DAS BILD DES TODES 191
durch den Totentanz verbildlichten Gedanken, daß vor dem Tode alle
gleich sind. Die kunstgeschichtliche Entwicklung des Stoffes komme
hier nur beiläufig zur Sprache. Frankreich scheint auch das Land der
Herkunft des Totentanzes. Wie ist er jedoch entstanden? als eine
wirklich gespielte Aufführung oder als Abbildung? Es ist bekannt,
daß die These von Emile Male, daß die Ausführung der Motive in der
bildenden Kunst des 15. Jahrhunderts in der Regel dem Anschauen
dramatischer Aufführungen entlehnt worden sei, in ihrer Allgemein-
heit nicht der Kritik standgehalten hat. Aber im Hinblick auf den
Totentanz könnte es sein, daß man in der Ablehnung jener These eine
Ausnahme machen müßte; daß hier tatsächlich die Aufführung der
Abbildung voraufgegangen ist. Auf jeden Fall, sei es nun früher oder
später, wurde der Totentanz ebensowohl gespielt wie gemalt oder in
Holz geschnitten. Der Herzog von Burgund läßt ihn 1449 in seinem
Hotel zu Brügge aufführenT). Hätten wir irgendeine Vorstellung von
der Aufmachung solches Spiels: von den Farben, den Bewegungen,
dem Hingleiten von Licht und Schatten über die Tanzenden, so würden
wir dadurch noch besser das ernsthafte Erschrecken, das der Toten-
tanz in den Gemütern verursachte, begreifen können als durch die
Holzschnitte von Guyot Marchant und Holbein.
Die Holzschnitte, mit denen der Pariser Drucker Guyot Marchant
1485 die erste Ausgabe des „Danse macabre“ schmückte, waren so gut
wie sicher dem berühmtesten aller Totentänze entlehnt, welcher im
Jahre 1424 als Wandmalerei in der Säulenhalle des Friedhofes der
Innocents zu Paris angebracht war, während die Sprüche unter dieser
Wandmalerei, in der Ausgabe von 1485 erhalten, vielleicht wieder
auf das verlorene Gedicht von Jean Le Fevre zurückzuführen sind,
der seinerseits wahrscheinlich einem lateinischen Original folgte. Wie
dem auch sei, der Totentanz auf dem Kirchhof der Innocents, der im
17. Jahrhundert durch das Niederreißen der Halle verschwunden ist,
war die populärste Darstellung des Todes, die das Mittelalter gekannt
hat. Tausende haben Tag aus Tag ein auf dem sonderbaren und
makabern Treffpunkt, der der Friedhof der Innocents war, die ein-
fachen Gestalten betrachtet und die leichtfaßbaren Verse, von denen
) Laborde, II, I, 393.
durch den Totentanz verbildlichten Gedanken, daß vor dem Tode alle
gleich sind. Die kunstgeschichtliche Entwicklung des Stoffes komme
hier nur beiläufig zur Sprache. Frankreich scheint auch das Land der
Herkunft des Totentanzes. Wie ist er jedoch entstanden? als eine
wirklich gespielte Aufführung oder als Abbildung? Es ist bekannt,
daß die These von Emile Male, daß die Ausführung der Motive in der
bildenden Kunst des 15. Jahrhunderts in der Regel dem Anschauen
dramatischer Aufführungen entlehnt worden sei, in ihrer Allgemein-
heit nicht der Kritik standgehalten hat. Aber im Hinblick auf den
Totentanz könnte es sein, daß man in der Ablehnung jener These eine
Ausnahme machen müßte; daß hier tatsächlich die Aufführung der
Abbildung voraufgegangen ist. Auf jeden Fall, sei es nun früher oder
später, wurde der Totentanz ebensowohl gespielt wie gemalt oder in
Holz geschnitten. Der Herzog von Burgund läßt ihn 1449 in seinem
Hotel zu Brügge aufführenT). Hätten wir irgendeine Vorstellung von
der Aufmachung solches Spiels: von den Farben, den Bewegungen,
dem Hingleiten von Licht und Schatten über die Tanzenden, so würden
wir dadurch noch besser das ernsthafte Erschrecken, das der Toten-
tanz in den Gemütern verursachte, begreifen können als durch die
Holzschnitte von Guyot Marchant und Holbein.
Die Holzschnitte, mit denen der Pariser Drucker Guyot Marchant
1485 die erste Ausgabe des „Danse macabre“ schmückte, waren so gut
wie sicher dem berühmtesten aller Totentänze entlehnt, welcher im
Jahre 1424 als Wandmalerei in der Säulenhalle des Friedhofes der
Innocents zu Paris angebracht war, während die Sprüche unter dieser
Wandmalerei, in der Ausgabe von 1485 erhalten, vielleicht wieder
auf das verlorene Gedicht von Jean Le Fevre zurückzuführen sind,
der seinerseits wahrscheinlich einem lateinischen Original folgte. Wie
dem auch sei, der Totentanz auf dem Kirchhof der Innocents, der im
17. Jahrhundert durch das Niederreißen der Halle verschwunden ist,
war die populärste Darstellung des Todes, die das Mittelalter gekannt
hat. Tausende haben Tag aus Tag ein auf dem sonderbaren und
makabern Treffpunkt, der der Friedhof der Innocents war, die ein-
fachen Gestalten betrachtet und die leichtfaßbaren Verse, von denen
) Laborde, II, I, 393.