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Hirschel, Grete
Le livre des Quatre Dames von Alain Chartier: Studien zur französischen Minnekasuistik des Mittelalters — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.51682#0035
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einem vom Liebesgott einberufenen Gerichtshof gefällt, der aus
Vögeln besteht,sodaß diesen hier eine wichtige, sogar aktive Rolle
beigelegt wird.
Daß in Alain Chartiers Frühlingsschilderung die
Wiese mit bunten Blumen und das duftende Gras nicht fehlt, das,
wenn der sanfte Wind darüber streicht, einen köstlichen Wohl-
geruch ausströmt, ist selbstverständlich als unentbehrliches Detail
der Ideal- wie auch der Reallandschaft17.
Weniger selbstverständlich aber und deshalb ein deutlicher
Beweis für die Anlehnung an das Paradiesgartenmotiv ist der aus-
drückliche Hinweis, daß an dem herrlichen Ort das Reich der
Liebe zu sein schiene und ewiger Frühling da herrsche: “Lä
sembloit amours seignourir: Nul ne puet vieillir ne mourir, Ce me
semble, tant qu’il y soit“18 *.
Weiter spricht Chartier von einem Bächlein, das mit
seinem klaren Wasser lieblich plätschernd den Boden feucht er-
hält, und aus dem die Vögel trinken10. Eine lebendige Quelle bricht
aus dem natürlichen Felsen hervor, ein Symbol des Lebens, das
keiner Paradiesgartendarstellung fehlt.
Von einem besonders schönen Baum findet sich bei Char-
tier keine Spur und auch ein Schloß ist nicht erwähnt. Allerdings
darf angenommen werden, daß der Turm, aus dem die vier Damen
herauskommen20, eine ähnliche Funktion hat wie der ursprüng-
liche Palast des Liebesgottes, daß also Turm hier gleichsam als
pars pro toto für Palast steht. Das erscheint umso wahrscheinlicher,
als auch in Guillaume de Machauts “Jugement du roi de
Behaingne“21 der Debat, dem der Dichter unbemerkt lauscht, sich
neben einem schönen Turm22 entspinnt.
Fruchttragende Bäume finden sich in Chartiers Frühlings-
landschaft nicht, aber blühende Bäume, und zwar blühen sie so
weiß, daß es aussieht, als ob Schnee sie bedecke23. Diese weiße
Blütenpracht läßt darauf schließen, daß Chartier wohl an
blühende Obstbäume dachte. Daß er sie nicht als fruchttragend
darstellt, zeugt für den Realitätssinn des Dichters, der, obwohl er
einige Züge dem konventionellen Paradiesgartenmotiv entlehnt, im
Grunde sich bemüht, eine wirkliche Frühlingslandschaft zu schil-
dern, was ihm aber infolge der unwahrscheinlichen Häufung der
Motive nicht gelingt. In schlichten Ausdrücken zählt er die Herr-
lichkeiten des Frühlings auf. Dabei bleibt es aber auch, es fehlt
die starke Form, die alle Einzelzüge zu einem lebendigen Ganzen
zusammenfaßt.
17 V. 9—12, 22, 59—60, 75—76, 140—42, 150—52.
18 V. 56—58.
10 V. 61—65.
20 V. 162.
21 Oeuvres, ed. par Ernest H o e p f f n e r, Paris 1908. t. I. p. 58.
22 y 29.
23 V. 53, 77—80.

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