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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 12.1891

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II. Theil: Quellen zur Geschichte der kaiserlichen Haussammlungen und der Kunstbestrebungen des Allerdurchlauchtigsten Erzhauses
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Wickhoff, Franz: Die italienischen Handzeichnungen der Albertina, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5903#0608
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CCVIII

Die italienischen Handzeichnungen der Albertina.

unter Ti^ian's oder Michelangelo 's Namen besessen.
Für uns wäre es lehrreicher, wenn jene Sammler der
Zeichnung ihren alten, vielleicht sehr bescheidenen
Namen gelassen hätten.

Ein Fall, wo eine Reihe von Zeichnungen eines
anderen Künstlers Michelangelo zugeschrieben
wurde, der sich durch eine Albertinazeichnung mit
dem richtig erhaltenen Namen lösen lässt, ist be-
sonders bezeichnend und zugle'cn auch darum nicht
ohne Interesse, weil Mariette die Verwirrung ver-
schuldet hat. Cro^at besass die Federskizze einer
Hand, in welcher Mariette eine von Condivi er-
wähnte Skiz\e Michelangelo's erkennen wollte. -»Der
junge Michelangelo,« erzählt Condivi, als man ihm
nicht glauben wollte, dass der für antik gehaltene Amor,
welchen der Cardinal Raphael Riario gekauft hatte,
von ihm sei, »nahm, da er es gerade nicht anders be-
weisen konnte, eine Feder, weil zu jener Zeit der Lapis
nicht in Gebrauch war, und mit solcher Leichtigkeit
zeichnete er eine Hand hin, dass sein Gegner davon ver-
blüfft wurde« (Condivi, Vita di Michelangelo, §. XVIII).
Caylus musste die Hand stechen; Mariette erwarb
die Zeichnung, die sich heute im Louvre befindet, aus
Crozat's Nachlass — er schrieb darüber an Gabburi:
» Vi troverete un gran numero di stampe ricavate da
buoni maestri ch'io ho raccolte con molta cura; tra le
quali ve n'e una che vipiacera molto, e viene da Michel-
angnolo, che egli fece in una occasione quasi simile in
cui Giotto fece il suo famoso O. Voi ne troverete
l'istoria nella vita di questo grand'uomo scritta dal
Condivi.« Dann weiter, der Senator Buonaroti, der so
bewundere, was von Michelangelo komme, solle den
Stich ansehen »questa maravigliosa opera che non cede
punto a tutto cid che l'antichita ha di piü fiero« (Lettere
sulla pittura, II, 332) — und Bottari muss auf sein
Betreiben einen Nachstich in seine Vasari-Ausgabe auf-
nehmen (vgl. darüber: Abecedario de P. J. Mariette,
Paris, l85l—r'85j, T. I, 212 f. und: Lettere sulla
pittura, III, 54i, 499, 5oj, 5iß). Mariette hatte
nämlich das durch nichts begründete Vorurtheil, Michel-
angelo müsse sehr breit mit der Feder gezeichnet haben.
Diese Bestimmung Mariette's, ihre Wiederholung in
seiner Condivi-Ausgabe und inBottari' sVasari(IV, VI,
6g) bewirkte, dass nun eine Reihe ähnlicher Zeichnungen
Michelangelo zugeschrieben wurden, vorzüglich ein
Blatt in Oxford (J. C. Robinson, A critical account of
the drawings by Michel Angelo and Raffaello in the
University Galleries Oxford, Oxford, i8yo,p. 6, Nr. 4),
das auf beiden Seiten mit Händestudien bedeckt ist (phot.
von Braun Nr. ßy). Vergleichen wir nun diese Hände,
durch das hölzerne Aussehen der Knöchel, durch die
überlange, an ihrer Spitze zu stark verschmälerte dritte
Phalange, besonders aber durch ihre Strichführung
sehr eigenthümlich, mit einem Blatte der Albert in a
(S. B. 73), dessen verkleinerte Nachbildung unsere
Fig. 7 gibt, so tritt sogleich zu Tage, dass sowohl das
Blatt in Oxford wie die Zeichnung bei Mariette als
auch unser Albertinablatt vom selben Künstler herrühren.
Hatte man zwar w'e die Herausgeber des Abecedarios
die Autorschaft Michelangelo's schon bezweifelt
und dafür den Namen Annibale Caracci's vorge-
schlagen (a. a. O., I, 214), so war Robinson (a. a. O.,
p. 7) doch wieder für Michelangelo als Autor einge-
treten. Hätte man sich in der Albertina von jener

Controverse beeinflussen lassen, so würde heute gewiss
das Blatt unter Michelangelo oder Annibale liegen.
Weil man aber den alten Namen Bartolomeo Pas-
serotti sorgfältig bewahrte und eine Vergleichung mit
dessen eigenhändigen Radirungen die Richtigkeit dieser
Bezeichnung zu bestätigen ermöglicht, sind w': nun
in der Lage, aus dem Werke des Michelangelo
nicht allein jene angeführten Zeichnungen von Händen
sondern, um nur bei den Oxfordzeichnungen zu
bleiben, auch andere wie die sogenannte Hexe (Robin-
son Nr. y), die Sibylle (Robinson Nr. 30) etc.,
auszuscheiden und sie dem Bartolomeo Passerotti
Zuzuweisen.

Ein anderes Blatt der Albertina (S. L. 208)
— ich gab es, um die Vergleichung zu erleichtern, als
Fig. 6 — ermöglicht, eine andere bekannte Zeichnung,
die Michelangelo's Namen trägt, ihrem wahren Ur-
heber zurückzustellen. Diese Kneipgesellschaft trägt in
der Albertina den Namen des Bartolomeo Man-
fredi, eines begabten Schülers des Caravagio. Eine
Vergleichung mit Ma nfredi's Bildern ergab die Richtig-
keit der Bezeichnung. Von gleicher Hand bewahrt die
Albertina noch ein Blatt (Scuola Fiaminga, T. XVIII,
Nr. 1000), das sonderbarer Weise zu den Namen des
Slobaert kam, eine Pinselzeichnung, die uns sieben
Künstler \eigt, um einen Tisch sitzend und bei künst-
lichem Lichte nach Gyps ze'chnend. Auf ihrer Rück-
seite ist dieser Gegenstand nochmals wiederholt. Diesen
beiden Zeichnungen des Manfredi nun schliesst sich
in Composition und Formen jene bekannte Oxford-
Zeichnung (Robinson Nr. 5o, Braun Nr. 80) an, die an-
geblich von Michelangelo's Hand ihn selbst zeigen
soll und den Arzt Antonio della Torre, beschäftigt,
einen Leichnam zu zergliedern, in dessen geöffneten
Brustkasten sie eine Kerze gesteckt haben. Einen »Zug
grimmigen Humors« nennt das Robinson und die
Scene wurde von französischen Malern in Bildern dar-
gestellt, die es wahrscheinlich pikant fanden, sich
Michelangelo wie eine russische Studentin vorzu-
stellen. Unsere Albertinablätter werden Michelangelo
von dieser Zeichnung befreien und sie in den Kreis des
tollen Caravagio, tu dem sie passt, verweisen.

Von der Absicht, zu geigen, w'e echte Zeichnungen
Zu neuen Namen kommen, haben wir uns durch diese
Abschweifung nicht zu senr entfernt, die vor Allem
lehren sollte, wie wichtig die Erhaltung der alten Namen
ist und wie leicht durch sorgloses Umtaufen ohne
Erhaltung der alten Namen die richtige Bezeichnung
verloren gehen kann. Ich habe daher in diesem Ver-
zeichnisse die alten Namen der Albertina, in welcher
seit ihrer Entstehung niemals an den Namen geändert
wurde, immer vorangestellt und meine Versuche, zu
bestimmen, in Anmerkungen beigefügt. Nur wer sich
mit Sammlungen ri( beschäftigen hatte wie jene der
Uffizien, wo durch vorwitziges Besserwissenwollen
drei bis viermal nur in unserem Jahrhunderte allein
ein Theil der Zeichnungen auseinander gerissen und
untereinander geworfen wurde, wird den Vortheil,
welchen der Forschung die Conservirung der alten
Namen gewährt, vollständig würdigen können.

Durch vermeintliche Kennerschaft älterer Besitzer
ist auch eine Reihe von gegenwärtig in der Albertina
befindlichen Zeichnungen unter falsche Namen ge-
kommen. Es wird hier der Versuch gemacht werden,
 
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