GIO TTO IN ASSISI
Von P. JOHANSEN-Kopenhagen
Daß die S. Franciscusfresken in der Oberkirche zu Assisi nicht alle von einem und
demselben Meister herrühren, ist augenfällig. Es müssen, wahrscheinlich gleichzeitig,
wenigstens zwei Meister hier gearbeitet haben, und der Unterschied zwischen ihren Bildern
ist bedeutend. Sämtliche Bilder der Nordwand — nur das erste ausgenommen — diejenigen
der Ostwand und einige der Südwand, insgesamt 17, tragen das Gepräge des einen Meisters,
die übrigen das Gepräge des zweiten (vielleicht auch eines dritten), jedoch haben einzelne
etwas von beiden (vgl. Erik Moltesen: Giotto und die Meister der Franzlegende, 1930).
Den ersten Meister hat man früher ohne Bedenken mit Giotto identifiziert. Die Frage
ist, ob einer von ihnen, und dann welcher, Giotto sein kann.
Um sich der Eigentümlichkeiten, den Charakteren, dem gegenseitigen Verhältnis der
Künstler gegenüber richtig einzustellen, muß man sich zu allererst die Arbeitsweise und
die Arbeitsbedingungen klarmachen.
Es ist denkbar, daß beide Meister mit Cimabues Werkstatt nach Assisi gekommen
sind, aber dagegen spricht, daß in ihrem Werk keine Spur von seinem byzantinischen Stil
und seiner Malweise nachzuweisen ist. Mit mehr Wahrscheinlichkeit sind sie mit dem-
jenigen Meister, der die Decke und die oberen Wandteile ausgemalt hat, aus Rom hierher
gekommen. Eine dritte Möglichkeit ist die, daß sie selbständig aus Rom herbeigerufen
wurden, und zwar vielleicht etwas später. Die Franciscusbilder am unteren Teil der Wände
können erst nach Fertigstellung der oberen Teile in Angriff genommen sein, weil sie sonst
durch Heruntertröpfeln von Kalk und Farbe Beschädigungen ausgesetzt gewesen wären.
Offenbar ist die untere Bilderreihe als Ganzes in Auftrag gegeben, und somit spricht viel
dafür, daß einer der leitende Meister und der andere erster Werkstattgenosse gewesen ist.
Übrigens müssen auch andere, künstlerische und handwerkerliche, Werkstattgehilfen (un-
genau „Schüler" genannt) mitgearbeitet haben.
Als erstes hat der leitende Meister, nach Feststellung der Aufgabe und der Motive,
Kompositionsentwürfe machen und diese der Priesterschaft zur Genehmigung unterbreiten
müssen. Alsdann kamen die weiteren Entwürfe für die einzelnen Bilder, wobei vieles ge-
ändert worden sein kann, und darnach das wichtigste, das Aufzeichnen der originalgroßen
und vollständig ausgeführten Kartons. Schon hier konnten die „Gesellen" zur Beihilfe
beim Durchzeichnen einzelner Teile herangezogen werden. Vor Beginn der Arbeit an der
Wand mußten dann Gerüste gebaut werden. Da die Franciscusfresken ziemlich niedrig
sitzen, waren nur kleinere und leicht umstellbare Gerüste vonnöten, und die Arbeit konnte
vom Boden der Kirche aus übersehen werden.
Gewöhnlich ist man der Ansicht, daß die Arbeit mit dem ersten Fresko an der Nord-
wand begonnen und regelmäßig die Wände herum, den Verlauf der Erzählung folgend,
fortgesetzt wurde. Das war aber hier keineswegs gegebene Sache; vielmehr können die Bilder
in zufälliger Ordnung in Angriff genommen worden sein, je nachdem es Lust und Inspiration
dem Meister eingaben.
Die Arbeit an der Wand ging so vonstatten, daß die Flächen gemessen und eingeteilt,
und darnach die ornamentalen Rahmen oben und seitlich gemalt wurden. Bei jedem
einzelnen Bild sind dann Tag für Tag die Umrisse und Hauptlinien eines Stückes des Kartons
auf die Wand durchpunktiert worden, damit alles seinen rechten Platz bekäme. Dabei
mußte also der Karton entzweigeschnitten werden. An und für sich konnten sehr wohl ein
paar Männer auf einmal malen, jeder an seiner Stelle. Die Einheit des Kolorits wurde
dadurch nicht gefährdet, weil sämtliche zu verwendenden Farben vorher, unter Aufsicht
des Meisters, zubereitet und in Töpfe verteilt waren. Die Arbeit mußte flink von der Hand
130
Von P. JOHANSEN-Kopenhagen
Daß die S. Franciscusfresken in der Oberkirche zu Assisi nicht alle von einem und
demselben Meister herrühren, ist augenfällig. Es müssen, wahrscheinlich gleichzeitig,
wenigstens zwei Meister hier gearbeitet haben, und der Unterschied zwischen ihren Bildern
ist bedeutend. Sämtliche Bilder der Nordwand — nur das erste ausgenommen — diejenigen
der Ostwand und einige der Südwand, insgesamt 17, tragen das Gepräge des einen Meisters,
die übrigen das Gepräge des zweiten (vielleicht auch eines dritten), jedoch haben einzelne
etwas von beiden (vgl. Erik Moltesen: Giotto und die Meister der Franzlegende, 1930).
Den ersten Meister hat man früher ohne Bedenken mit Giotto identifiziert. Die Frage
ist, ob einer von ihnen, und dann welcher, Giotto sein kann.
Um sich der Eigentümlichkeiten, den Charakteren, dem gegenseitigen Verhältnis der
Künstler gegenüber richtig einzustellen, muß man sich zu allererst die Arbeitsweise und
die Arbeitsbedingungen klarmachen.
Es ist denkbar, daß beide Meister mit Cimabues Werkstatt nach Assisi gekommen
sind, aber dagegen spricht, daß in ihrem Werk keine Spur von seinem byzantinischen Stil
und seiner Malweise nachzuweisen ist. Mit mehr Wahrscheinlichkeit sind sie mit dem-
jenigen Meister, der die Decke und die oberen Wandteile ausgemalt hat, aus Rom hierher
gekommen. Eine dritte Möglichkeit ist die, daß sie selbständig aus Rom herbeigerufen
wurden, und zwar vielleicht etwas später. Die Franciscusbilder am unteren Teil der Wände
können erst nach Fertigstellung der oberen Teile in Angriff genommen sein, weil sie sonst
durch Heruntertröpfeln von Kalk und Farbe Beschädigungen ausgesetzt gewesen wären.
Offenbar ist die untere Bilderreihe als Ganzes in Auftrag gegeben, und somit spricht viel
dafür, daß einer der leitende Meister und der andere erster Werkstattgenosse gewesen ist.
Übrigens müssen auch andere, künstlerische und handwerkerliche, Werkstattgehilfen (un-
genau „Schüler" genannt) mitgearbeitet haben.
Als erstes hat der leitende Meister, nach Feststellung der Aufgabe und der Motive,
Kompositionsentwürfe machen und diese der Priesterschaft zur Genehmigung unterbreiten
müssen. Alsdann kamen die weiteren Entwürfe für die einzelnen Bilder, wobei vieles ge-
ändert worden sein kann, und darnach das wichtigste, das Aufzeichnen der originalgroßen
und vollständig ausgeführten Kartons. Schon hier konnten die „Gesellen" zur Beihilfe
beim Durchzeichnen einzelner Teile herangezogen werden. Vor Beginn der Arbeit an der
Wand mußten dann Gerüste gebaut werden. Da die Franciscusfresken ziemlich niedrig
sitzen, waren nur kleinere und leicht umstellbare Gerüste vonnöten, und die Arbeit konnte
vom Boden der Kirche aus übersehen werden.
Gewöhnlich ist man der Ansicht, daß die Arbeit mit dem ersten Fresko an der Nord-
wand begonnen und regelmäßig die Wände herum, den Verlauf der Erzählung folgend,
fortgesetzt wurde. Das war aber hier keineswegs gegebene Sache; vielmehr können die Bilder
in zufälliger Ordnung in Angriff genommen worden sein, je nachdem es Lust und Inspiration
dem Meister eingaben.
Die Arbeit an der Wand ging so vonstatten, daß die Flächen gemessen und eingeteilt,
und darnach die ornamentalen Rahmen oben und seitlich gemalt wurden. Bei jedem
einzelnen Bild sind dann Tag für Tag die Umrisse und Hauptlinien eines Stückes des Kartons
auf die Wand durchpunktiert worden, damit alles seinen rechten Platz bekäme. Dabei
mußte also der Karton entzweigeschnitten werden. An und für sich konnten sehr wohl ein
paar Männer auf einmal malen, jeder an seiner Stelle. Die Einheit des Kolorits wurde
dadurch nicht gefährdet, weil sämtliche zu verwendenden Farben vorher, unter Aufsicht
des Meisters, zubereitet und in Töpfe verteilt waren. Die Arbeit mußte flink von der Hand
130