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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Editor]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 6.1912

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Tietze-Conrat, Erica: Der Böckchen tragende Satyr: ein Beitrag zur Frage der skulpturalen Kopie und zum Oeuvre Georg Raphael Donners
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https://doi.org/10.11588/diglit.19094#0108
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E. Tietze-Conrad Der Böckchen tragende Satyr

Rücken spielen oder den Nacken bestrahlen. So kann sie weder ausschließlich auf die
Silhouettenwirkung noch auf das Heben und Senken der Flächen hin gearbeitet sein;

darum wird bei ihr die Wahl des Materials
nicht von innerlichen Gründen bestimmt.
Von 1581 ist ein bedeutungsvoller Brief
über Giovanni Bologna erhalten; auch für
diesen Künstler war der formale Concetto
nicht durch das Material gedacht . . .
Der Herzog von Urbino solle davon ab-
stehen, die beiden bestellten Statuetten in
Marmor ausführen zu lassen; Bologna sei
zu sehr mit Arbeiten überhäuft, um die Aus-
führung eigenhändig vornehmen zu können,
und rate dem Herzog, statt des Marmors, der
ohnedies schlecht zu transportieren wäre,
Bronzegüsse zu nehmen 5fj.“

Und wie stand das Publikum diesen
Statuetten gegenüber, die Antico oder an-
dere von der Antike angeregt bildeten?
Die unmittelbare Erinnerung an das be-
stimmte Vorbild mag sich ja bisweilen ein-
gestellt haben, doch niemals so prompt
oder in dem Grade wie für den Kenner
vor einer Kopie der Galerie Denon. Da
treten die vielen Abänderungen doch als
Hemmungen dazwischen: so hat Antico

z. B. bei der genannten Venus den Amor
weggelassen, hat die Figur auf einen mit
vergoldeten Münzen geschmückten Sockel
gestellt. Aber gerade an diesem erfunde-
nen Sockel wird es klar: das Publikum will
zumeist durch diese Statuetten nicht an
eine bestimmte antike Figur, sondern an
einen Komplex von Erlebnissen erinnert
werden, die ihm die Antike als solche be-
deuten. Schon die Reduktion der Größe,
die jede körperliche Einfühlung unmöglich
Fig. 37 Soldanis ziegenträger. macht, erweckt eine begriffliche Vorstel-

Florenz, Museo Nazionale lung, über die der Beschauer erst zur Er-

innerung an das Original hinüber muß.
Neben dem Dekorationswert haben also diese Statuetten vorwiegend die Aufgabe, ihr
Publikum gedanklich zur Antike zu leiten. Etwas ganz anderes als etwa unsere Reise-
andenken, der Laokoon zwei Spannen hoch, der an unser individuelles Erlebnis dieser
Figur gemahnen will.

53) Bkcker-ThieME, Künstlerlexikon. IV. Bd. S. 250.
 
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