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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 6.1912

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Tietze-Conrat, Erica: Der Böckchen tragende Satyr: ein Beitrag zur Frage der skulpturalen Kopie und zum Oeuvre Georg Raphael Donners
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https://doi.org/10.11588/diglit.19094#0102
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70

E. Tietze-Conrat Der Böckchen tragende Satyr

geben und überdies noch von einem klimmenden Efeu umwachsen. Die gleiche eingehende
Oberflächenbehandlung zeigt das Pedum. Die Haltung der Figur stimmt fast ganz mit der
Antike überein, nur ist der Kopf ein wenig mehr zur rechten Schulter geneigt, der rechte
Arm ist im Ellbogen mehr vom Leib weggehalten, die Stütze fehlt unter dem linken Fuß.
Die Haare mit dem Kranz sind trocken mit dem Bohrer in Weißschwarzwirkung, die
Modellierung der Knie in klar abgesetzten Flächen gearbeitet. Die schwach bewegte Kon-
turierung und die kühle Behandlung des Torsos steigern die flächige Wirkung zum Relief-
eindruck. Kurz bevor Lepautre nach Rom kam, hat Puget die für seinen späten Stil
charakteristischen Arbeiten vollendet: Milon von Kroton26) (1682) und Perseus und Andro-
meda (1684). Beide Werke zeigen eine Fülle von übereinander gehäuften Einzeltatsachen,
die eine straffe Konturierung mit großzügiger Eindringlichkeit zur Reliefwirkung zwingt.
So gering die Abweichung ist, um die sich Lepautre in seiner Kopie von dem Original
entfernt, so folgt er doch klar dem Weg der führenden Kunst, die ihn erzogen hat.

Fast ein halbes Jahrhundert später, wohl um 173227), kopiert Bouchardon den Satyr in
Marmor (Fig. 34). Friedrich der Große hatte die Figur im Park von Sanssouci, jetzt ist sie
im königlichen Schloß in Berlin28). Bouchardon hat die Antike verkleinert — sein Ziegen-
träger mißt nur 114 cm —, doch an ihrem Motiv getreu festgehalten. Auch Bouchardon belebt
den Baumstumpf durch rankenden Efeu, doch ist bei seiner Kopie der Holzstamm nicht
vom Zweig und den Blättern in der stofflichen Behandlung unterschieden, der einheitliche
Steincharakter drängt die Illusion zurück. In den Proportionen und der Struktur des Körpers,
in der Fleischbehandlung ist Bouchardon von dem antiken Original abgewichen: das kleine
Gesicht erscheint noch kleiner unter dem üppigen Lockengewirr und dem reich gegliederten
Kranz; die Hände sehen weich und groß aus, als ob keine Knochen unter dem Fleisch
wären, ebenso sind die Beine, vor allem das Vorgesetzte rechte, ohne struktives Gerüst. Die
Vergleichung29) des aufgefundenen Gipsabgusses nach der Venus d’ Arles und der antiken
Marmorfigur im Louvre gibt Aufschluß, wie Francois Girardon sich zur Antike stellte:
denn als er die Restaurierung dieser Venus übernahm, hat er sich nicht mit Ergänzungen
begnügt, sondern die Oberfläche nach dem ihm zusagenden Frauentypus verwandelt. Die
Schultern des originalen Gipsabgusses sind artikuliert, die Brüste voll und ausladend, die
der restaurierten Marmorfigur sind ganz zart und heben kaum die Haut des feinen Ober-
körpers. Und wenn auch die Korrodierung der Oberfläche ein Abnehmen des Marmors
bedingt hätte, so wäre ja doch ein der ursprünglichen Erscheinung proportioniertes möglich
gewesen. Beim Ziegenträger Bouchardons ist es dieselbe durchfühlte lockere Oberflächen-
behandlung, dieses Zurückdrängen der struktiven Bedeutung des Körpers und dieselbe
auch bei der Kopie des Barberinifauns, dem wichtigsten Jugendwerk des Künstlers.
Wenn man das Lebenswerk mustert und die vielen Modellzeichnungen findet, die den
späteren selbständigen Schöpfungen zugrunde liegen, und das Wachsen der struktiven Er-
fassung des menschlichen Körpers in diesen erkennt, so liegt die Vermutung nahe, daß
das Kopieren eines gegebenen Kunstwerkes zu dieser einseitigen Oberflächenbehandlung

26) Die Oberflächenbehandlung des Baumstumpfes, in
dem die Hand des Riesen eingeklemmt ist, stimmt genau
mit dem Stumpf der Kopie von Lepautre überein. Abge-
bildet bei Gustave Geffroy, La Sculpture au Louvre. Paris
S. 126.

27) Roserot a. a. O. S. 19.

28) Paul Seidel, Französische Kunstwerke des

XVIII. Jhs. im Besitz S. M. des Deutschen Kaisers und
Königs von Preußen. Berlin 1900. S. 113, Nr. 179. Pro-
fessor Seidel war so freundlich, mir die Erlaubnis einer
photographischen Aufnahme zu erwirken, wofür ich ihm
auch an dieser Stelle meinen ergebensten Dank ausspreche.

29) La Revue de L’Art a. a. O.
 
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