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SIEBENTES KAPITEL

mark to hit the mark. Every act hath some falsehood of exaggeration
in it1).“
Je mehr jedoch ein Kulturideal mit dem Anspruch auf die höchsten
Tugenden erfüllt ist, desto größer ist die Disharmonie zwischen Lebens-
form und Wirklichkeit. Zu dem Ritterideal mit seinem noch halb
religiösen Inhalt konnte sich nur eine Zeit bekennen, die noch vor
sehr starken Realitäten die Augen schließen konnte, die empfänglich
war für die höchste Illusion. Die sich entfaltende neue Kultur zwingt als-
bald, aus der alten Lebensform die allzu hohen Bestrebungen preis-
zugeben. Der Ritter geht über in den französischen gentilhomme des
siebzehnten Jahrhunderts, der wohl noch eine Anzahl Standes- und
Ehrbegriffe aufrecht erhält, sich aber nicht mehr für einen Glaubens-
streiter ausgibt, einen Verteidiger der Schwachen und Unterdrückten.
An Stelle des französischen Edelmannstypus tritt — aber gemäßigt
und verfeinert — der sich unmittelbar aus dem alten Ritter her-
leitende „Gentleman“. Bei den aufeinanderfolgenden Verwandlungen
des Ideals löste sich immer wieder die äußerste Schale, die zur Lüge
geworden war, los.
Die ritterliche Lebensform war allzu schwer beladen mit Idealen
von Schönheit, Tugend und Nützlichkeit. Betrachtete man sie, wie
Commines, mit nüchternem Wirklichkeitssinn, dann schien all die hoch-
gerühmte Chevalerie so nutzlos und unecht, eine zurechtgemachte
Komödie, ein lächerlicher Anachronismus: die wirklichen Triebe, die
die Menschen zum Handeln veranlaßten und das Los von Staaten und
Gemeinschaften bestimmten, lagen außerhalb. War die soziale Brauch-
barkeit des ritterlichen Ideals schon äußerst schwach geworden, so
stand es um die Tugendverwirklichung, die ethische Seite, die doch
auch von dem Ritterideal beansprucht wurde, noch schlimmer. Von
einem wirklich geistigen Streben aus gesehen, war all das edle
Leben lauter Sünde und Eitelkeit. Doch sogar vom rein ästhetischen
Gesichtspunktaus versagte das Ideal: selbst die Schönheit jener Lebens-
form konnte man in jeder Hinsicht in Abrede stellen. Mochte auch
das ritterliche Leben manchmal Bürgern begehrenswert erscheinen,
aus dem Adel selbst geht die große Müdigkeit und der Überdruß

) Emerson, Nature, ed. Routledge, 1881, p. 230/1.
 
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