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P. JOHANSEN

das zum Monumentalen gehört. (Ganz wie in Raffaels „Disputa", „Schule von Athen"
und „Messe in Bolsena").
Alle die oben als für „Giotto" charakteristisch hervorgehobenen Züge finden sich in
der Cappella dell'Arena wieder. Der Unterschied rührt allein daher, daß er in der Zwischen-
zeit einen Schritt vorwärts getan hat in Bewältigung von Form und Raumverständnis;
wenn auch die Raumtiefe der Bilder nur wenig erweitert ist, sind doch die Motive mannig-
faltiger und dramatischer geworden.
Dem „zweiten Meister" schreibt Moltesen an der Südwand eine Reihe der Bilder, dem
Altar am nächsten, und an der Nordwand „Die Huldigung des jungen Franciscus" zu.
Die Landschaft spielt bei ihm überhaupt gar keine Rolle. Seine Architekturen sind hoch
und überschlank, mehrmals nur wie eine um die Figuren gestellte Umrahmung, fast ohne
Tiefe und räumlich sehr schwach und unbestimmt. Von perspektivischem Sinn kann hier
weit weniger die Rede sein als bei Giotto; auch das Empfinden für plastische Gestaltung
und Rauminhalt ist nur wenig entwickelt. Giottos Gebäude dagegen, wenn sie auch
nicht viel in die Tiefe gehen, besitzen so große räumliche Kraft, daß sie mehrmals
von der Wand in den Kirchenraum hinaus zu wachsen scheinen, z. B. der
Thron des Sultans und der Baldachin des Edelmannes von Celano (ebenso bei dem „Eng-
lischen Gruß" in Padova). Giottos sicheren Sinn für das Verhältnis der Gestalten zur
Standfläche, zum „Boden" des Bildes, vermißt man bei dem zweiten Meister. Wo dieser
Gruppen von mehreren Figuren verwendet, läßt er sie in altertümlicher Weise die Bildfläche
hinaufgleiten — wie z. B. in der „Bestattung des Franciscus" — so daß die hinteren über
den vorderen zu schweben scheinen. Es hat nichts von der klaren Anordnung Giottos.
Die Gestalten des zweiten Meisters sind durchgehend wenig plastisch. Man empfindet
sie nicht als rund und frei dastehend, vielmehr hängen sie wie „angeklebt" in der Bildfläche
fest. Es fehlt ihnen die Körperlichkeit unter den Kleidern. Oft sind sie ganz absonderlich
lang, als hätte er sie in die Länge ziehen müssen um sie hinreichend die Fläche füllen zu
lassen; es ist ihm augenscheinlich schwierig gewesen, die obere Bildhälfte auszufüllen. Die
Gestalten sind im Verhältnis zur Bildfläche kleiner und unbedeutender als bei Giotto.
Es fehlt ihnen an festen Proportionen und organischem Zusammenhänge, gewissermaßen
ähneln sie Kegeln mit angesetzten Köpfen und Armen. Die Füße, wenn sie mitunter sicht-
bar sind, sind schlecht gezeichnet und treten unsicher auf die Erde. Die Köpfe sind auf-
fallend klein, die Gesichtszüge kleinlich ausgepinselt, die Hände klein und klauenartig;
den Bewegungen fehlt die sprechende Natürlichkeit Giottos.
Der zweite Meister hat aber auch seine Vorzüge. Im seligen Gesichtsausdruck der
Figuren steht er Giotto nicht nach, und dadurch bekommen auch seine Gestalten intensives
Leben und Gefühlsgehalt, obschon Körper, Glieder und Bewegungen weit weniger daran
beteiligt sind. Ihm gehen überhaupt weder Gefühl noch Erzählungsvermögen ab. Dazu
kommt, daß sein Farbensinn reicher ist als der Giottos, und seine Bilder besitzen eine milde
und wohlige Pracht. Jedoch muß man gerechterweise bedenken, daß in Giottos Bildern
die eintönigen braunen Mönchskutten eine große Rolle spielen, und daß auch einigen, wie
den „himmlischen Thronsesseln" und „Franciscus vor dem Sultan", keineswegs Farben-
pracht abzusprechen ist. Der Unterschied beider Meister liegt weniger in der Pracht der
Farben als in der Feinheit, mit der sie der zweite Meister abstuft. Besonders lieb sind ihm
lilla, blaßgrün, blaßrosa usw.
In einigen seiner Bilder ist der Gesamtrhythmus der Linien von feiner Schlankheit,
in anderen unruhig und überfüllt, überall fehlt ihnen der feste und klare Zusammenhang
Giottos. Die einzelnen Bildteile stehen gewissermaßen für sich allein da, der eine Teil ist
dem andern nicht unentbehrlich. Die Linien verflechten sich nicht untrennbar von dem
einen zu dem anderen, zwingen das Auge nicht zu folgen und bieten keine feste Verbindung

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