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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Editor]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 6.1912

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Tietze-Conrat, Erica: Der Böckchen tragende Satyr: ein Beitrag zur Frage der skulpturalen Kopie und zum Oeuvre Georg Raphael Donners
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https://doi.org/10.11588/diglit.19094#0105
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E. Tietze-Conrat Der Böckchen tragende Satyr

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der antiken vollständig- überein, nur eine kleine Abweichung hat sich der Künstler gestattet:
von der Baumstütze wächst ein kleiner Ast heraus, schiebt sich hinter dem rechten Ober-
schenkel des Satyrn in die Höhe und endet in zwei Blattbüschel; der obere deckt die Blöße.

Den besten Beweis für das häufige Vorkommen der Gipsabgüsse nach dem Madrider
Satyr bietet der Geschäftskatalog45) der Kunsthandlung Rost in Leipzig, der auch einen
Stich (n. 28) nach dieser Figur enthält. So
mußte auch an dieser Stelle die Stückform
vorhanden gewesen sein, nach der man die
Ausgüsse bestellen konnte. Der Stich — von
Gründling — ist wie auch die übrigen in
diesem Buch recht ungenau und besonders
in der Fußstellung verfehlt; doch kann kein
Zweifel darüber entstehen, besonders wenn
man die Detailbehandlung des Baumstumpfes
betrachtet, daß ein direkter Abguß nach der
Antike Vorlage war.

Anders steht es bei einem Gipsabguß
(Fig. 35) in der Universitätssammlung in Prag-,
der allzu bedeutende Abweichungen auf-
weist, als daß man ihn auch nur einen über-
arbeiteten Abguß nach der Antike nennen
könnte40). Klein erwähnt die Gipsfigur in
seiner Geschichte der griechischen Kunst47)
und bezeichnet sie als Abguß eines verschol-
lenen antiken Exemplars. Burckhardt sagt
im Cicerone, daß dieser „Satyr, welcher ein
Zicklein trägt, hie und davorkommt“48); diese
Bemerkung blieb auch in den weiteren Auf-
lagen stehen; ich konnte aber kein zweites
antikes Original dieses Typus ermitteln und
auch Professor Klein gab mir den Bescheid,
daß ihm kein zweites Original bekannt sei.

Nun wäre es ja gut möglich, daß irgendwo
ein zweites Exemplar existiert hat, das in-
zwischen verschollen ist und von dem uns nur dieser Prager Abguß Zeugnis gibt. Doch sind
historische Bedenken, die gegen diese Annahme sprechen. Denn dieses verschollene

Fig- 35 Gipsabguß nach dem Ziegenträger.
Prag, Universitätssammlung

aufgestellt, doch so, daß die Hauptansicht gegenüber der
Nische durch eine Säule verstellt ist; der Beschauer sieht
nur seitlich in die Nische hinein, bekommt dadurch zwar
die klassische Front der Figur, doch ist das zurückgesetzte
Bein des Satyrs abgeschnitten.

45) Abgüsse antiker und moderner Statuen, Figuren,
Basreliefs in Gips, fester Masse, künstlichem Marmor, über
die besten Originale geformt in der Rostischen Kunst-
handlung in Leipzig; undatiert, nach dem Katalog der
South-Kensington-Bibliothek von 1794.

46) Ich möchte auf die Abweichung, daß die Bart-

Kunstgeschichtliches Jahrbuch der fc. k. Zentral-Kommission 1912

fliege beim Prager Exemplar fehlt, kein großes Gewicht
legen; der Gipsarbeiter hat die Haarpartien deutlich nach-
gearbeitet, er könnte auch die knopfartige Erhöhung am
Kinn der Antike, die von dem Kopisten zur Bartfliege
ausgebildet wurde, wegretuschiert haben. — Doch halte
ich es eher für möglich, daß das Weglassen der Fliege
mit zu den individuellen Abweichungen des nachschaf-
fenden Künstlers gehört, dem ich diese Gipsfigur zu-
schreiben möchte.

47) Klein a. a. O. Anmerkung.

48) Burckhardt a. a. O.

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