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Hirschel, Grete
Le livre des Quatre Dames von Alain Chartier: Studien zur französischen Minnekasuistik des Mittelalters — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.51682#0040
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dern auch die zahlreichen, meist sinnvollen Kürzungen, die Kuss-
mann so negativ wertet.
P ist allerdings sehr stark gekürzt, nimmt aber dadurch keine
„separate Stellung im Kreis der überlieferten Texte ein“, sondern
bildet vielmehr mit den beiden in der Bibliotheque Nationale zu
Paris befindlichen Handschriften 20026 (U) und 2230 (V) eine
Gruppe gekürzter Handschriften, auf die im Folgenden ausführ-
licher eingegangen wird.
Was die Natur der Kürzungen anlangt, so beeinträchtigen sie
nicht nur nicht den Sinn, sondern vermeiden im Gegenteil unnötige
Längen, an denen das “Livre des quatre Dames“ wie fast jedes
mittelalterliche Werk krankt. Es ist möglich, daß der Dichter
selbst bei einer späteren Ueberarbeitung seines Jugendwerkes Kür-
zungen vorgenommen hat. Jedenfalls durchbrechen die Fort-
lassungen niemals „gröblich“ das Reimschema, da stets die vier
durch den gleichen Reim zusammengehörigen Verse — drei Acht-
silbler und ein Viersilbler — in einmaliger oder mehrmaliger
Folge ausgelassen sind. Auf keinen Fall jedoch sind die Kürzungen
aus der Nachlässigkeit oder Willkür des Schreibers von P her-
zuleiten, wie aus einer Prüfung der beiden erwähnten Handschrif-
ten U und V hervorgeht.
U und V stimmen durchweg in ihren Kürzungen überein,
während an manchen Stellen P noch kürzer ist. So fehlen in P
die von mir ihrer Bedeutsamkeit wegen wieder eingesetzten Verse
844 bis 923, während U und V nur Vers 844 bis 847, 892 bis 895,
904 bis 919, 923 auslassen.
III.
U ist für Mariede Cleves die dritte Gemahlin von C h a r -
1 e s d’O rleans angefertigt worden; denn in der Randleiste des
ersten Blattes befindet sich das aus Cleve und Orleans kombinierte
Wappen und die Devise “Rien ne m’est plus“, die in mehreren
Randleisten wiederkehrt. “Rien ne m’est plus“ ist ursprünglich die
Devise von Valentine de Milan, der Mutter von Charles
d‘O rleans, die Marie de Cleves als ihre eigene Devise
annahm9. Sie findet sich auch neben dem Autogramm “Marie de
Cleves“ auf den Schmutzblättern der Handschrift.
Hier und auf den inneren Einbanddeckeln liest man die Sig-
naturen und Devisen eines ganzen höfischen Kreises um Charles
und Marie d’O rleans, die U zu einem besonders wertvollen
und interessanten Dokument machen. Seit dem 14. Jahrhundert
wurde es Sitte unter Bibliophilen und Fürsten, ihre Namen oder
Devisen auf ihre Bücher zu schreiben und ihnen nahestehende
Personen und Freunde dazu aufzufordern. So entstehen allmählich
die im 16. Jahrhundert in literarischen Kreisen so beliebten Samm-
lungen von Autogrammen und Signaturen von befreundeten Per-
9 P a r a d i n, Devises heroiques, Lyon 1557.

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