BESPRECHUNGEN
Der Trikonchos und andere Fragen des Mainzer Doms. Zugleich eine Erwiderung.
In seiner Besprechung meines „Dom zu Mainz" (Jahrb. f. Kunstw. 1928, H. 3/4) wendet sich Rudolf Kautzsch
zunächst gegen meine Auffassung, daß der trikonchiale Westchor des 13. Jahrhunderts eine ältere Anlage gleicher
Art voraussetzt. Er behauptet, der im 13. Jahrhundert beseitigte Westchor habe zum Neubau des Willigis (um 1000)
gehört und sei in seinem Grundriß quadratisch gewesen. Als Gründe gegen meine Auffassung führt er an: die im Quadrat
verlaufenden Fundamente, die unter dem heutigen Westchor aufgedeckt wurden, ständen mit den Fundamenten
der Konchen des 13. Jahrhunderts nicht im Verband. Sie seien vielmehr diesen zuliebe teilweise, besonders an den
Ecken, herausgebrochen worden. Überdies liege die Sohle des quadratischen Fundaments tiefer als die der Konchen-
fundamente. Diese Angaben entsprechen nicht dem Befund. Das quadratische Fundament und die Konchenfunda-
mente haben ein und dieselbe Sohle. Sie stehen in engstem Verband, d. h. sie bilden einen einheitlichen Fundament-
komplex. Die im Quadrat verlaufenden Fundamente sind die Spannmauern eines Trikonchos. An den westlichen
Ecken des Quadrats und an der westlichen Koncha sind für den Neubau des 13. Jahrhunderts FundamentVorlagen
von 2 bis 5 m Dicke angestückt. (Offenbar ist K. in den Baustollen irre gegangen und hat die Vorlagen für die eigent-
lichen Konchenfundamente gehalten.) Meine Beobachtungen stimmen mit den Feststellungen und dem Plane der
Dombauleitung überein. Jeder Interessierte kann sich durch eigenen Augenschein an den Fundamenten selbst von der
Richtigkeit meiner Angaben überzeugen. Bei der Abfassung meines Führers lag mir nur die Veröffentlichung von
Hans Kunze vor, die in ihren Angaben irreführend ist. Danach mußte ich annehmen, daß die alten Konchenfundamente
nicht mehr bestehen. Neuerdings habe ich die Fundamente selbst nachgeprüft und das Gegenteil festgestellt. Damit
ist meine Hypothese, daß an der Stelle des heutigen Westchors schon zu Zeit des Willigis ein Trikonchos stand, bewiesen.
Weiterhin bestreitet K. meine Ansicht, daß der Chor des alten, vorwilligisischen St. Martinsdoms an der Stelle
des heutigen Westchors gelegen habe. Er behauptet, die heute noch bestehende Johanniskirche sei der alte Dom.
Dabei stützt er sich auf eine Überlieferung, die in der historischen Literatur des 17. Jahrhunderts zum erstenmal nach-
weisbar ist. Auf den wahren Kern dieser legendären Nachrichten werde ich unten zu sprechen kommen. Die „älteste
Nachricht" in einer Urkunde von 1112 ist von A. L. Veit als Fälschung des 18. Jahrhunderts nachgewiesen worden,
was K. anerkennt. Eine Nachricht von 1390 ist nur als Notiz Bodmanns erhalten, desselben Gelehrten, der die Urkunde
von 1112 verfälscht hat. Die Unzuverlässigkeit Bodmanns gibt K. selbst zu. — Es gibt also keine ernstzunehmende
Überlieferung über die Identität der Johanniskirche und des alten Doms. Trotzdem beharrt K. auf der Annahme,
daß der alte Dom, der dem Hl. Martin geweiht war, nach der Fertigstellung des neuen St. Martinsdoms seinen Namen
gewechselt habe und zur Taufkirche des neuen Domes umgewandelt worden sei. Die Gründe gegen diese Hypothese sind
großenteils von A. L. Veit ausführlich dargelegt. Ich hebe nur einige der wichtigsten Punkte hervor: 1. wurde bereits
im 6. Jahrhundert eine Taufkirche neben dem Dome erbaut; 2. bekam der neue Dom des Willigis in der Liebfrauen-
kirche sein eigenes neues Baptisterium; 3. kommt eine Johanniskirche bereits 815 neben dem Dome urkundlich vor;
4. wird in der Passio des Hl. Bonifatius, die um 1020 geschrieben ist, ein baptisterium Johannis ausdrücklich genannt.
Der neue Dom wurde erst 1036 in Gebrauch genommen. Der alte kann also um 1020 unmöglich schon in eine Tauf-
kirche umgewandelt worden sein. — Diese Gründe habe ich z. T. (2 und 4) bereits in meinem Führer vorgebracht (S. 9).
(Leider war es mir damals nicht möglich, K.'s Entgegnung auf Veit zu zitieren, da ich sie nirgends nachgewiesen fand.
Auch in K.'s Besprechung fehlt eine nähere Angabe. Im Dom-Inventar wird auf den noch nicht erschienenen Band
Johanniskirche verwiesen. Mit Mühe fand ich jetzt den Aufsatz: Noch einmal der alte Dom zu Mainz, Mainzer Journal
1910 Nr. 133 v. II. Juni.) In der Entgegnung gegen Veit sucht K. den (bei V. übrigens nicht präzisierten) Einwand,
daß die Johanniskirche bereits um 1020 als solche vorkommt, folgendermaßen zu entkräften: „Ich gebe gern zu, daß
dieses Moment nicht ganz einfach ist. Aber man vergegenwärtige sich: seit 978 entsteht der neue Dom. Er war schon
einmal fertig, stand dann — nach dem Brand von 1009 — lange ohne Dach, aber eben doch in seiner ganzen Größe
da (mindestens das Mittelschiff der Säulenbasilika war eingestürzt — Anm. Metz). Der den Ausdruck brauchte, war
ein Geistlicher. Er wußte: über kurz oder lang wird dieser Neubau „der Dom". Der „Alte Dom" aber, wie die Johannis-
kirche damals tatsächlich schon im Volksmund hieß (sola veteri ecclesia remanente: 1009) sollte nach dem Willen der
Erzbischöfe Taufkirche werden und hieß offiziell jetzt schon danach: baptisterium Johannis. Dieses offiziellen Aus-
drucks bedient sich der Schreiber, offenbar, weil er, wie aus dem Wortlaut der ganzen Stelle hervorgeht, ganz genau
sein will. — Wie gesagt, ich bin gar nicht der Meinung, daß diese Erklärung die selbstverständlichste Sache von der
Welt wäre. Aber es ist immerhin eine Erklärung". Eine derartige „Erklärung" bedarf kaum der Widerlegung. Es ist
doch völlig undenkbar, daß der alte St. Martinsdom „offiziell" baptisterium Johannis genannt wird, während er noch
Kathedrale ist und der Hochaltar den Hl. Martin zum Hauptpatron hat. Eine Kirche trägt ihren „offiziellen" Namen
erst dann, wenn sie auf diesen Namen geweiht ist. Der erste Dom des Willigis ist am Tag der Weihe oder unmittelbar
vor ihr (futura consecratione) 1009 abgebrannt. Erst 1036 wurde der neue Dom tatsächlich in Gebrauch genommen
und geweiht. Damals erst, also fast zwanzig Jahre nachdem das baptisterium Johannis genannt wird, wäre ein Namens-
wechsel des alten Domes unter Umständen denkbar. Zum Überfluß geschieht die Nennung des baptisterium in Ver-
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Der Trikonchos und andere Fragen des Mainzer Doms. Zugleich eine Erwiderung.
In seiner Besprechung meines „Dom zu Mainz" (Jahrb. f. Kunstw. 1928, H. 3/4) wendet sich Rudolf Kautzsch
zunächst gegen meine Auffassung, daß der trikonchiale Westchor des 13. Jahrhunderts eine ältere Anlage gleicher
Art voraussetzt. Er behauptet, der im 13. Jahrhundert beseitigte Westchor habe zum Neubau des Willigis (um 1000)
gehört und sei in seinem Grundriß quadratisch gewesen. Als Gründe gegen meine Auffassung führt er an: die im Quadrat
verlaufenden Fundamente, die unter dem heutigen Westchor aufgedeckt wurden, ständen mit den Fundamenten
der Konchen des 13. Jahrhunderts nicht im Verband. Sie seien vielmehr diesen zuliebe teilweise, besonders an den
Ecken, herausgebrochen worden. Überdies liege die Sohle des quadratischen Fundaments tiefer als die der Konchen-
fundamente. Diese Angaben entsprechen nicht dem Befund. Das quadratische Fundament und die Konchenfunda-
mente haben ein und dieselbe Sohle. Sie stehen in engstem Verband, d. h. sie bilden einen einheitlichen Fundament-
komplex. Die im Quadrat verlaufenden Fundamente sind die Spannmauern eines Trikonchos. An den westlichen
Ecken des Quadrats und an der westlichen Koncha sind für den Neubau des 13. Jahrhunderts FundamentVorlagen
von 2 bis 5 m Dicke angestückt. (Offenbar ist K. in den Baustollen irre gegangen und hat die Vorlagen für die eigent-
lichen Konchenfundamente gehalten.) Meine Beobachtungen stimmen mit den Feststellungen und dem Plane der
Dombauleitung überein. Jeder Interessierte kann sich durch eigenen Augenschein an den Fundamenten selbst von der
Richtigkeit meiner Angaben überzeugen. Bei der Abfassung meines Führers lag mir nur die Veröffentlichung von
Hans Kunze vor, die in ihren Angaben irreführend ist. Danach mußte ich annehmen, daß die alten Konchenfundamente
nicht mehr bestehen. Neuerdings habe ich die Fundamente selbst nachgeprüft und das Gegenteil festgestellt. Damit
ist meine Hypothese, daß an der Stelle des heutigen Westchors schon zu Zeit des Willigis ein Trikonchos stand, bewiesen.
Weiterhin bestreitet K. meine Ansicht, daß der Chor des alten, vorwilligisischen St. Martinsdoms an der Stelle
des heutigen Westchors gelegen habe. Er behauptet, die heute noch bestehende Johanniskirche sei der alte Dom.
Dabei stützt er sich auf eine Überlieferung, die in der historischen Literatur des 17. Jahrhunderts zum erstenmal nach-
weisbar ist. Auf den wahren Kern dieser legendären Nachrichten werde ich unten zu sprechen kommen. Die „älteste
Nachricht" in einer Urkunde von 1112 ist von A. L. Veit als Fälschung des 18. Jahrhunderts nachgewiesen worden,
was K. anerkennt. Eine Nachricht von 1390 ist nur als Notiz Bodmanns erhalten, desselben Gelehrten, der die Urkunde
von 1112 verfälscht hat. Die Unzuverlässigkeit Bodmanns gibt K. selbst zu. — Es gibt also keine ernstzunehmende
Überlieferung über die Identität der Johanniskirche und des alten Doms. Trotzdem beharrt K. auf der Annahme,
daß der alte Dom, der dem Hl. Martin geweiht war, nach der Fertigstellung des neuen St. Martinsdoms seinen Namen
gewechselt habe und zur Taufkirche des neuen Domes umgewandelt worden sei. Die Gründe gegen diese Hypothese sind
großenteils von A. L. Veit ausführlich dargelegt. Ich hebe nur einige der wichtigsten Punkte hervor: 1. wurde bereits
im 6. Jahrhundert eine Taufkirche neben dem Dome erbaut; 2. bekam der neue Dom des Willigis in der Liebfrauen-
kirche sein eigenes neues Baptisterium; 3. kommt eine Johanniskirche bereits 815 neben dem Dome urkundlich vor;
4. wird in der Passio des Hl. Bonifatius, die um 1020 geschrieben ist, ein baptisterium Johannis ausdrücklich genannt.
Der neue Dom wurde erst 1036 in Gebrauch genommen. Der alte kann also um 1020 unmöglich schon in eine Tauf-
kirche umgewandelt worden sein. — Diese Gründe habe ich z. T. (2 und 4) bereits in meinem Führer vorgebracht (S. 9).
(Leider war es mir damals nicht möglich, K.'s Entgegnung auf Veit zu zitieren, da ich sie nirgends nachgewiesen fand.
Auch in K.'s Besprechung fehlt eine nähere Angabe. Im Dom-Inventar wird auf den noch nicht erschienenen Band
Johanniskirche verwiesen. Mit Mühe fand ich jetzt den Aufsatz: Noch einmal der alte Dom zu Mainz, Mainzer Journal
1910 Nr. 133 v. II. Juni.) In der Entgegnung gegen Veit sucht K. den (bei V. übrigens nicht präzisierten) Einwand,
daß die Johanniskirche bereits um 1020 als solche vorkommt, folgendermaßen zu entkräften: „Ich gebe gern zu, daß
dieses Moment nicht ganz einfach ist. Aber man vergegenwärtige sich: seit 978 entsteht der neue Dom. Er war schon
einmal fertig, stand dann — nach dem Brand von 1009 — lange ohne Dach, aber eben doch in seiner ganzen Größe
da (mindestens das Mittelschiff der Säulenbasilika war eingestürzt — Anm. Metz). Der den Ausdruck brauchte, war
ein Geistlicher. Er wußte: über kurz oder lang wird dieser Neubau „der Dom". Der „Alte Dom" aber, wie die Johannis-
kirche damals tatsächlich schon im Volksmund hieß (sola veteri ecclesia remanente: 1009) sollte nach dem Willen der
Erzbischöfe Taufkirche werden und hieß offiziell jetzt schon danach: baptisterium Johannis. Dieses offiziellen Aus-
drucks bedient sich der Schreiber, offenbar, weil er, wie aus dem Wortlaut der ganzen Stelle hervorgeht, ganz genau
sein will. — Wie gesagt, ich bin gar nicht der Meinung, daß diese Erklärung die selbstverständlichste Sache von der
Welt wäre. Aber es ist immerhin eine Erklärung". Eine derartige „Erklärung" bedarf kaum der Widerlegung. Es ist
doch völlig undenkbar, daß der alte St. Martinsdom „offiziell" baptisterium Johannis genannt wird, während er noch
Kathedrale ist und der Hochaltar den Hl. Martin zum Hauptpatron hat. Eine Kirche trägt ihren „offiziellen" Namen
erst dann, wenn sie auf diesen Namen geweiht ist. Der erste Dom des Willigis ist am Tag der Weihe oder unmittelbar
vor ihr (futura consecratione) 1009 abgebrannt. Erst 1036 wurde der neue Dom tatsächlich in Gebrauch genommen
und geweiht. Damals erst, also fast zwanzig Jahre nachdem das baptisterium Johannis genannt wird, wäre ein Namens-
wechsel des alten Domes unter Umständen denkbar. Zum Überfluß geschieht die Nennung des baptisterium in Ver-
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