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Hirt, Aloys Ludwig
Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (Text) — Berlin, 1809

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https://doi.org/10.11588/diglit.1740#0083
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€i —

ich

Ab-
lauf

lauf, theils ohne, theils mit der Base. Indessen stimmet der weit gröfsere Theil der Monu-
mente und hiemit auch die Lehre Vitruv's für gar keinen Saum von unten. Wir können
also nicht anders, als uns dieser Entscheidung fugen; obwohl wir glauben, dafs es dem Cha-
rakter der dorischen Säule nicht entgegen sey, wenn man ihr entweder Saum und Base zu-
gleich, wie in f., oder im Falle man die Base wegläfst, jenes wellenförmige Glied zum Ab-
lauf giebt, wie wir es in c. sehen. Wir können als Augenzeugen von dem guten Effekt des
letztern sprechen.

In Rücksicht des obern Ablaufes oder Saumes hat die toskanische Säule nach Vitruv
(4, 7.) blofs ein einfaches Riemchen (PI. VIII. 1.). Unter den Fragmenten Roms sieht man
einzelne Beyspiele dieser Art. (Piranesi magnif. Rom. tab. XIV.). In der ionischen und ko-
rinthischen Bauart besteht der Ablauf gewöhnlich in einem Riemchen und Stäbchen zugleich,
mit dem Unterschiede, dafs letzteres in der ionischen Ordnung gewöhnlich geschnitzt ist, um
es mit dem darüber geschnitzten" Wulste des Kapitals in Akkord zu setzen; in der korinthi-
sehen Bauart aber es in der Regel glatt ist. Es hängt daher auch immer mit dem Säulen-
schaft zusammen, und erscheint nie mit dem Kapital gearbeitet, dahingegen die ionische
Säule gewöhnlich sich mit dem Riemchen beendigt, und das Stäbchen dem Steine anhängt,
aus dem das Kapital gearbeitet ist. (Man sehe die Risse PI. VIII. IX. X. XII. XIII.)

Was den obern Saum des dorischen Schaftes betrift, so erscheinen auch hier Eigenthüm-
lichkeiten und Abweichungen. Nach Vitruv (4, 3-) endiget derselbe mit zwey Stäbchen, die
er Ringe nennet. Unter den Monumenten findet sich ein einziges Beyspiel, welches die Er-
läuterung zu dieser Vorschrift liefert (PI. VIII. 2. und 7.). In allen übrigen, hauptsächlich in '
den altdorischen, sind es immer mehrere über einander vortretende Riemchen, die nach
oben und nach unten schief geschnitten sind.' Wir werden das Nähere hievon im neunten
Abschnitte beybringen. Vorher müssen wir aber noch einiges über den Säulenhals bemer-
ken. Denn obgleich Vitruv ihn als einen Theil des Kapitals betrachtet, so gehört er doch
-eigentlich zum Säulenschaft, von welchem er in den Monumenten gewöhnlich blofs durch
eine, zwey bis drey, nicht tiefe Einschnittslinien getrennt ist. Mit dieser einfachen Bezeich-
nung des Halses scheint auch die Vorschrift Vitruv's zu stimmen (Sieh. PL VIII. von 5 bis i5-).
Nur in ein paar römischen, aber keinesweges nachzuahmenden Denkmälern ist derselbe durch
ein Riemchen und Stäbchen zugleich vom Schafte geschieden (16. 17.) Die Frage wäre also:
wie und warum eine solche Trennung und Bezeichnung des Säulenhalses entstand? Von dem
Säulenstamm in Holz scheint der Hals nicht herzukommen; eher glauben wir, dafs man inn
von der Säulenconstruction in Stein herleiten müsse. Man mochte nämlich fürchten, oder
vielleicht schon durch Erfahrung gelernt haben, dafs, wenn man das Kapital blofs aus der
Platte und dem Wulst bildete, der Stein für die Last des darüber zu legenden Gebalkes
leicht zu dünn ausfallen und springen könnte. Um diesem Uebel zuvorzukommen, suchte
man daher, scheint es, dem Kapital dadurch mehr Dicke und Stärke zu geben, dafs man es
zugleich mit einem Theile des Schaftes aus Einem Steine arbeitete. Eine nicht geringe An-
zahl von Monumenten, besonders diejenigen, welche nicht von ganz harten Steinen sind, be-
stätigen dies Verfahren. Da, wo der Einschnitt für die Bezeichnung des Halses sich findet,
zeiget sich auch die Steinfuge. Und so mochte es kommen, dafs, anstatt sich zu bemühen,
diese Steinfuge zu decken, man dieselbe vielmehr als eine Zierde stärker bezeichnete, um
mit der Idee des Säulenkopfes zugleich auch die des Halses zu verbinden. Da indessen diese
Zierde nur eine Art von Nothbehelf war, so fiel sie bey den Fortschritten der Kunst, als die
feinem Bauarten eingeführt wurden, wieder weg. In den korinthischen Monumenten kommt
eine solche Halsbezeichnung gar nicht vor, und in der Regel eben so wenig in der ionischen.
Vitruv (3, 30 von der ionischen Bauart sprechend, braucht zwar das Wort Hypotractielion ein
paarmal; aber es geht aus der Sache deutlich hervor, dafs er hiemit nicht den Hals, sondern

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