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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 6.1912

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Morelovski de Prus, Marian: Der Krakauer Schwanritter-Wandteppich und sein Verhältnis zu den französischen Teppichen des XV. Jhs.
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https://doi.org/10.11588/diglit.19094#0262
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119

Marian Moret.owski Der Krakauer Schwanritler-Wandteppich usw.

I 20

Elias zum Verteidiger seiner, ihm bis jetzt unbekannt
gebliebenen Mutter bestimmt wurde.

4. Der Einsiedler belehrt seinen Zögling über
die ihm von Gott beschiedene Aufgabe.

5. Im letzten Bilde (unten rechts) führt uns der
Künstler die Versammlung am Hofe des Königs
Oriant vor. Der inmitten dieser, prachtvolle Gewänder
tragenden, Gesellschaft seltsam aussehende Wildling
(Elias) fordert Matabrunes Kämpen Malquarri zum
Zweikampf. Kniend fleht Beatris Gott um Hilfe. Die
Namen sämtlicher fünf Hauptpersonen erscheinen
wiederum auf den Gewändern ersichtlich gemacht.
Oben auf dem Dächlein steht es in der Inschrift:

a) „Apres vint Elias lenfant devant le roi en
iugement

b) „Et dist quil sera delivrant sa mere par camp
senlement.“

Der Wiener Wandteppich, obwohl sehr be-
schädigt, scheint dank sorgfältiger Konservation
dem vernichtenden Einflüsse der Zeit noch lange
wiederstreben zu können. An dem viel größeren, in
Krakau befindlichen Teile bemerkt man zwar viel
geringere Spuren der Feuersbrunst, allein das jahr-
zehntelange Verwahren desselben in der Kirche
konnte leicht vom schlechten Einflüsse sein. Allerdings
muß bemerkt werden, daß dank der energischen Auf-
sicht seitens des Konservators v. Tomkowicz u. a. der
erwähnte Teppich seit geraumer Zeit in einer sehr
geeigneten, die Wirkung der Feuchtigkeit vorbeu-
genden Weise in einer entsprechenden Entfernung
von der Wand aufgehängt ist. Der Verein zum Schutze
polnischer Kunst- und Kulturdenkmäler (Towarzystwo
opieki nad polskimi zabytkämi sztuki i kultury) hat
unlängst den Beschluß gefaßt, das prächtige Werk
den Anforderungen der modernen Denkmalpflege
entsprechend restaurieren zu lassen.

II. Zeit- und Ort-Bestimmung

A. Kostüme; Ikonographisches, Verhältnis

Philipps des Guten zur Schwanrittersage

Schon bei flüchtiger Besichtigung läßt sich fest-
stellen, daß die Kostüme der Helden mit jenen der
hohen französischen, und besonders der burgundischen
Gesellschaftaus der Regierungszeit Ludwigs XI. von
Frankreich und Philipps des Guten von Burgund
bis in die Einzelheiten identisch sind*) 1). Eine Aus-
nahme bildet nur der interessante Hut Matabrunens,

*) Vergl. Jubinat., Les anc. tapisseries historiäes.
Tome II. — Quicherat, Histoire du costume, p. 275—295,
auch La grande encyclopedie. — R. Beer, Die Miniaturen-
ausstellung der k. k. Hofbibliothek 1902. Insbesondere
die Bemerkungen über die dort reproduzierte Vermählung

der allem Anscheine nach der Phantasie des Künstlers
allein seinen Ursprung verdankt.

Sowohl die fast durchsichtigen, mit höchster,
bis heute unübertroffenen Kunstfertigkeit wieder-
gegebenen hennins2) als auch die schweren und reich
gestickten cornes und die prächtigen houppelandes,
die schon in den Dreißigerjahren des XV. Jhs. ge-
tragen wurden, kommen noch gegen 1465 und selbst
1470 vor. Die kurzen Jacken (pourpoint) sind erst
später im Gebrauch und deshalb werden sie auf
unserem Teppich nur von jungen Leuten getragen.
Die Kopfbedeckung aber (chaperon) und die Gewänder
König Oriants (siehe Krakauer Wandteppich, Bild
Nr. 5) erweisen sich als die beliebte Tracht Philipps
des Guten von Burgund, die er bis zu seinem Lebens-
ende (1467), besonders aber in den Jahren 1450—1465
getragen hat. (Vgl. 1. Wit.t.emin, Monuments inedits
t. II; — 2. Quicherat p. 295: — 3. Das Dedikations-
bild der Wiener Roussillonhandschrift; — 4. Simon
Marmions, G. Filastre vor Philipp dem Guten, Mscr.
d. Bibliothek v. St. Petersburg; endlich 5. Les chefs
d’osuvre de l’exposition de la Toison d’or 1907). Das
letzterwähnte Werk enthält zwei Porträts dieses
Herzogs, welche an das höchst vornehme Gesicht
König Oriant’s stark erinnern3) (Fig. 57, 58, 59).

Daß die Künstler des XV. Jhs. auch den phan-
tastischen oder längst verstorbenen Helden ihrer
Bilder die Gesichtszüge ihrer Zeitgenossen, nament-
lich hochstehender Persönlichkeiten — ohne sich
um den Vorwurf des Anachronismus zu kümmern —
zu verleihen pflegten, braucht heute nicht mehr nach-
gewiesen zu werden. Auch in der Wandteppich-
kunst begegnen wir ähnlichen Gewohnheiten. So hat
z. B. Quicherat im König Clo vis auf der berühmten
Tapisserie du Couronnement im Dome zu Reims
den König Karl VII. von Frankreich4), A. Wauters
dagegen im J. Cesar auf dem Wandteppiche von

des Girart de Roussillon (Schule des Villem Vrelant,
c. 1447). — H. Bouchot, Le maitre aux ardents du manu-
scrit de Froissart, Revue de l’art anc. et moderne, t. II,
p. 248.

2) Vergl. Guiffrey, Bai des Sauvages ä Nantilly.
Revue de l’art anc. et mod. 1898.

3) Vergl. auch Philipp den Guten auf dem Dedikations-
bilde der Chroniques du Hainaut in der Zeitschrift L’art
flamand et hollandais, 15- V. 1912. Bruxelles, Van Oest,
und im W. H. J. Weale „Hubert and John Van Eyck’s“.
London, J. Lane 1908. Vergl. auch Jahrb. der k. k. Samm-
lungen des Allerh. Kaiserhauses V, 1887, T. XVIII, S. 265
bis 270. Das im Hofmuseum befindliche, von Frimmei,
beschriebene Porträt stellt Philipp den Guten mit blauen
Augen vor. König Oriant hat auch blaue Augen.

4) Vergl. G. MlGEON, Les arts du tissu. Paris,
Laurens, 1909, S. 210.
 
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