Internationale
^ammfer^ßifunj
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
6. Jahrgang. Wien, 1. August 1914. Nr. 15.
Der Sammler Goethe.
Von Alfred Heinrich (Wien).
Ueber Goethe sind schon ganze Bibliotheken
zusammengeschrieben worden, so daß die Behaup-
tung, es wäre doch noch möglich, ihn von einer
Seite zu zeigen, in der er noch nicht genugsam
beleuchtet worden wäre, sehr kühn ei scheint. Und
doch möchte ich es wagen zu erklären, daß selbst
grundgelehrte Goethe-Forscher, wenn man an sie
die Frage richten würde: »Wie hat der Große von
Weimar über das »Knackern« von Kunstsachen gedacht?«
ein wenig in Verlegenheit gerieten, ja ich weiß nicht, ob
sie so ohneweiters selbst darüber im klaren wären, was
überhaupt unter »Knacken« zu verstehen sei. Ich selbst
habe mein Wissen hierüber dem seltsamen Zufalle zu
danken, der mir eine längst verschollene Zeitschrift aus
dem Jahre 1836 in die Hände spielte. In dieser fand ich
einen wirklich amüsant geschriebenen Aufsatz von
H. König: »Ein Abend bei Goethe« (1828), der, wie ich
glaube, nicht nur genügend den Ausdruck »Knackerei«
erklärt, sondern auch Goethe, den Kunstsammler, in einer
höchst eigenartigen Beleuchtung zeigt. König, der so
glücklich war, einen Abend in der Nähe Goethes, als Gast
im Hause des Dichters, verbringen zu dürfen, schildert
anschaulich nicht nur den Hausherrn, sondern auch die
Gäste, die sich versammelt hatten. Und da hören wir u. a.:
»Der eine der beiden Freunde war der Landschaftsmaler
R. aus Berlin, der andere ist mir vergessen. Mit letzterem
unterhielt sich Goethe fortwährend in der Fensternische,
indes Tee umhergereicht wurde. Nach dem Tee nahmen
alle Platz um den Tisch, und R. legte die Skizzen vor,
die er auf seinen Reisen, besonders am Rhein, mit Blei-
feder entworfen oder, wie er sich ausdrückte — »g e-
k n a c k e r t« hatte.
Hier haben wir also das famose Wort. Was es in
schlichtem Buchdeutsch bedeutet, erfahren wir jedoch
erst später, nach einer ergötzlichen Schilderung dieses R.,
in der es heißt: »Ueberhaupt machte dieser launige Maler
einen auffallenden Kontrast mit dem Dichter. Klein und
verwachsen raschelte er hin und her, wenn Goethe hoch
und aufrecht durchs Zimmer ging. Ebenso stach seine
Unruhe und sein lebhafter Witz gegen Goethes Gravität
und heitere Bemerkungen — das schnelle, laute Sprechen
des Berliners gegen den tiefen, gemessenen Ton des
Frankfurters ab. Ruhig sitzt der Alte da, und überschaut
von seinem etwas erhöhten Stuhle den Tisch, während
R., kaum über den Tisch hervorragend, seine Brille bald
auf die Nase fallen läßt, um ein Blatt seines Skizzen-
buches auszusuchen, bald über die Stirne zurückschiebt,
um eine Bemerkung an den Geheimrat zu richten . . .
Eine seltene Paste, die R. vorwies, händigte ihm Goethe
mit den Worten ein: »Da, heben Sie es sorgfältig wieder
auf.« »Nicht wahr,« ruft R., »damit sie nicht in unrechte
Hände komme?« »Nein,« lächelt der Alte, »weil sie
vielleicht nicht in den rechten ist.« Jetzt
wissen wir es. Das Lächeln Goethes und seine zarte An-
deutung sagen genug: »geknackert« bedeutet im ehrlichen
Deutsch etwa »gestibitzt« oder noch ehrlicher: gestohlen.
Es scheint aber, daß das Lächeln Goethes diesmal nicht
nur nicht einschüchternd, sondern vielmehr sehr ermun-
ternd wirkte, denn König fährt fort: »Bei dieser Gelegen-
heit rühmt R. seine besonders in Italien ver-
übten K u n s t d i e b e r e i e n, erzählt, wie er die Auf-
seher betrunken gemacht habe, und wie ihm unter diesem
Dusel dann mancherlei in die Taschen gefallen sei.«
Wir erfahren aber dann auch, wie Goethe sich zu dieser
»Knackerei«, bei der einem so schöne Sachen so überaus
billig in die Taschen fallen, stellt: »Goethe erwiderte mit
der Nachsicht, die er, wie ich später vernommen, selbst
öfter nötig gehabt hat. Bei Dienstboten werden
gefundene Eßwaren nicht für gestohlen angesehen. So
sind auch solche Kunstsachen gleichsam für Leckerbissen
zu halten, die man sich zueignet, ohne des Diebstahls
schuldig zu werden. Ja, manchem erzeigt man eine
Wohltat, wenn man sie ihm entwendet, in-
dem man ihn von der Verantwortlichkeit be-
freit, nichts davon zu verstehen.«
Soweit der Bericht Königs. Die entzückende, echt
Goethe'sche Wendung, daß einer »von der Verantwort-
lichkeit befreit wird, nichts davon zu verstehen«, wird
manches pietätsvolle Gemüt doch nicht ganz darüber be-
ruhigen, daß Goethe allen Ernstes, auch für seine eigene
Person, solch grenzenloser Kunstlieberhaberei gehuldigt
haben könnte. Solch pietätvollen Gemütern bleibe es un-
benommen, diese Aeußerung Goethes für einen Scherz
zu nehmen, oder für einen Beweis seiner großen Güte,
mit der er das Bekenntnis des Landschaftsmalers »ge-
knackert« zu haben in ein mildes Licht rückte. Denn das
ist sicher: Er hätte seinen vielleicht nur allzu redseligen
Gast in die tödlichste Verlegenheit versetzt, wenn er ihm
mit strengeren, katonischen Ansichten über das
»Knackern« von Kunstsachen entgegengetreten wäre.
^ammfer^ßifunj
Zentralblatt für Sammler, Liebhaber und Kunstfreunde.
Herausgeber: Norbert Ehrlich.
6. Jahrgang. Wien, 1. August 1914. Nr. 15.
Der Sammler Goethe.
Von Alfred Heinrich (Wien).
Ueber Goethe sind schon ganze Bibliotheken
zusammengeschrieben worden, so daß die Behaup-
tung, es wäre doch noch möglich, ihn von einer
Seite zu zeigen, in der er noch nicht genugsam
beleuchtet worden wäre, sehr kühn ei scheint. Und
doch möchte ich es wagen zu erklären, daß selbst
grundgelehrte Goethe-Forscher, wenn man an sie
die Frage richten würde: »Wie hat der Große von
Weimar über das »Knackern« von Kunstsachen gedacht?«
ein wenig in Verlegenheit gerieten, ja ich weiß nicht, ob
sie so ohneweiters selbst darüber im klaren wären, was
überhaupt unter »Knacken« zu verstehen sei. Ich selbst
habe mein Wissen hierüber dem seltsamen Zufalle zu
danken, der mir eine längst verschollene Zeitschrift aus
dem Jahre 1836 in die Hände spielte. In dieser fand ich
einen wirklich amüsant geschriebenen Aufsatz von
H. König: »Ein Abend bei Goethe« (1828), der, wie ich
glaube, nicht nur genügend den Ausdruck »Knackerei«
erklärt, sondern auch Goethe, den Kunstsammler, in einer
höchst eigenartigen Beleuchtung zeigt. König, der so
glücklich war, einen Abend in der Nähe Goethes, als Gast
im Hause des Dichters, verbringen zu dürfen, schildert
anschaulich nicht nur den Hausherrn, sondern auch die
Gäste, die sich versammelt hatten. Und da hören wir u. a.:
»Der eine der beiden Freunde war der Landschaftsmaler
R. aus Berlin, der andere ist mir vergessen. Mit letzterem
unterhielt sich Goethe fortwährend in der Fensternische,
indes Tee umhergereicht wurde. Nach dem Tee nahmen
alle Platz um den Tisch, und R. legte die Skizzen vor,
die er auf seinen Reisen, besonders am Rhein, mit Blei-
feder entworfen oder, wie er sich ausdrückte — »g e-
k n a c k e r t« hatte.
Hier haben wir also das famose Wort. Was es in
schlichtem Buchdeutsch bedeutet, erfahren wir jedoch
erst später, nach einer ergötzlichen Schilderung dieses R.,
in der es heißt: »Ueberhaupt machte dieser launige Maler
einen auffallenden Kontrast mit dem Dichter. Klein und
verwachsen raschelte er hin und her, wenn Goethe hoch
und aufrecht durchs Zimmer ging. Ebenso stach seine
Unruhe und sein lebhafter Witz gegen Goethes Gravität
und heitere Bemerkungen — das schnelle, laute Sprechen
des Berliners gegen den tiefen, gemessenen Ton des
Frankfurters ab. Ruhig sitzt der Alte da, und überschaut
von seinem etwas erhöhten Stuhle den Tisch, während
R., kaum über den Tisch hervorragend, seine Brille bald
auf die Nase fallen läßt, um ein Blatt seines Skizzen-
buches auszusuchen, bald über die Stirne zurückschiebt,
um eine Bemerkung an den Geheimrat zu richten . . .
Eine seltene Paste, die R. vorwies, händigte ihm Goethe
mit den Worten ein: »Da, heben Sie es sorgfältig wieder
auf.« »Nicht wahr,« ruft R., »damit sie nicht in unrechte
Hände komme?« »Nein,« lächelt der Alte, »weil sie
vielleicht nicht in den rechten ist.« Jetzt
wissen wir es. Das Lächeln Goethes und seine zarte An-
deutung sagen genug: »geknackert« bedeutet im ehrlichen
Deutsch etwa »gestibitzt« oder noch ehrlicher: gestohlen.
Es scheint aber, daß das Lächeln Goethes diesmal nicht
nur nicht einschüchternd, sondern vielmehr sehr ermun-
ternd wirkte, denn König fährt fort: »Bei dieser Gelegen-
heit rühmt R. seine besonders in Italien ver-
übten K u n s t d i e b e r e i e n, erzählt, wie er die Auf-
seher betrunken gemacht habe, und wie ihm unter diesem
Dusel dann mancherlei in die Taschen gefallen sei.«
Wir erfahren aber dann auch, wie Goethe sich zu dieser
»Knackerei«, bei der einem so schöne Sachen so überaus
billig in die Taschen fallen, stellt: »Goethe erwiderte mit
der Nachsicht, die er, wie ich später vernommen, selbst
öfter nötig gehabt hat. Bei Dienstboten werden
gefundene Eßwaren nicht für gestohlen angesehen. So
sind auch solche Kunstsachen gleichsam für Leckerbissen
zu halten, die man sich zueignet, ohne des Diebstahls
schuldig zu werden. Ja, manchem erzeigt man eine
Wohltat, wenn man sie ihm entwendet, in-
dem man ihn von der Verantwortlichkeit be-
freit, nichts davon zu verstehen.«
Soweit der Bericht Königs. Die entzückende, echt
Goethe'sche Wendung, daß einer »von der Verantwort-
lichkeit befreit wird, nichts davon zu verstehen«, wird
manches pietätsvolle Gemüt doch nicht ganz darüber be-
ruhigen, daß Goethe allen Ernstes, auch für seine eigene
Person, solch grenzenloser Kunstlieberhaberei gehuldigt
haben könnte. Solch pietätvollen Gemütern bleibe es un-
benommen, diese Aeußerung Goethes für einen Scherz
zu nehmen, oder für einen Beweis seiner großen Güte,
mit der er das Bekenntnis des Landschaftsmalers »ge-
knackert« zu haben in ein mildes Licht rückte. Denn das
ist sicher: Er hätte seinen vielleicht nur allzu redseligen
Gast in die tödlichste Verlegenheit versetzt, wenn er ihm
mit strengeren, katonischen Ansichten über das
»Knackern« von Kunstsachen entgegengetreten wäre.