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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 12.1891

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II. Theil: Quellen zur Geschichte der kaiserlichen Haussammlungen und der Kunstbestrebungen des Allerdurchlauchtigsten Erzhauses
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Wickhoff, Franz: Die italienischen Handzeichnungen der Albertina, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.5903#0607
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Die italienischen Handzeichnungen der Albertina.

CCV1I

Autoren er nicht kennt, wie eines in S. Pietro in Montorio,
das ihm in der Erinnerung geblieben war, lässt er nach-
bilden, um die Composition wieder vor Augen zu haben
(a. a. O., IV, 55r; vgl. ebenda, IV, 557). Wohin sollte nun
der Kunstfreund, der solche Zeichnungen eigens bestellte
oder der sie von seiner Reise als liebe Erinnerung an
die geschauten Meisterwerke mitbrachte, dergleichen
Blätter legen als in jene seiner Mappen, die den Namen
des Malers der betreffenden Bilder trug, gegen welchen
der Name des Zeichners gleichgiltig blieb. Wir dürfen
jenen Sammlern Verständniss genug zutrauen, dass sie
Zeichnungen nach den Bildern nicht mit vorbereitenden
Studien verwechselten; sie waren jedoch Niemandem
verantwortlich, diesen Unterschied auch äusserlich
hervortreten zu machen; an uns freilich tritt nun die
Pflicht heran, solche Nachzeichnungen auszusondern,
die sehr oft von grossem Werthe sind, weil sie uns ver-
loren gegangene Bilder wenigstens in ihrer Composition
erhalten haben. Ich will nur auf die Zeichnung nach
einem Gesellschaftsstücke des Romanino (S. V. 62),
auf die Zeichnungen nach den Ulyssesbildern des Prim a-
ticcio (S. B. 21 ff.) verweisen. Nach letzteren besitzen
wir wohl die Stiche des Theodor van Tulden; aber
Niemand, der diese Stiche mit den betreffenden Zeich-
nungen der Albertina vergleicht, wird anstehen, zu be-
kennen, dass uns hier die Werke des Abtes von St. Martin
und seiner Schüler mit grösserer Treue, mit feinerer
Empfindung für ihren Stil wiedergegeben sind. Sie
sind eben von einer Hand, welche der Zeit und Em-
pfindungsweise des Künstlers noch näher stand, wes-
halb verständige Sammler ältere, der Zeit des Meisters
nahestehende Copien gerne erwerben, wenn sich die
Blätter auch als Copien bekennen. Ich schalte hier einen
beachtenswerten Ausspruch Heinrich Meyers ein,
den Goethe Eckermann mittheilte: »Ich besitze
Hand Zeichnungen«, sagte Goethe am 8. April 182g,
»nach Gemälden von Raffael und Dominicchin,
worüber Meyer eine merkwürdige Aeusserung gemacht
hat, die ich Ihnen doch mittheiler, will. »Die Zeich-
nungen«, sagte Meyer, »haben etwas Ungeübtes; aber
man sieht, dass derjenige, der sie machte, ein zartes,
richtiges Gefühl von den Bildern hatte, die vor ihm
waren, welches dann in die Zeichnungen übergegangen
ist, so dass sie uns das Original sehr treu vor die Seele
rufen. Würde ein jetziger Künstler jene Bilder copiren,
so würde er Alles weit besser, auch richtiger zeichnen;
aber es ist vorauszusagen, dass ihm jene treue Em-
pfindung des Originals fehlen und dass also seine bessere
Zeichnung weit entfernt sein würde, uns von Raffael
und Dominicchin einen so reinen, vollkommenen Be-
griff zu geben.« »Ist das nicht ein sehr artiger Fall?«
sagte Goethe. »Es könnte ein Aehnliches bei Ueber-
setzungen stattfinden« etc. (J. P. Eckermann, Gespräche
mit Goethe, 6. Aufl., Leipzig, 188S, II. Theil, S. 80).
Wer eine Zeichnung wie die nach den Trägern des
goldenen Kalbes aus Tintoretta's Bild in Santa Maria
de! Orto (S. V. 108) betrachtet, wird sich diesen Aus-
spruch erst vollkommen zu eigen machen können.

Noch auf eine Zeichnung möchte ich aufmerksam
machen, um die unschuldige Art, in welcher später als
Fälschungen berüchtigte Blätter entstehen, zu kenn-
zeichnen. Die Albertina bewahrt ein Blatt des Ami-
goni (S. V. ßSy) mit getreuen Nachzeichnungen, ja
man könnte sagen, Nachbildungen, weil auch die Farbe

des Papiers imitirt ist, von zwei dem Raffael zu-
geschriebenen Zeichnungen der Uffiziensammlung. Sie
geben sich als Werk des Amigoni, welcher wohl die
von ihm geschätzten Blätter so treu als möglich imitirt
besitzen wollte. Wäre dieses Blatt einmal in die Hand
eines unvorsichtigen Sammlers gekommen, welcher den
Namen Amigoni''s getilgt, jenen Raffael's eingesetzt
hätte, so würde man jetzt von Fälschungen sprechen,
obwohl dem Urheber und den ersten Besitzern nichts
ferner lag, als irgendwie täuschen zu wollen. Es ist
dieser Fall zugleich ein lehrreiches Beispiel, wie wichtig
die Erhaltung der alten Namen ist und wie gefährlich
vorschnelles Umbestimmen für die Erkenntniss des ur-
sprünglichen Zustandes werden kann.

Wie kommen nun Zeichnungen zu falschen Namen?
M ariette schrieb einmal an Bottari, ihm wären jüngst
gegen 60 Zeichnungen unter die Hände gekommen, dar-
unter eine von Lanfranco, die nach seinem Geschmacke
unschätzbar sei(a. a. 0.,V, 411). Wie aus der Aeusserung
Mariette''s hervorzugehen scheint, war sie ohne Namen
ZU ihm gelangt und er hatte sie als Lanfranco be-
stimmt. Hier werden wir volles Vertrauen in seine
Kenntniss setzen dürfen. Als Mariette geboren wurde,
war Lanfranco noch nicht fünfzig Jahre todt. Anden
Werken der letzten Macchinisten hatte sich jener in
seiner Jugend begeistert, auf deren Nachfolger behielt
er immer sein Auge gerichtet und musste in seinem
Alter, wo sich der Geschmack gewandelt, in Paris dar-
über Spott leiden: »Lo credereste?« schreibt er i"/6g an
Temanza (Lettere sulla pittura, VIII, 4o5), »simotte-
giano i delettanti che, como me, danno preferenza alle
opere dei maestri italiani sopra quelli dei pittori che
hanno prodotti i Paesi Bassi.« Aber unermüdlich sucht
er neue italienische Zeichnungen zu erwerben, deren
Werth er genau zu bezeichnen weiss. Für die Kenntniss
der italienischen Arbeiten des iy. und 18. Jahrhunderts
bedurfte Mariette keiner besonderen Studien; es war
die moderne Kunst, die ihn umgab, in der er die ein-
zelnen Richtungen und Meister so gut zu unterscheiden
wusste wie etwa heute ein aufmerksamer Sammler die
Werke der Zeitgenossen und der letzten Generationen.
Bedenklicher macht uns ein anderer Fund. Er kaufte,
schreibt er, eine gute Anzahl Zeichnungen und findet
darunter eine von Tizian, »che io non temo di dire,
ch'egli d tanto dottamente disegnato, quanto se fosse
di Michelangelo« (Lettere sulla pittura, V, 4i5; vgl.
auch V, 428). Eine Zeichnung von Tizian, die wie
ein Michelangelo aussieht? Und wie wird ihre Ur-
heberschaft durch Tizian begründet? Weil sich diese
Composition unter Tizians Namen von Com. Cort
gestochen findet (ebenda, V, 4t5). Man sieht, wenn es
sich um die grossen alten Meister handelte, waren die
Kunstfreunde des vergangenen Jahrhunderts mit der
Zuschreibung wenig bedenklich. Das natürliche Stil-
gefühl reichte nicht mehr aus und das Vergleichungs-
material, das uns heute zu Gebote steht, fehlte. Wenige
Stiche, etwa einige am Orte vorhandene Bilder, um-
fasste es; sonst musste Erinnerung oder Begeisterung
helfend eingreifen. Wenn es sich also um einen Meister
des 16. Jahrhunderts, geschweige des i5. handelt, dann
sind die Bestimmunsen des vorigen Jahrhunderts von
geringem Werthe; es wird uns die Echtheit einer
Zeichnung nicht verbürgen oder sie nur wahrscheinlich
machen, wenn sie etwa Mariette oder Richardson
 
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