DIE UR SER ÜNGLICHEA UFSTEIL UNG
DER MA GDEB UR GER KL UGEN UND
TÖRICHTEN JUNGERA UEN^
Mit 3 Abbildungen im Text und 15 Abbildungen auf 4 Tafeln Von LILLI BURGER
Die Magdeburger klugen und törichten Jungfrauen stehen heute in einem jüngeren
Portal, für das sie nicht geplant waren. Jedoch müssen sie bereits in einem älteren Portal
aufgestellt gewesen sein, wofür schon die alten Dübel- und Mörtelreste sprechen, die sich
hinten in den Kehlen befinden. Später um 1320 wurde eine Paradiesvorhalle angebaut2).
Da diese und ihr Gewölbesystem mit dem alten Gewände nicht mehr zu vereinen war,
mußte das ganze Portal abgebrochen werden und man verwendete nur die Figuren wieder.
Sie wurden ohne Rücksicht auf ihre frühere Bedeutung innerhalb des Portalganzen
in die viel zu engen Kehlen des neuen Gewändes versetzt. Dies aber konnte nicht ge-
schehen, ohne ein Mißverhältnis zwischen Figuren und Architektur hervorzurufen. Schon
die gedrungenen Säulen mit dem schweren Laubwerk passen nicht auf die dünnen Stütz-
säulen. Noch mehr stören die in häßlicher Weise frei über die Konsolen hinausstehenden
Gewandenden der Figuren. Indessen lassen sich bei allen Jungfrauen an den Standflächen
Ansätze für ältere, der Gewandkomposition sich anpassende polygonale Deckplatten fest-
stellen. Außerdem ist noch an den beiden, von außen an zweiter Stelle stehenden Jung-
frauen die ursprüngliche Anordnung zu erkennen. Sie werden ohne weiteres Zwischen-
glied von schönen, als Blattbüschel gebildeten Konsolen getragen. Bei allen anderen Jung-
frauen sind die ursprünglichen Tragsteine abgemeißelt. Die Baldachine, die mit dem Motiv
der quergestellten Fialen zwischen Wimpergen an die Giebel der nördlichen Seitenschiffe
anklingen, passen ebenfalls nicht zu den Figuren.
Da die Jungfrauen also ganz unvermittelt und ohne jede untere noch obere Vor-
bereitung in das Gewände gesetzt sind, können sie nicht mehr ihre eigentliche Wirkung
entfalten, die mit der Architektur aufs engste verbunden war.
Aber nicht nur die architektonischen Widersprüche sind es, die den künstlerischen
Willen des Jungfrauenmeisters nicht zur Geltung kommen lassen, es ist vor allem auch
die heutige Reihenfolge, die sich nicht mehr mit der ursprünglichen deckt und in der sich
die Jungfrauen sogar gegenseitig ganz entschieden in ihrer Ausdruckskraft beeinträchtigen
(Abb. 1).
Um dem Meister gerecht zu werden, müßte man daher den Versuch machen, sich
die Jungfrauen in ihrer früheren rhythmischen Gruppierung innerhalb des alten Portals
vorzustellen.
Welche Anhaltspunkte ergeben sich uns da zunächst für eine Rekonstruktion des
alten Portals?
Ich will dabei nicht näher auf die Streitfrage eingehen, ob die Figuren für ein West-
oder Nordportal geplant waren, sondern mich Walter Paatz als dem letzten Forscher
anschließen, der alle Beobachtungen seiner Vorgänger in Betracht zieht und sich in über-
zeugender Weise für ein Nordportal entscheidet. Er knüpft an folgende, von Kunze ge-
machte Beobachtung an: das, das Erdgeschoß abschließende, Gesims hat dasselbe Profil
9 Die vorliegende Arbeit entstand auf Anregung des Herrn Priv.-Doz. Dr. Hubert Schrade, Heidelberg. Bei
den Untersuchungen des Steinmaterials, der Portalwände und Säulen war mir Herr Regierungsbaurat Dr. Stegemann,
Magdeburg behilflich. Die anschauliche Ausführung der Zeichnungen übernahm Herr cand. phil. Vogler, Heidelberg.
Ich möchte den Genannten an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen.
2) Vgl, Walter Paatz, Die Magdeburger Plastik um die Mitte des 13. Jahrhunderts, Jahrbuch der preuß. Kunst-
sammlungen 1925, S. xooff.
I Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1930.
I
DER MA GDEB UR GER KL UGEN UND
TÖRICHTEN JUNGERA UEN^
Mit 3 Abbildungen im Text und 15 Abbildungen auf 4 Tafeln Von LILLI BURGER
Die Magdeburger klugen und törichten Jungfrauen stehen heute in einem jüngeren
Portal, für das sie nicht geplant waren. Jedoch müssen sie bereits in einem älteren Portal
aufgestellt gewesen sein, wofür schon die alten Dübel- und Mörtelreste sprechen, die sich
hinten in den Kehlen befinden. Später um 1320 wurde eine Paradiesvorhalle angebaut2).
Da diese und ihr Gewölbesystem mit dem alten Gewände nicht mehr zu vereinen war,
mußte das ganze Portal abgebrochen werden und man verwendete nur die Figuren wieder.
Sie wurden ohne Rücksicht auf ihre frühere Bedeutung innerhalb des Portalganzen
in die viel zu engen Kehlen des neuen Gewändes versetzt. Dies aber konnte nicht ge-
schehen, ohne ein Mißverhältnis zwischen Figuren und Architektur hervorzurufen. Schon
die gedrungenen Säulen mit dem schweren Laubwerk passen nicht auf die dünnen Stütz-
säulen. Noch mehr stören die in häßlicher Weise frei über die Konsolen hinausstehenden
Gewandenden der Figuren. Indessen lassen sich bei allen Jungfrauen an den Standflächen
Ansätze für ältere, der Gewandkomposition sich anpassende polygonale Deckplatten fest-
stellen. Außerdem ist noch an den beiden, von außen an zweiter Stelle stehenden Jung-
frauen die ursprüngliche Anordnung zu erkennen. Sie werden ohne weiteres Zwischen-
glied von schönen, als Blattbüschel gebildeten Konsolen getragen. Bei allen anderen Jung-
frauen sind die ursprünglichen Tragsteine abgemeißelt. Die Baldachine, die mit dem Motiv
der quergestellten Fialen zwischen Wimpergen an die Giebel der nördlichen Seitenschiffe
anklingen, passen ebenfalls nicht zu den Figuren.
Da die Jungfrauen also ganz unvermittelt und ohne jede untere noch obere Vor-
bereitung in das Gewände gesetzt sind, können sie nicht mehr ihre eigentliche Wirkung
entfalten, die mit der Architektur aufs engste verbunden war.
Aber nicht nur die architektonischen Widersprüche sind es, die den künstlerischen
Willen des Jungfrauenmeisters nicht zur Geltung kommen lassen, es ist vor allem auch
die heutige Reihenfolge, die sich nicht mehr mit der ursprünglichen deckt und in der sich
die Jungfrauen sogar gegenseitig ganz entschieden in ihrer Ausdruckskraft beeinträchtigen
(Abb. 1).
Um dem Meister gerecht zu werden, müßte man daher den Versuch machen, sich
die Jungfrauen in ihrer früheren rhythmischen Gruppierung innerhalb des alten Portals
vorzustellen.
Welche Anhaltspunkte ergeben sich uns da zunächst für eine Rekonstruktion des
alten Portals?
Ich will dabei nicht näher auf die Streitfrage eingehen, ob die Figuren für ein West-
oder Nordportal geplant waren, sondern mich Walter Paatz als dem letzten Forscher
anschließen, der alle Beobachtungen seiner Vorgänger in Betracht zieht und sich in über-
zeugender Weise für ein Nordportal entscheidet. Er knüpft an folgende, von Kunze ge-
machte Beobachtung an: das, das Erdgeschoß abschließende, Gesims hat dasselbe Profil
9 Die vorliegende Arbeit entstand auf Anregung des Herrn Priv.-Doz. Dr. Hubert Schrade, Heidelberg. Bei
den Untersuchungen des Steinmaterials, der Portalwände und Säulen war mir Herr Regierungsbaurat Dr. Stegemann,
Magdeburg behilflich. Die anschauliche Ausführung der Zeichnungen übernahm Herr cand. phil. Vogler, Heidelberg.
Ich möchte den Genannten an dieser Stelle meinen herzlichen Dank aussprechen.
2) Vgl, Walter Paatz, Die Magdeburger Plastik um die Mitte des 13. Jahrhunderts, Jahrbuch der preuß. Kunst-
sammlungen 1925, S. xooff.
I Jahrbuch für Kunstwissenschaft 1930.
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