Das Heroon von Gjölbaschi-Trysa.
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Der Künstler überging jedesfalls den Periklymenos, vielleicht in dem Gefühl, dass die Handlung bildlich
erst durch volle Abgeschlossenheit ihrer Idee entsprach und für die Vorstellung ins Erhabene wuchs,
während eine verfolgende Figur sie den gewöhnlichen Kampfbildern genähert haben würde. Ebenso
würde ein Donnerkeil, wie er schon über Kapaneus schwebt, die Deutlichkeit der Sache nicht vermehrt
und die feierliche Höhe des Gedankens, dass der Gott selbst sich fernher über Amphiaraos offenbart,
eher beeinträchtigt haben. Man sieht auch keine Waffe in seiner Hand sondern er ist stimmungsvoller
gefasst und erscheint in einer dem Sturm- und Gewittergott eigenthümlichen Gestalt, verschleierten
Hauptes, aufgeregt sitzend und den Oberkörper vorneigend,1 ähnlich dem Zeus des Theseionfrieses, der
in unruhiger Haltung und mit bedeutend erhobenem Gewände als
Schicksalslenker in die Schlacht schaut (Fig. 1 56). Es ist Zeus Hypsi-
stos, der auf dem höchsten Hügel des thebanischen Stadtgebietes,
nahe bei dem gleichnamigen Thore, eine Cultstätte mit einemTem-
pel besass.2 Und zu ihm hin, dessen Willen er als frommer Seher
so oft vergeblich verkündigt hatte, wendet sich nun mit hocher-
hobener Hand aufblickend Amphiaraos, in der Todesstunde be-
tend, aber als streitbarer Held furchtlos im Abgrunde versinkend.
Hier verdient ein kürzlich in Eretria gefundenes attisches
Vasenbild, jetzt im Nationalmuseum zu Athen, auf das mich G. Körte
aufmerksam zu machen die Freundlichkeit hatte, verglichen und
in nähere Betrachtung gezogen zu werden. Es steht in schwarzen
Figuren auf einer o-35 Meter hohen weissgrundigen Lekythos und
ist in Fig. 157 nach einer Zeichnung von Dr. Rudolf Heberdey in
halber Grösse wiedergegeben. Nach der Ausführung und dem
Charakter der Darstellungsformen gehört es dem fünften Jahr-
hundert an und kann von den Gjölbaschifriesen zeitlich nicht weit
abliegen. Um so wichtiger ist die Uebereinstimmung, mit der es
unsere Amphiaraosscene in allen wesentlichen Zügen wiederholt;
einige Veränderungen und Zusätze verleihen ihm indessen eigenen
Werth und lassen es möglicher Weise durch andere Wendungen
der Sage, wie sie sich an den verschiedenen Orten der Amphiaraosverehrung ausbilden und dann von
einem auf den andern übertragen mochten, beeinnusst erscheinen.
Die Richtung und ganze Gestaltung des Gespannes, namentlich die Art, wie es in den Erdboden
sinkt, ist auffallend gleich. In Verbindung mit dem in leidenschaftlicher Erregung himmelwärts ge-
streckten Arme, der auch auf einer etruskischen Urne (hier freilich missverständlich mit dem Schwerte,
vergl. Fig. 1 59) als offenbar bedeutender Zug wiederkehrt, ist sodann durch den geöffneten Mund des
Helden das Beten bestätigt und in sinnreicher Weise hat seine kriegerische Lage einen besonderen Aus-
druck erhalten. Er erscheint, wie auch sonst öfter, jugendlich und in voller Rüstung; ausser dem sehr
ausführlich gezeichneten Brustpanzer führt er einen Schild und einen grossen korinthischen Helm mit
mächtigem Busche; ein Schwert scheint nicht vorhanden, mit Sicherheit erkennt man aber das übliche
Lanzenpaar, dessen Spitzen den Helmbusch beide überragen. Den Schild hat er in ungewöhnlicher
Weise auf dem Rücken, nicht zurückgeschoben an einem über die Brust laufenden Tragriemen, wie ihn
fahrende Krieger und Wagenlenker oftmals in alterthümlichen Bildwerken tragen; sondern mit dem
linken Arme, der von der Schulter an hinter dem Rumpfe verschwindet, was nicht Zufall oder Nach-
lässigkeit sein kann, hält er ihn frei nach hinten, um sich gegen die Verfolgung zu decken,3 und die
156. Aus dem Ostfriese des Theseion.
1 Vergl. Overbeck, Griechische Kunstmythologie II, S. 254f. und oben Fig. 155 c, S. II, Anm. 4.
2 Ernst Fabricius, Theben, S. 27. Pausanias IX, 8, 3, wozu Ulrichs, Reisen und Forschungen II, S. 15» 3 clne Stc11"
des Nonnus Dionys. V, 84, vergleicht. Vergl. Fig. 155 c, Zeus mit Aigis, blitzschleudernd über einem Thore von Theben nac
Sboronos, Ephimeris archaiol. 1889, pin. 2, 16, S. 102.
3 Vergl. die Haltung des Schildes an dem Fliehenden hinter dem Wagen des Adrastos auf AI.
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Der Künstler überging jedesfalls den Periklymenos, vielleicht in dem Gefühl, dass die Handlung bildlich
erst durch volle Abgeschlossenheit ihrer Idee entsprach und für die Vorstellung ins Erhabene wuchs,
während eine verfolgende Figur sie den gewöhnlichen Kampfbildern genähert haben würde. Ebenso
würde ein Donnerkeil, wie er schon über Kapaneus schwebt, die Deutlichkeit der Sache nicht vermehrt
und die feierliche Höhe des Gedankens, dass der Gott selbst sich fernher über Amphiaraos offenbart,
eher beeinträchtigt haben. Man sieht auch keine Waffe in seiner Hand sondern er ist stimmungsvoller
gefasst und erscheint in einer dem Sturm- und Gewittergott eigenthümlichen Gestalt, verschleierten
Hauptes, aufgeregt sitzend und den Oberkörper vorneigend,1 ähnlich dem Zeus des Theseionfrieses, der
in unruhiger Haltung und mit bedeutend erhobenem Gewände als
Schicksalslenker in die Schlacht schaut (Fig. 1 56). Es ist Zeus Hypsi-
stos, der auf dem höchsten Hügel des thebanischen Stadtgebietes,
nahe bei dem gleichnamigen Thore, eine Cultstätte mit einemTem-
pel besass.2 Und zu ihm hin, dessen Willen er als frommer Seher
so oft vergeblich verkündigt hatte, wendet sich nun mit hocher-
hobener Hand aufblickend Amphiaraos, in der Todesstunde be-
tend, aber als streitbarer Held furchtlos im Abgrunde versinkend.
Hier verdient ein kürzlich in Eretria gefundenes attisches
Vasenbild, jetzt im Nationalmuseum zu Athen, auf das mich G. Körte
aufmerksam zu machen die Freundlichkeit hatte, verglichen und
in nähere Betrachtung gezogen zu werden. Es steht in schwarzen
Figuren auf einer o-35 Meter hohen weissgrundigen Lekythos und
ist in Fig. 157 nach einer Zeichnung von Dr. Rudolf Heberdey in
halber Grösse wiedergegeben. Nach der Ausführung und dem
Charakter der Darstellungsformen gehört es dem fünften Jahr-
hundert an und kann von den Gjölbaschifriesen zeitlich nicht weit
abliegen. Um so wichtiger ist die Uebereinstimmung, mit der es
unsere Amphiaraosscene in allen wesentlichen Zügen wiederholt;
einige Veränderungen und Zusätze verleihen ihm indessen eigenen
Werth und lassen es möglicher Weise durch andere Wendungen
der Sage, wie sie sich an den verschiedenen Orten der Amphiaraosverehrung ausbilden und dann von
einem auf den andern übertragen mochten, beeinnusst erscheinen.
Die Richtung und ganze Gestaltung des Gespannes, namentlich die Art, wie es in den Erdboden
sinkt, ist auffallend gleich. In Verbindung mit dem in leidenschaftlicher Erregung himmelwärts ge-
streckten Arme, der auch auf einer etruskischen Urne (hier freilich missverständlich mit dem Schwerte,
vergl. Fig. 1 59) als offenbar bedeutender Zug wiederkehrt, ist sodann durch den geöffneten Mund des
Helden das Beten bestätigt und in sinnreicher Weise hat seine kriegerische Lage einen besonderen Aus-
druck erhalten. Er erscheint, wie auch sonst öfter, jugendlich und in voller Rüstung; ausser dem sehr
ausführlich gezeichneten Brustpanzer führt er einen Schild und einen grossen korinthischen Helm mit
mächtigem Busche; ein Schwert scheint nicht vorhanden, mit Sicherheit erkennt man aber das übliche
Lanzenpaar, dessen Spitzen den Helmbusch beide überragen. Den Schild hat er in ungewöhnlicher
Weise auf dem Rücken, nicht zurückgeschoben an einem über die Brust laufenden Tragriemen, wie ihn
fahrende Krieger und Wagenlenker oftmals in alterthümlichen Bildwerken tragen; sondern mit dem
linken Arme, der von der Schulter an hinter dem Rumpfe verschwindet, was nicht Zufall oder Nach-
lässigkeit sein kann, hält er ihn frei nach hinten, um sich gegen die Verfolgung zu decken,3 und die
156. Aus dem Ostfriese des Theseion.
1 Vergl. Overbeck, Griechische Kunstmythologie II, S. 254f. und oben Fig. 155 c, S. II, Anm. 4.
2 Ernst Fabricius, Theben, S. 27. Pausanias IX, 8, 3, wozu Ulrichs, Reisen und Forschungen II, S. 15» 3 clne Stc11"
des Nonnus Dionys. V, 84, vergleicht. Vergl. Fig. 155 c, Zeus mit Aigis, blitzschleudernd über einem Thore von Theben nac
Sboronos, Ephimeris archaiol. 1889, pin. 2, 16, S. 102.
3 Vergl. die Haltung des Schildes an dem Fliehenden hinter dem Wagen des Adrastos auf AI.