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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 3.1885

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Schneider, Robert: Über zwei unedirte griechische Bronzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.5882#0016
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IO

Robert Schneider, lieber zwei uuedirte griechische Bronzen.

ausdrucksvoller Haltung als die genannten Figuren griechischer Herkunft, das eine Bein völlig entlastend,
sich des bis zur Höhe des Kopfes erhobenen Knies des aufgestellten anderen Beines zum Kissen ihres
Hauptes bedienen. Ungeachtet aller Verschiedenheiten zeigen diese Figuren durchwegs eine weniger dem
tiefen Schlafe als dem sanften Schlummer zukommende Stellung. An den Negern darf sie überdies als
bezeichnend für die Rasse gelten.1

Erweisen die hockenden Sklaven auf attischen Grabstelen das Vorhandensein dieses künstlerischen
Motivs im vierten Jahrhundert, so sprechen etwas entferntere Analogien, welche, obgleich sie keine
Schlafenden bieten, doch in Haltung und Auffassung den angeführten Bildwerken unverkennbar verwandt
sind, für das Aufkommen desselben in noch früheren Zeiten. In der Stellung der Beine steht die spartanische
Bronze dem kauernden Knaben von der östlichen Giebelgruppe des Zeustempels von Olympia2 ziemlich
nahe. Zu weiterer Vergleichung darf der verwundete Patroklos im Innenbilde der Schale des Sosias3 und
der hinter dem thronenden König auf der Erde sitzende Sklave im westlichen Friese des Temenos von Gjöl-
baschi4 herangezogen werden, denn auch die Darstellungen dieses Denkmals gehen ohne Zweifel wenigstens
zum Theile auf Vorbilder des fünften Jahrhunderts zurück. Ich wüsste aber kein antikes Bildwerk zu nennen,
das bei allen Unterschieden mehr innere Verwandtschaft mit unserem Neger zeigen würde, als der hockende
bärtige Satyr mit dem Weinbecher in der Rechten auf den schönen Münzen des sizilischen Naxos.5 An tiefem
Einblick in den Bau des menschlichen Körpers mag derselbe die Bronze sogar überbieten. Die Profil-
wendung des Kopfes, das lebendige Erfassen des Stellungsmotives, das erfolgreiche Streben nach drastischer
Charakteristik, die unbefangene Treue in der Wiedergabe der Natur, welche das Anstössige keineswegs ver-
meidet, auch das nicht zu verkennende Harte und Herbe in der Composition und den Umrissen bei voller
Beherrschung der technischen Mittel, endlich jener gewisse Reiz, den das Einfache und Ungesuchte auszu-
üben nie verfehlt, sind beiden Werken gemeinsam. Die frühesten der naxischen Münzen mit diesem Bilde
reichen über die Mitte des fünften Jahrhunderts hinaus, die spätesten mussten noch vor 4o3, dem Jahre der
Zerstörung der Stadt durch Dionysios von Syrakus geprägt worden sein. Die älteren übertreffen die jüngeren
trotz der den letzteren eigenen Vorzüge einer auf der Höhe stehenden Kunst an bezeichnender Durchführung
des Motives, indem auf ihnen die linke Hand des Satyrs, statt wie auf den späteren den Thyrsos zu halten, auf
den Boden gestemmt dem Körper zur Stütze dient. Sicher sind Münzbild und Bronze Ausfluss ein und
derselben Geistes- und Geschmacksrichtung, und ich denke nicht auf Widerspruch zu stossen, wenn ich
demnach den schlafenden Neger in die zweite Hälfte des fünften Jahrhunderts setze, und zwar seiner Mitte
näher als seinem Ausgange.

Wien, im Jänner 1884.

1 Vgl. z. B. E. de Pruyssenaere, Reisen und Forschungen im Gebiete des weissen und blauen Nils, bearbeitet von
K. Zöppritz (Ergänzungsheft 50 zu Petermann's geographischen Mittheilungen), S. 27: «Die gewöhnliche Ruhestellung (der
Denqas) ist ein zusammengekauertes Hocken.»

2 Ausgrabungen zu Olympia I, Taf. XXIV und XXV.

3 Monumenti deh" Istituto pl. XXV, Gerhard griechische und etruskische Trinkschalen, Taf. VI, VII.

4 Archäologisch-epigraphische Mittheilungen aus Oesterreich, Jahrgang VI, Taf. VII und VIII.

5 Gardner, The types of greek coins, pl. II, 20, und pl. VI, 6.
 
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