe, geistiges Eigen«
tum der Schule, die die Historienmalerei kultivierte, Ausfluß der künstlerischen Erzieh»
ung, aber er hatte hier seine besondere Note erhalten, durch die besondere Veranlagung.
Von anderen gleichzeitigen Malerateliers, den monumentalen Räumen voller Imitationen,
ist die Wohnung und Sammlung Grützners unterschieden durch die Echtheit, die Ab*
neigung gegen Surrogate, und durch die Intimität. Die Treue im Geschichtlichen korre*
spondiert mit der Treue im Malerischen, der Neigung zur miniaturhaften Ausführlich*
keit, der Freude am Gegenständlichen, der Vorliebe für das Stilleben. Die Sammlung
 
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