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Kunsthistorisches Institut <Wien, Universität> [Hrsg.]
Jahrbuch des Kunsthistorischen Institutes — 6.1912

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Morelovski de Prus, Marian: Der Krakauer Schwanritter-Wandteppich und sein Verhältnis zu den französischen Teppichen des XV. Jhs.
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https://doi.org/10.11588/diglit.19094#0268
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Marian Morei.owski Der Krakauer Sehwanritler-Wandteppich usw.

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131

Es gibt mehrereMomente, die uns erlauben, die
Schwanritterteppiche von Krakau und Wien mit den
in der Rechnung P. Greniers erwähnten, zu identi-
fizieren:

1. Selbst im Falle, daß zwischen der Ent-
wertung des „Kartons“ und der Verfertigung der
Teppiche einige Jahre verflossen waren, was im
Mittelalter oft geschah25), — können wir die Ko-
stüme als jener Zeitperiode gänzlich entsprechend
bezeichnen.

2. Die Mundart, in der die Inschriften verfaßt
sind, ist die pikardische, also jener Dialekt, der
auch im XV. Jh. in Tournai ebenso wie heutzutage
gesprochen wurde26). Alle phonetischen Merkmale der
vier, oben S. 118 u. 119 wiedergegebenen „legendes
versifides“ lassen sich mit größter Leichtigkeit in den
von Son. publizierten Ordonnaces des Prdvots et
Juges de Tournai usw aus dem XV. Jh. wieder-
finden27): (Caines für chaines, — camp für champ, —
rechoit für regioit, — vielle für vieille, — außerdem
„le“ anstatt la).

Daß die sprachlichen Eigentümlichkeiten der-
artiger Inschriften gerade für den Teppichforscher
von Wichtigkeit sein können, darauf haben bereits
Guiffery, E. Bertaux und andere hingewiesen.

ä Pistoire du Chevalier au Chine (pikardisch cygne = chine,
ganz bestimmt. Vgl. hierzu Doutrepont S. 117, Guiffrey,
Michel und jede größere Grammatik der altfranz. Sprache),
que MDS a nagueres fait prandre et achetter de lvti etc. . . .
VIR 1. (das heißt siebenhundert livres).

Der Beistrich nach dem Worte lit beweist, daß die
trois pieces mit dem Schwanritter nicht zu den Bett-Teppichen
gehören. Keiner von den obgenannten Kunstkritikern er-
achtet sie auch für etwas Derartiges. Wir erfahren sonst
bei Ce de Valencia, Tapices de la Corona de Espana,
t. I, PI. 9, daß auch die Bett-Teppiche ebenso groß wie
die anderen Teppiche sein konnten (z. B. 3'5ö »1X4 in).
Man pflegte sie allem Anscheine nach hinter einem Bette
aufzuhängen.

Wichtig ist die Bemerkung Soil.s (S. 242) hinsicht-
lich jener trois piöces: „On a perdu leur trace et on ignore
ce qu’elles sont devenues“. Kein Wandteppich wurde also
bis jetzt mit dem Schwanritter P. Greniers identifiziert.

28) Vgl. Bouchot, Exposition des primitifs fran^ais
1904. Tapisserie ä larges bandes horizontales und auch
Nr. 260 und 261 des Kataloges. Vgl. auch Sou. S. 233
bis 235. Manchmal teilen selbst 20 Jahre die Entwerfung
von der Herstellung.

26) Edmond Gu.LikRON, Atlas linguistique de la
France.

27j Soll., op. cit. Anhang S. 354—426 (pieces justi-
ficatives). Vgl. auch meine Bemerkungen hinsichtlich der
mundartlichen Eigentümlichkeiten der Versinschrift auf dem
Jephte-Wandteppich (Saragossa) gegen das Ende des vor-
liegenden Studiums.

Wir können keinesfalls annehmen, daß diese
Verse aus einem viel älteren Epos entlehnt seien.
In der Chanson du Chevalier au cygne, ödition Hip-
peau, kommen solche Verse nicht vor. Das Wort
„comment“ weist an und für sich daraufhin, daß wir
es hier mit Titeln zu tun haben. Quicherat, Guiffrey,
P. Marmottan und andere belehren uns außerdem,
daß ähnliche Verse von den Dichtern des XV. Jhs.
speziell für Wandteppiche verfaßt wurden28).

3. Wir kennen bis jetzt keinen Schwanritter-
teppich, der dem zweitgrößten Zentrum der Teppich-
industrie in jener Zeit d. i. Touraine (Loire-Ufer)
zugeschrieben werden könnte. In der riesigen Samm-
lung von Teppichreproduktionen in dem Musöe des
Arts decoratifs von Paris (Pavillon Marsan), die wahr-
scheinlich die größte der Welt ist, fand ich nur
die Photographie eines einzigen Teppichs aus dem
Anfang des XVI. Jhs., der nochmals Szenen aus
derselben Geschichte, und zwar Oriants Ver-
mählung darstellt29). Der ausgesprochen flämische
Charakter dieses Werkes steht also wiederum mit
der besonderen Bedeutung des erwähnten Liedes
für das heutige Belgien und Nordfrankreich im ur-
sächlichen Zusammenhänge. Auch dieser Umstand,
besonders aber die bereits früher erwähnten Tat-
sachen weisen daraufhin, daß wir eben in den ge-
nannten Ländern, und zwar unter den Lieferanten
des Herzogs von Burgund den Urheber unseres
Wandteppichs suchen sollen. Nun erfahren wir aber
bei Soil, G. Migeon u. m. a., daß die Glanzperiode
der Teppichindustrie von Arras schon um das
Jahr 1450 zu verblassen beginnt. Die Hauptabnehmer
der dortigen Ateliers, die Herzoge von Burgund,
unterlassen es vom Jahre 1448 angefangen bei ihnen
ihre Bestellungen zu machen und wenden sich jetzt
hauptsächlich nach Tournai. Erst gegen das Ende
des XV. Jhs. beginnen Bruges und Bruxelles
zum Nachteile von Tournai Oberhand zu nehmen30), —

28) Vgl. I. Guiffrey, Histoire d. 1. tapisserie. Tours
1886, S. 124. — 2. H. Baude, Dictz moraux pour mectre
en tapisserie (XV. Jh.). Paris, Aubry, 1861 (Publ. p.
J. Quicherat). — 3. P. Marmottan, I.es peintres de la
ville d’Arras. Paris, Pion, 1889. — 4. G. Migeon, op.
cit. S. 200 und 276.

29) Im Besitze von Sir Rob. Wallace. Reproduziert
in der großen Histoire generale d. 1. tapis. von Guiffrey.

30) Wauters, op. cit. S. 15—16: „Les ducs de

Bourgogne cessent des le milieu du XVS d’y faire des
achats, ils semblent reporter leur preference sur Tournai.“
Vgl. auch G. Migeon, op. cit. S. 212: „C’est surtout pour
Philippe le Bon que travaillerent les ateliers de Tournai.“
— Dasselbe sagen auch DestriIe & Van den Ven, Les
tapisseries. Musees royaux du Cinquentenaire. Van Oest,
Bruxelles 19IO, S. 12.
 
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