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306 SECHZEHNTES KAPITEL
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liehen Licht nähert, je voller ihm Deine Unnahbarkeit und Unbegreif-
lichkeit deutlich werden, und sobald er in die Finsternis eingegangen
ist, erliegen bald alle Namen und alles Erkennen ganz (omne mox
nomen omnisque cognitio prorsus deficient). Aber dies wird dem
Geiste sein, Dich zu sehen, zu sehen, daß Du ganz unsichtbar bist;
und je klarer er das sieht, je heller wird er Dich erblicken. Nach dieser
überlichten Finsternis bitten wir werden zu dürfen, o gesegnete Drei-
faltigkeit, und durch Unsichtbarkeit und Unwissenheit Dich zu sehen
und zu erkennen, der Du über allem Sehen und Erkennen bist. Denen
allein erscheinst Du, die, nachdem sie alles Wahrnehmbare und Be-
greifbare überwunden und hinter sich gelassen haben, und auch alles
Geschaffene und desgleichen sich selbst, in die Finsternis, in der Du
wahrlich bist, eintreten“1).
So wie das Licht sich in Dunkel umsetzt, so verwandelt sich das
höchste Leben in den Tod. Wenn die Seele begriffen hat, sagt Eck-
hart, daß in das Reich Gottes kein Geschöpf eingehen kann, dann geht
die Seele ihren eigenen Weg und sucht Gott nicht mehr. „Und allhie
so stirbet si iren hohsten tot. In disem tot verleuset di sele alle be-
gerung und alle bild und alle verstentnüzz und alle form und wirt
beraubt aller wesen. Und dez seit sicher als got lebt: als wenik als ein
tot mensch, der leiplich tot ist, sich selber bewegen mak, als wenik mag
di sele, di also geistlich tot ist, einik weis oder einik bild vorgetragen
einigen menschen. Wann diser geist ist tot und ist begraben in der
gotheit.“ Seele, wo Du nicht Dich selbst ertränkst in diese bodenlose
See der Gottheit, so kannst du nicht bekennen diesen göttlichen Tod 2).
Das Schauen Gottes durch Verneinungen, sagt Dionysius anders-
wo, ist vollkommener als das durch Bejahungen. „Denn wenn ich sage:
Gott ist Güte, Wesen (essentia), Leben, scheine ich anzudeuten, was
Gott ist, als ob dasjenige, was Er ist, etwas mit dem Geschaffenen
gemein hätte oder diesem einigermaßen ähnlich wäre, während es
feststeht, daß er unbegreiflich und unbekannt, unergründlich und un-
q Dion. Cart., De laudibus sanctae et individuae trinitatis per modum
horarum, Opera, t. XXXV, p. 137'8, id. XLI, p. 263 etc.; vgl. De passione dni
salvatoris dialogus, t. XXXV, p. 274: „ingrediendo caliginem, hoc est ad super-
splendidissimae ac prorsus incomprehensibilis Deitatis praefatam notitiam
pertingendo per omnem negationem ab ea.“
2) Jostes, Meister Eckhart und seine Jünger, 1895, p. 95.
 
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