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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 6.1912

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Morelovski de Prus, Marian: Der Krakauer Schwanritter-Wandteppich und sein Verhältnis zu den französischen Teppichen des XV. Jhs.
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https://doi.org/10.11588/diglit.19094#0269
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Marian Moret.owski Der Krakauer Schwanritter-Wandteppich usw.

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da sie aber außerdem ausgesprochen flämische
Kunstzentren sind, kommen sie für uns auch aus
stilkritischen Rücksichten in viel geringerem Grade
als Tournai in Betracht. Keine Stadt des damaligen
Europa kann sich in den Jahren 1460—1470 auf dem
Gebiete der großen Textilkunst mit der letztgenannten
Stadt messen. Dort werden die berühmtesten und
kostbarsten Teppiche des XV. Jhs. (z. B. die Tapis-
series de l’Histoire de Gedeon für den Toison-Orden)
verfertigt* 31), — von dort trachteten andere Städte
Frankreichs, Italiens, Flanderns usw. nicht nur die
Erzeugnisse selbst, sondern auch die Meister zu
holen, um den letzteren die Gründung neuer Ateliers
zu übertragen, (z. B. Amiens, Audenarde, Mid-
delbourg 1465, Ferrara 1464)32). Sogar Arras
benutzt die Entwürfe Tournaisischer Künstler, z. B.
J. Darets33). Und wenn wir noch in Erwägung
ziehen, daß andere Ateliers des pikardischen Sprach-
gebietes und der benachbarten Länder (Amiens,
Cambrai, Lille, Mons, Courtrai, Enghien,
Douai, Yppre, Valenciennes) im XV. Jh. ent-
weder keine nennenswerte Bestellungen bekommen34)
oder die Existenz ihrer Ateliers erst nach dem
Jahre 1462 urkundlich nachweisen können35), so
wird es sich daraus ergeben, daß unser wertvoller
Wandteppich, dessen Darstellungsgegenstand, In-
schriften, Trachten, Stil u. a. der oben erwähnten
burgundisch-tournaisischen Rechnung vom Jahre 1462
entsprechen, positiv diesem Kunstzentrum und dem
Atelier P. Greniers zugeschrieben werden darf36).

Über die Ateliers von Bruxelles sagt derselbe Autor
S. 13: „L’äge d’or des ateliers de Bruxelles co'incide avec
les derniöres annees du XVS et la premiere moitie du
XVP.

Über Bruges Sou., op. cit. S. 34: Noch im Jahre
1495 • • • • les magistrats de Bruges invitent nos tapissiers
ä aller y vendre leurs tentures et leur promettent de reduire
pour eux les droits de Courtage.

31) Soil S. 233—235, Migeon S. 212. — Vergl.
Guiffrey.

32) Soil S. 5, S. 212—218.

33) Sou-, op. cit. S. 209. Nach de la Grange et
Cloquet, L’art ä Tournai, T. II 131.

34) G. Migeon, op. cit. S. 216, 217, 220. S. 212:
„Tournai avait prdcddö toutes ses rivales.

35) A. Durrieu, Les artistes Cambresiens. Cambrai,
Simon, 1873, S. 46, 47.

36) a) Die Herkunft eines ähnlichen Kunstwerkes
auf Grund der Fabrikationsart zu bestimmen, ist beim
heutigen Stande der Wissenschaft der Teppichgeschichte
noch nicht möglich. „L’histoire de la tapisserie n’est meme
pas assez avancee — dit M. Müntz —, pour que nous
puissions determiner les caracteres distinctifs de chaque
grand centre.“ Sou. S. 197.

III. Stilkritisches

a) Wie schon erwähnt, können auch stilkritische
Erwägungen die Richtigkeit obiger Ausführungen
bekräftigen. Daß der Entwurf zu unserem Teppich
einem nordfranzösischen Künstler zuzuschreiben ist,
unterliegt wohl keinem Zweifel. Schon die Rück-
ständigkeit in der Darstellung der Architektur und
der Landschaft weist darauf hin.

Ich möchte noch folgende Kennzeichen der
französischen Herkunft hervorheben. Und zwar: das
Streben nach dem Vornehmen und Anmutigen, das
ebensowohl in den Gebärden als auch in den
Gesichtszügen der dargestellten Personen, vor
allem des Königs Oriants, zum Vorschein kommt.
Der Kopf des letzteren gehört wohl zu den
schönsten, die die mittelalterliche gotisierende
Kunst geschaffen hat. Selten begegnen wir einem
so hohen Grade edler, aristokratisch verfeinerter
Poesie des Ausdruckes. Flämisch sind alle diese
Gesichter nicht. — Auch die Gruppierung der Ge-
stalten ist maßvoll und übersichtlich und dies ist
eine Eigenschaft, die dem französischen Geiste be-

P) Stadt- oder Fabrikszeichen kann man an
einem Teppich des XV. Jhs. ebenfalls kaum entdecken, da
sie in jener Zeit entweder mittels einer Schnur (sceau de
plomb) am Teppich befestigt oder in die äußere (schmale)
Bordüre eingestickt wurden und bei Reparaturen leicht be-
seitigt werden konnten (vgl. Son. S. 148—155)' Man kennt
nur eine einzige Tapisserie tournaisischer Herkunft, die das
Fabrikszeichen (ein Turm) aufweist; sie ist aus der ersten
Hälfte des XVI. Jhs. (Soit. S. 154). Derselben Meinung
sind Guiffrey und Pinchart hinsichtlich anderer Fabrik-
zentren (Guiffrey', Histoire d. 1. tap. Tours 1886, S. 125).
Vgl. auch z. B. Dr. Ernst R. v. Birk, „Inventar der im
Besitze des Allerh. Kaiserhauses bef. Tapeten u. Gobelins“.
Jahrbuch der Künstln Samml. des Allerh. Kaiserhauses
1883 u. ff.

tf) Die Wappen, die wir an den kleinen Fähnlein
(girouettes) des Krakauer Wandteppichs bemerken, haben
für die Frage der näheren Bestimmung der Herkunft des
letzteren keine Bedeutung. Man muß sie als Erzeugnisse
der Phantasie des Künstlers betrachten. Dasselbe behauptet
auch Guiffrey in Betreff ganz ähnlicher mit Wappen ver-
sehener Fähnlein auf der Tapisserie au Bai des sauvages
von Nantilly. Er nennt sie „armoiries de phantaisie“. —
Einem wirklichen Wappen, z. B. dem des Kunstmäzens,
der den betreffenden Teppich bestellt hat, verleiht man im
X-V- Jh. viel größere Dimensionen und ganz andere Aus-
stattung. Vgl. z. B. die Wappen auf den Teppichen, welche
die Szenen aus dem Leben des hl. Petrus darstellen, in
dem Dom zu Beauvais. Es sei noch bemerkt, daß auch im
„Armorial gönöral“ von Rietstap hinsichtlich der kleinen
Wappen, auf unserem Wandteppiche, keine Aufschlüsse zu
finden sind.

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