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Hirschel, Grete
Le livre des Quatre Dames von Alain Chartier: Studien zur französischen Minnekasuistik des Mittelalters — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.51682#0062
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die wohl das Gefolge der Dame andeuten sollen. Im Gedicht aber
heißt es ausdrücklich “Moult loing derriere Furent leurs gens“12.
Auch sind die Damen auf beiden Bildern nicht barfuß dargestellt.
N II zeigt eine männliche Gestalt, wohl den Dichter — oder sollte
es vielleicht der Besitzer der Handschrift sein? — die auf einer
hochlehnigen Bank sitzt und in ein Buch hineinschaut, das sie in
den Händen hält. In einiger Entfernung vor ihr gewahrt man ein
Lesepult, auf dem zwei geschlossene Folianten lehnen.
Allen drei Miniaturen ist eine Strenge und Nüchternheit in der
Linienführung gemeinsam, die noch durch die gedeckten Farben
erhöht wird. Ein gräulich schmutziger Unterton schimmert überall
hervor. Die Gewänder sind blau, schmutzigrot und schmutziggrau-
blau. In den lang und streng herabfließenden Falten schimmert
eine Andeutung von Gold. Die Gewänder der Damen umschließen
eng Arme und Oberkörper und breiten sich von den Hüften in
faltiger Weite herabfallend. Ihre Haare fließen lang über die Schul-
tern herab und ordnen sich in den schlanken Fluß der Konturen ein.
Die weiblichen Gestalten tragen entweder gar keine Kopfbedeckung
oder runde Kappen, ähnlich wie die männlichen Figuren. Sie
haben alle die gleiche Haltung: Eine leicht S-förmige Kurve, die
durch das Zurücklegen des Oberkörpers und das Hervortreten-
lassen des Leibes hervorgerufen wird. Die Hände halten sie alle
in Gürtelhöhe in wenig variierten Stellungen. Die Hände selbst
sind sehr groß und plump. Auch die Gesichter sind nicht fein aus-
geführt. Aber sie zeigen in höherem Maße als auf den vorher
besprochenen Miniaturen den Ausdruck einer bestimmten seeli-
schen Haltung, den der Trauer. Hinter der Starrheit der Haltung
und der Mimik verbirgt sich ein Bemühen um Individualität.
Jedes nur schmückende Beiwerk — das nicht in dem Aufbau
der Komposition begründet wäre, wie das Lesepult — jeder un-
nötige Zierrat ist vermieden. Die Begriffe Gestalt und Raum sind
auf die denkbar einfachste Formel gebracht. In der kahlen Weite
des Innenraumes erscheinen die Gestalten etwas vereinsamt und
schemenhaft.
Die verschiedensten Probleme finden sich also auf den be-
sprochenen 10 Miniaturen angedeutet. Die Darstellung eines freien
Raumes ohne Betonung des Figürlichen (K I), Gestalten im freien
Raum (KII, ArsI, II, III, IV), Gestalten in einem geschlossenen
Raum (ArsV) und schließlich geschlossener Raum und Gestalt
(NI, II, III).

12 V. 364/65.

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