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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 2.1884

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I. Theil: Abhandlungen
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Schneider, Robert: Über zwei Bronzebilder des gehörnten Dionysos
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https://doi.org/10.11588/diglit.5610#0059
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5o

Dr. Robert Schneider.

geflügelten Dionysos, Tafel II, III, IVA; die Profilansicht auf Taf. 3 in Müller-Wieseler, Denkmäler der
alten Kunst II, 33, 387 verkleinert. Ein Schleier hüllt den ganzen Vorderkopf ein und fällt hinter den
über den Schläfen angebrachten Flügeln und den Ohren beiderseits herab. Die Buckel über der Stirne
sollen zwar nach der Versicherung des Entdeckers und ersten Herausgebers (a. a. O., S. 3) nichts Anderes
als die unter dem Tuche verborgenen Trauben des Epheukranzes sein, haben aber, wie derselbe selbst
zugesteht, «fast das Ansehen von Hörnern».

Brustbild inRelief in einer Nische an der Felswand von Philippi, abgebildet inHeuzey und Daumet,
Mission archeologique de Macedoine, pl. III, 2 = Revue archeologique, nouvelle serie, vol. XI (1865),
p. 45o; vgl. den Text Mission etc. p. 79 f. = Revue, p. 449 f.: «La saillie de la sculpture l'a exposee
ä de nombreuses mutilations. Cependant il est facile de reconnaitre, ä l'aspect juvenile et imberbe du
visage, ä l'ampleur florissante des epaules et de la poitrine, aux cheveux qui descendent en boucles le
long du cou, et surtout ä la nebride passee en travers sur la tunique, le dieu . . . Bacchus thrace . . . Le
detail d'accoutrement le plus singulier . . . consiste en une large coiffure, oü M. Daumet a cru entrevoir
la tete depouillee d'une bete fauve . . . Un autre caractere tres-remarquable de la meme coiffure, c'est
qu'elle forme, au-dessus des tempes du dieu, deux eminences, comme si eile recouvrait des cornes nais-
santes etc.» Den ausserhalb der Nische angebrachten Schriftcharakteren nach aus später Zeit.

Unter den fünfundzwanzig aufgezählten Monumenten, welche Dionysos mit den Hörnern des Stieres
uns vorführen, finden wir nicht weniger als vierzehn Hermenköpfe, während nur zwei — von dem viel-
leicht modernen Basaltköpfchen des Berliner Museums abgesehen — lebensgrossen Standbildern des
Gottes angehört haben, den wir mit dem genannten Attribute nur viermal unter den so zahlreich aus dem
Alterthum uns überkommenen kleinen Bronzen, nur zweimal auf Wandgemälden und nur je einmal in
einem Basrelief und auf einer Mosaik nachweisen können. Zwei sehr unbedeutende bärtige Hermen aus-
genommen, stellen die sämmtlichen übrigen Bildwerke den gehörnten Dionysos in jugendlichem Alter dar.
An den neun Doppelhermen, welche ihn fünfmal mit Zeus Ammon 1 und je zweimal mit dem sogenannt
indischen bärtigen und dem libyschen widdergehörnten Bakchus2 verbinden, ist sein Antlitz von wenig
edlem, bisweilen satyrähnlichem Ausdrucke, aber sie sind sammt und sonders aus später Zeit, von geringer
Arbeit und Grösse. Bedeutungsvoller heben sich dagegen aus der Reihe der übrigen Darstellungen drei
Bilder heraus: die Herme in der geographischen Gallerie des Vatikan, der Kopf des lateranensischen
Museums und ein zweiter derselben Sammlung, an welchem die Stelle der Hörner Trauben einnehmen,
nicht als ob denselben ein besonders hervorragendes Verdienst in der künstlerischen Ausführung zukäme,
sondern weil sie von einem von den gewöhnlichen jugendlichen Bildungen des Gottes sehr verschiedenen

Typus sind. In innigem Zusammenhange mit ihrem symbolischen Attribute zeigen sie _ wie schon

Visconti es an der vatikanischen Herme hervorgehoben hat — statt der sanft gerundeten Formen eines
zarten die bestimmter umschriebenen eines kräftigeren Jugendalters, statt der üppigen Lockenfülle, die
so häufig das Haupt des freudespendenden Gottes schmückt, das kurze krause Haar des Palästriten. Wie
einer der Köpfe mit dem Apoxyomenos im Braccio nuovo schlagende Aehnlichkeit aufweist, so würde
man ohne Bedenken auch die beiden anderen der lysippischen Schule beilegen, hätten nicht die vor kurzem
bekannt gewordenen Reste der tegeatischen Giebelgruppen 3 uns gelehrt, dass manche früher dem sikyo-
nischen Meister zugeschriebene stilistische Eigenthümlichkeit schon vor ihm in den peloponnesischen
Werkstätten geübt worden war. Nach wie vor bleibt es aber wahrscheinlich, dass die genannten Bilder des
Dionysos den in der peloponnesischen Schule ausgebildeten Typus uns darbieten, gewissermassen das

1 lieber den mythologischen Zusammenhang dieser beiden Gottheiten vgl. Overbeck, Kunstmythologie II, p. 304.

2 Vgl. Li Müller, Numismatique de l'ancienne Afrique, t. I (les monnaies de la Cyrena'ique), p. 101 —104, und
Lepsius in der Zeitschrift für ägyptische Sprache und Alterthumskunde, XV [1877], S. 19 ff. Derselbe jugendliche Gott mit
Widderhörnern auf einer apulischen Vase der kaiserlichen Ermitage in St. Petersburg (Katalog Nr. 880, Compte-rendu de la
Commission imperiale archeologique pour l'annee 1862, Tafel V, 2).

3 Mittheilungen des deutschen archäologischen Institutes in Athen VI, p. 3g3 ff.
 
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