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REALISMUS“ UND DIE GRENZEN DES BILDLICHEN DENKENS 303

Gefühlsmoment eines Schwindelns hinzu. Es heißt von Pascal, daß
er fortwährend einen Abgrund neben sich sah; solch eine Empfindung
ist hier gleichsam auf einen festen, mystischen Ausdruck reduziert.
Mit diesen Bildern des Abgrunds und der Stille wird der lebendigste
Ausdruck für das unbeschreibliche mystische Erleben erreicht. „Wol
uf dar, herz und sin und muot, — jubelt Seuse — in daz grundlos ab-
gründ aller lieplichen dingen!“T) Meister Eckhart in seiner atemlosen
Erstarrung sagt: „Dirre funke (der Seele, d. h. der mystische Kern des
einzelnen Wesens) . . . engnüeget an vater noch an sune noch an
heiligem geiste noch an den drin personen, als verre als ieclichiu be-
stet in ir eigenschaft. Ich spriche werliche, daz diseme selben liehte
niht begnüeget an der einberkeit der fruhtberlichen art gütlicher
nätüre. Ich wil noch me sprechen, daz noch wunderlicher lütet: ich
spriche bi guoter wärheit, daz disem liehte niht genüeget an dem ein-
veltigen Stilleständen gütlichen wesenne, daz weder git noch ennimet,
mer: ez wil wizzen, wannen diz wesen har kome, ez wil in den ein-
veltigen grünt, in die stillen wüeste, da nie underscheit in geluogete
weder vater noch sun noch heiligeist; in dem innegen, da nieman
heime ist, da benüeget ez inme liehte, unt da ist ez einiger dan in ime
selber; want dirre grünt ist ein einveltic stille, diu in ir selber un-
beweglich ist.“ Die Seele wird nur dadurch vollkommen selig, „daz
sie sich wirfet in die wüesten gotheit, da noch werc noch bilde enist,
daz si sich da Verliese unde versenke in die wüestenunge“1 2).
Bei Tauler finden wir: „In diseme versinket der geluterte ver-
klerte geist in daz götteliche vinsternisse, in ein stille swigen und in ein
unbegriffenlicheme und unsprechenlicheme vereinen, und in diseme
insinkende wurt verlorn alles gelich und ungelich, und in diseme
abegrunde verlüret der geist sich selber und enweis von Gotte noch
von ime selber noch gelich noch ungelich noch von nüte nüt, wan
er ist gesunken in Gottes einikeit und hat verlorn alle unterscheide“3).
1) Seuse, Leben, cap. 3, ed. K. Bihlmeyer, Deutsche Schriften, Stuttgart 1907,
p. 14. Vgl. cap. 5, p. 21, 1. 3 v. u.
2) Meister Eckhart, Predigten, no. 60 und 76, ed. F. Pfeiffer, Deutsche
Mystiker des XIV. Jahrh., Leipzig 1857, II, p. 193, 1. 34 ff.; p. 242, 1. 2 ff.
3) Tauler, Predigten, no. 28, ed. F. Vetter (Deutsche Texte des Mittel-
alters, XI), Berlin 1910, p. 117, 1. 30 ff.
 
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