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Hirt, Aloys Ludwig
Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (Text) — Berlin, 1809

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https://doi.org/10.11588/diglit.1740#0108
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den Neuern kein Recht, sich auf ähnliche Enfindungen und Versuche einzulassen. Auch
die andern Völker des Alterthurns, die Aegypter, Israeliten und Perser hatten ihre Eigenhei-
ten womit sie die Säulenköpfe schmükten. Selbst das dunkle Mittelalter hatte die seinigen.
Aber nicht jede Zierde zieret wirklich; und nicht jede neue Spielerey ist eine neue Erfin-
dung. Die Architektur ist eine ernste Kunst, die einen männlichen Geist erfordert. Sie
verschmäht zwar die Zierde nicht; aber sie will nur jene nüchterne, wohlberechnete Zierde,
welche schmückt, aber nicht überladet; welche sich dem Charakter des Ganzen anschmiegt,
aber ihm nicht voranläuft. Die griechische Kunst bewachte sorgsam die Gränzen des Schickli-
chen, und die Architektur beschränkte sich auf drey Hauptgattungen. Je höher die Kunst stand,
desto weniger zeigen sich Abweichungen von dem Gewöhnlichen; und diese selbst sind eher
unvollkommene Versuche, als kühne Neuerungen. Letztere kündigen in den Künsten immer
den nahen Verfall an: weil man dann* nur durch das Neue, durch das Auffallende und.Ge-
wagte, und nicht durch das Besonnene, und Wohlberechnete seinen Zweck erreichen will.
Man hüte sich in solchen Fällen besonders vor dem Symbolisiren, weil nichts, wie dieses,
den reinen Sinn so ansteckt und verdirbt. Die Phantasie einmal aufgeregt und entfesselt,
irret ohne Gränzen. Nichts scheint leichter, als auf dem Wege der Symbolik in den Kün-
sten neue Ansichten zu eröffnen, und auf ungewohnten Bahnen zu glänzen. Aber man heile
sich von einem solchen Irrthum durch das Beyspiel der Alten selbst. Man betrachte nur
ihre ionischen Sphinx- und Serapis- oder ihre korinthischen Pferde- Adler- Greifen- Del-
phin- Thier- Genien- Sieges- und Götterkapitäle, u. s. w. (Piranesi magnif. de' Rom. tab. VII.
XIII. XV. XVI. XVII. XX.) und vergleiche sie mit dem rein-ionischen und rein-korinthi-
schen: mit Schaudern wird man sehen, wie weit ein übelangewandtes Symbolisiren von dem
wahren Ziele abführt, und wie schwer es sey, den Geist der einmal durch das Phantastische
geblendet ist, in seine Gränzen zurückzuführen, besonders wo, wenn man sich alles erlaubt,
das Spiel und die Neuheit so wenig Aufwand von Erfindung kostet.

Man lasse also die Frage über die Erfindung neuer Kapitale, und neuer Ordnungen, und
lerne bevor den Charakter derer, welche uns die Griechen überlieferten, recht kennen, gehö-
rig würdigen, und mit Sorgsamkeit und Geist in unsern neuen Werken einführen.

§. 9. Wir sprachen im siebenten Abschnitt §. 22. 4. von dem ungleichen Zusätze in der
Form eines schräglaufenden Riemchens, der sich in Monumenten zwischen dem Säulenschafte
und dem Kapitale zeiget, und gaben dort die Ursache dieser Einrichtung an. Wir nehmen
aber auch ähnliche Zusätze, nur nicht schräge, sondern wagereeht laufend über der Platte des
Kapitals wahr (PI. IX. 24. PL XII. V. VI.); und dies zwar in allen Bauarten, und in Monu-
menten von den verschiedensten Zeitaltern. Welchen Zweck und Gebrauch konnten diese
haben? Dafs sie nicht jene Zusätze seyn können, welche, wie W. Newton glaubte, den un-
gleichen Erhöhungen über der wagerechten Fläche der Säulenstühle entsprechen, haben wir
schon erwiesen. Nach unserer Meinung hatten diese Uebersätze blofs den Zweck, theils die
Platte des Kapitals beym Auflegen des Hauptbalkens vor Beschädigung zu sichern, theils das
richtige Lager desselben desto leichter zu besorgen, und vielleicht auch dadurch den Haupt-
balken etwas mehr zu erhöhen, damit dessen Ansicht durch den Vorsprung der Platte desto
weniger dem Auge entzogen würde.

§. 10. Wir haben von den Basen bemerkt, dafs man sie gröfstentheils aus einer von den
Säulenschäften ganz verschiedenen Steinart verfertige. Dasselbe nehmen wir auch bey den
Kapitalen wahr; besonders bey denen der ionischen und korinthischen Ordnung. Diese er-
fordern erstlich eine sehr feste Steinart, ohne welche es nicht möglich ist, die Verzierungen
mit gehöriger Genauigkeit und Nettigkeit auszuführen und ihnen gegen den Einflufs der Wit-
terung und der Zeit Dauer zu verschaffen. Zweytens müssen die Kapitale von lichter Stein-
art seyn; denn in dunkeln und grellbunten Steinen nehmen sich die Verzierungen nicht gut

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