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Hirt, Aloys Ludwig
Die Baukunst nach den Grundsätzen der Alten (Text) — Berlin, 1809

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https://doi.org/10.11588/diglit.1740#0160
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li. ilül
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— i58 —

in mehrere Glieder ein, denn wenigere Glieder würden zu der einmal angenommenen Höhe
ein zu stumpfes und schwerfälliges Ansehen haben.

Ueberhaupt müssen sich die Gesimse wesentlich nach der Verschiedenheit der Bauarten
richten. In den altern, als in der toskanischen und dorischen, ist der Gebrauch der Gesimse
sparsamer, die Umrisse sind stumpfer, weniger wellenförmig, und von wenigem Gliedern.
Schnitzwerk kommt an denselben nur mit Ausnahme vor. Im Ionischen und Korinthischen
hingegen sind die Gesimse mannigfacher, die Umrisse wellenförmiger, und häufig mit Schniz-
werk versehen. Man vergleiche hiemit, was wir in dieser Hinsicht in den vorhergehenden
Abschnitten sagten.

§. 14. Noch fügen wir folgende Bemerkungen, gleichsam als Resultate dessen bey, was
Wir bisher sowohl über die einzelnen Glieder, als über die Gesimse angegeben haben.

1. Man gebrauche jedes Glied nur an seinem Orte. Man verwechsle liegende nicht mit
deckenden Gliedern: so z. B. bringe man die fallende, und verkehrt fallende Welle nie an-
ders, als an den Fufsgesimsen der Unterbaue und Säulenstühle an, höchstens an den Basen
der dorischen Pilaster. Der Pfühl diene blofs als liegendes Glied an den Basen, und der ge-
drückte Pfühl am Fufsgesimse der Unterbaue. Die steigende Welle bilde vornehmlich den
Umrifs des Rinnleistens; seltener aber gebrauche man sie an kleinern Gesimsen. Hiezu ist
die verkehrt steigende Welle mehr geeignet.

2. Man vermeide zwey eingebogene, oder zwey ausgebogene Glieder an demselben Ge-
simse über einander anzubringen; vielmehr wechsele man so viel möglich mit geraden, ein-
wärts und auswärts gebogenen Gliedern. Eine Ausnahme hievon machet die ionische Base,
wo zwei Kehlen über einander, blofs durch die Trennung zweyer Stäbchen, und ihrer Riem-
chen, vorkommen.

3. An Deckgesimsen vermeide man die Kehle unter den Wulst, oder unter die verkehrt
steigende Welle zu setzen. Die Platte am korinthischen Kapital machet eine Ausnahme
hievon.

4. Man gebrauche vielgegliederte Gesimse mit grofser Behutsamkeit; denn dadurch wer-
den die Umrisse mager, und es entsteht leicht eine Verworrenheit für das Auge; den Fehler
der Ueberladung in dieser Hinsicht haben besonders viele römische Denkmäler.

5. Man beobachte ein strenges Verhältnifs zwischen den gröfsern und kleinern Gliedern,
die ein Gesimse ausmachen.

6. Man hüte sich dieselbe Gesimsart an demselben Baue oft zu wiederholen. In dieser
Rücksicht ist selbst das schöne ionische Gebälke (PI. XX. Fig. I.) nicht fehlerfrey.

7. In Rücksicht des Schnitzwerkes halte man sich besonders an die griechischen Mu-
ster; in den römischen findet sich in dieser Hinsicht schon viele Nachlässigkeit. Man hüte
sich aber besonders die Zierathen zu überhäufen. Viele römische Denkmäler sind durch die
Wuth, überall Schnitzwerk anzubringen, wahre Muster von Unzierde geworden.

ß. Man vernachlässige die optischen Gesetze nicht, tbeils in Betracht des stumpfem,
oder tiefern Umrisses der Glieder, theils in Betracht der Bearbeitung der Zierathen. Was
entfernter vom Auge zu stehen kommt, erfordert stärkere Schatten, und ein höheres Relief
in dem Schnitzwerk.

Nähere Vorschriften lassen sich über einen solchen Gegenstand nicht geben. Das We-
sentliche beruhet zwar auch hierin auf Verstandesmotiven; doch ist manches auch wieder
blofs Sache des Gefühls. Nichts trägt aber mehr dazu bey, es zu berichtigen, als das öftere
Betrachten und Vergleichen guter Muster; so wie anderseits schlechte Muster es ganz ver-
wöhnen und verderben können.
 
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