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Hirt, Aloys Ludwig
Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (Text) — Berlin, 1809

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https://doi.org/10.11588/diglit.1740#0099
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— 77

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so wird dann die gewöhnliche Höhe des Kanals, nämlich von zwey Achtel, zwar in der Mit-
te der Fronte beybehalten; aber es entsteht auf diese Weise anstatt eines gerade laufenden
(PL VIII. 22.) ein geschweifter Kanal (PI. IX. 230-

Vitruv bemerkt nichts von dieser Schweifung; (indem er nur eine Schnecke von zwölf
Viertelkreisen im Sinne hatte) indessen giebt sie dem Kapital ein nicht ungefälliges Ansehen.
Nur mufs sie durch den natürlichen Schneckengang, wie dies bey Schnecken von vierzehn
und sechzehn Viertelkreisen immer der Fall ist, herbeygefiihrt werden. Wird aber die
Schweifung des Kanals auch bey den Kapitalen gemacht, deren Schnecken nur aus zwölf
Quadranten besteht, nämlich dadurch, dafs man den Kanal in der Mitte der Fronte höher
als zwey Achtel der Schneckenhöhe machet, und dergestalt die erforderliche Höhe des dar-
unter stehenden Wulstes um so viel vermindert, so können wir ein solches Verfahren nicht
gut heifsen. Diesen Fehler haben die Kapitale: PI. IX. 24. und PI. X. 25.

Der Kanal zusammt dem fortlaufenden Räume zwischen den Schneckenzügen soll nach
Vitruv ein Zwölftel der Kanalhöhe ausgemeisselt, oder vertieft werden (PI. VIII. 20. C. b.). Auch
hiemit stimmen die Monumente. Der Saum des Kanals besteht gewöhnlich in einem Dop-
pelriemchen, wovon das innere etwas geringer, als das äufsere ist. Unterwärts über dem
Wulste hat der gerade Kanal keinen Saum; dagegen kommt er bey geschweiften Kanälen
vor. Ein Piiemchen hievon schliefst sich an den Schneckensaum an, und läuft mit ihm bis
an's Auge fort. In den Kapitalen mit geradem Kanal ist es aber der Fruchtstengel, welcher
den Schneckensaum verstärkt; dahingegen bey dem geschweiften Kanal der Stengel sich un-
ter dem Saume gleichsam verliert (vergl. PI. VIII. 22. und PL IX. 23. 24.). Vitruv gedenket
in seiner Beschreibung des ionischen Kapitals der Fruchtstengel (encarpa) nicht, wohl aber
beyläufig im isten Kap. des 4-ten Buches. Wir sehen sie in allen Monumenten, und zwar
so gestaltet, dafs an. den Knoten des Stengels sich ein Blatt ansetzt, unter welchem eine hül-
senartige Frucht, zu vier abgetheilt, hervorsprofst, und über den Schlangeneyern des Wulstes
wegliegt.

Als nicht nachzuahmende Verzierungen des Kanals bemerken wir die in einigen Kapita-
len vorkommenden Windungen theils von mehrern Piiemchen, theils von Blätterwerk (PI. X.
25. 28. 29. 50.). Auch ist die schraubenartige Herauswindung der Schneckensäume (PL X. 26.)
welche die Neuern in ihren Werken häufig nachgeahmt haben, nicht gut zu heifsen. Die
schöne Form und Ansicht des Kapitals wird durch dergleichen ganz entstellt.

Zur Vollendung der Schneckenansicht gehört noch das Auge. Vitruv bestimmt seine
Gröfse auf ein Achtel der Schneckenhöhe, welches Maafs aber in einigen Monumenten bald
etwas gröfser, bald etwas geringer ausfällt (vergl. PL XI. F. und G. mit den andern Figuren).
Vitruv bemerkt weiter von den Achsen der Voluten, dafs sie nicht gröfser als das Auge seyn
sollen. Die Ausleger haben unter diesem Ausdrucke — axes — die Schneckensäume ver-
standen; aber nach unserer Meinung mit Unrecht. Dies Wort ist in seinem , eigenthümli-
chen Sinne zu nehmen, nach welchem das Auge die Achse selbst ist, um welche sich die
Schnecken winden. In mehrern Monumenten sehen wir daher diese Achse durch eine be-
sondere Verzierung bezeichnet, und zwar bald durch die Zierde in Form' eines runden vor-
tretenden Nagelkopfes (PL IX. 24. y.), bald in Form einer Rose, eines Frosches, oder gar eines
Kopfes irgend einer Gottheit (PI. X. 26. 28- 3o.). In andern ist sie durch eine concave Ver-
tiefung angedeutet (PL IX. 23. F.). Vitruv unterscheidet die Achse und das Auge nur in so
fern, als dieses blofs für das Schema, um die Schneckenzüge richtig zu bilden dienet, jene
aber dann bey der Vollendung des Kapitals eine besondere Bezeichnung erhält, wodurch das
Auge erst deutlich zur Achse wird.

6. Unter den Kanal in der Mitte zwischen den beiden Schneckenfronten kommt das
Gesimse (Cymatium). Wir dürfen nicht zweifeln, dafs Vitruv darunter den mit Schlangen-

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