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Internationale

lentmlblatt sür Zcimmlen Liebliabei' uncl Kunstfreunde


Uerausgeberl Norbert Lbrlicb und 7. blans ?rosl.

Z. Jatirgang.

^)ien, 15. veiember 1911.

Nummer 24.

Qie utopistiscke Literatur.
Vom tlotrat ?rot. Or. krieclricti von K I e i n w ä ctiter (Lrernomih).

5 Ibomas Morus seine berübmte äcbbderung
6er Insel „Utopia" — in deutscb ungefäbr
„Mrgendbeim" — scbrieb, aut 6er ein Volk
lebt, welcbes glücklicb ist, weil es bei sieb 6en
„vollen" Kommunismus eingefübrt bat, 6a abnte
er wobl niebt, dah sein 6ucb vorbiI6lieb mer6en
sollte für eine lange Keibe von äcbriften, 6ie
alle 6arin übereinstimmen, dah sie sieb über
6en 6o6en 6er rauben wirklicbkeit erbeben un6
bocii oben im Ütberblau 6er pbantasie einen
Instand scbiI6ern, 6er 6em Verfasser als ein
wünscbenswerter erscbeint. Oer Oedankengang,
6er 6er Ontstebung aber 6ieser äcbriften ^u
Orunde liegt, ist ein nabebegender. Oas wirk-
liebe Leben iaht eine 6auern6e volle lufriedenbeit
niebt aufkommen, es ist 6aber begreifbeb, dah
6ie Menscben, 6ie so viele ibrer VVünscbe unbefriedigt
lassen müssen, sieb ab unei ^u in 6as Keicb 6er pbantasie
flücbten un6 sieb eiern Olauben bingeben, dah 6ie Menscben
eines ungetrübten Olückes teilbattig werben konnten, wenn
sie unter bestimmten anderen Verbältnissen leben würben.
Die Verbältnisse nun, unter benen wir leben, von
(jenen also 6ie Oestaltung unseres Lebens unb damit unser
woblbefinden abbängt, sind ^weifacber Ort. Wir steben
einmal anderen Menscben gegenüber und dieses Zusammen-
leben mit ibnen muh durcb staatbebe Oesetze und Linricb-
tungen geregelt werden, und begreiflicber weise können
diese Oesetze und binricbtungen so oder aueb anders be-
scbaffen sein und damit mebr oder weniger günstig auf
unser woblbefjnden ^urückwirken. wir steben andererseits
der äuheren Uatur gegenüber und selbstverständbeb ge-
staltet sieb unser Leben angenebmer oder weniger ange-
nebm, je nacbdem wir es besser oder weniger gut ver-
steben, die Uaturkrätte unseren Zwecken dienstbar ^u
macben. Uacb der einen oder naeb deranderen Kicbtungsucben
die in Kede stebenden äcbriften das Olllck. Die eine Oruppe,
die man daber als „ätaatsromane" be/eicbnen kann, bettet
sieb an die staatlicben Oesehe und Oinricbtungen und
scbildert ein Volk, welcbes glllckbcb ist, web es andere
Oesehe und Vinricbtungen besitzt als wir. Oie andere
Oruppe knüpft an unsere Kenntnis der Ltatur und den
ätand der lecbnik an und sucbt Ki leigen, wie glücklicb
wir dereinst sein werden, wenn unsere Kenntnis der
Naturgesetze eine vollkommene sein wird und wenn wir
dem entsprecbende Mascbinen und Apparate besitzen werden.


j Und da diese Klassen von äcbriften das Olück von den
! künftigen sortscbritten der Uaturwissensebaften und der
lecbnik erwartet, so kann man sie in Ermangelung eines
besseren Uamens als „Zukunftsbilder" be^eicbnen.
Was nun ^unäcbst die ätaatsromane anbelangt,
so verfallen sie in iwei scbarf gesonderte Oruppen. L>ie
einen glauben, bah das VVoblbefinden eines Volkes in
erster Keibe von der Verfassung des ätaates und von der
staatlieben Verwaltung abbängt, sie sueben daber den
Uacbweis Ki erbringen, bah das Volk glücklicb sein würde,
wenn die gesetzgebenden Faktoren so und so organisiert
wären und wenn die staatbebe Verwaltung in den blanden
dieser oder jener Organe liegen würde. — äelbstverständ-
bcb immer in der form eines Komanes. Man darf sie
daber als „politiscbe ätaatsromane" be^eicbnen. lbnen
steben die „volkswirtscbaftlicben ätaatsromane"
! gegenüber, denen die ätaatsvertassung und die staatbebe
Verwaltung liembcb gleicbgültig ist, die aber auf die wirt-
scbaftsordnung das Uauptgewicbt legen, äie balten die
beutige, aut der Orundlage des privaten Oigentums und
der jndividualwirtscbaft aufgebaute wirtscbaftsordnung für
ein Unglück und scbbdern das Leben und Ireiben eines
Volkes, welcbes glücklicb ist, weil es entweder (wie in der
„Utopia" des Ibomas Morus) im „ganzen" oder „vollen",
oder web es (wie etwa im Oebam^'scben „Rückblick") im
„balben" Kommunismus lebt, oder web in dem betreffen-
den Lande docb wenigstens dem Privateigentum mebr oder
weniger weil gebende äcbranken gezogen sind.
Uus den ätaatsromanen ist eine besondere Oruppe
von äcbriften bervorgegangen, es sind dies die „aben-
teuerlicben Keisen". Ms Ibomas Morus seine kommu-
nistiscben Ideen veröffentlicben wollte, wäblte er biefür
die sorm des Komanes und dies aus iwei Oründen. Oin-
mal konnte er in seiner Oigenscbaft als ätaatskan^Ier
Ueinricbs VUI. von Ongland unmogbcb den nackten Kommu-
nismus predigen, wenn er jedocb in seiner Oriäblung er-
wäbnt, dah er einmal wäbrend seines Uufentbaltes in
Brüssel mit einem äeefabrer ^usammenkam, der auf seinen
weiten Keisen aucb die Insel „Utopia" besucbt und kennen
gelernt bat, und wenn nun dieser Mann bericbtet, dah
aie öewobner dieser Insel das Privateigentum nicbt kennen
und in voller Olltergemeinscbaft leben, so klang die äacbe
gan^ barmlos und unverfängbcb. Ium Zweiten wollte
Morus sein Oucb in die blande möglicbst vi.Ier Leser
! bringen und dies konnte ibm nur gelingen, wenn er seine
 
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