Peter Flötner als Plastiker und Medailleur.
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Die Bronze der Sammlung Wasset in Paris (Molinier Nr. 654 beschreibt sie sehr ungenügend),
welche, wie ich nach dem mir vom Besitzer freundlichst zugesandten Abdrucke beurtheilen kann, in
Allem mit dem Steinrelief übereinstimmt, ist als ein Abguss nach unserem Steinmodell zu betrachten.
3. Justitia (Fig. 5), ähnlich gekleidet, sitzt ebenfalls auf einer Mauer und hält mit der Rechten
eine "Wage empor, während die Linke ein nach aufwärts gerichtetes Schwert vor die Brust hinhält.
Im Hintergrunde bergige Landschaft mit einem Haus in der Tiefe, der Himmel mit Wolken belebt; im
Vordergrunde rechts eine Mauer.
Das Material, aus welchem beide Reliefs gearbeitet sind, ist ein gelblicher Kehlheimerstein, die
Grösse der Bilder 79 X 67 und 78 x 66 Millimeter, ihre Erhaltung im Ganzen eine vorzügliche; nur
die rechte Hand des einen Knäbchens ist abgestossen und die Justitia über dem rechten Auge be-
schädigt, so dass sie Freiherr von Sacken (Katalog der Ambrasersammlung, II, p. 101) als »mit ver-
bundenen Augen« schildern konnte (eine Binde ist indess nicht wahrnehmbar).
Die beiden Stücke scheinen trotz der bedeutend grösseren Figur der Justitia — sie misst in ihrer
sitzenden Stellung vom Scheitel bis zur Fusssohle 64, dagegen die Charitas nur 56 Millimeter — zu-
sammenzugehören. Sie könnten möglicherweise einem, wie wir sehen werden, von Flötner Öfter und
sehr verschieden behandelten Cyklus angehören, welcher die theologischen und Cardinaltugenden dar-
stellt, oder sie sind, was mir wahrscheinlicher ist, als Gegenstücke — Liebe und Gerechtigkeit — ge-
meint, wurden aber erst, nachdem sie unabhängig von einander entstanden waren, in diese Verbindung
gebracht. Vgl. unten S. 9.
Hinsichtlich ihrer Ausführung bemerkt Freiherr von Sacken, dass sie »im Stile der Dürer-
schen Schule sehr gut geschnitten« seien; ich möchte im Gegentheile sagen, dass sie die volle Eigen-
art eines reifen Meisters zeigen, welcher allerdings Ort und Zeit seiner Thätigkeit deutlich erkennen
lässt. Man wird denn überhaupt, um dies gleich hier zu bemerken, nicht umhin können, dem von
Reimers1 hinsichtlich der Holzschnittwerke Flötner's abgegebenen, von Lützow2 bestätigten Urtheil
beizustimmen, dass gerade Flötner »ein Mann von ganz ungewöhnlicher Selbstständigkeit, nicht in den
Bannkreis Dürer's gezogen wurde«; dass er, »obwohl er selbstverständlich die Werke des Meisters
kannte und studirte«, ebenso diesem wie den Italienern gegenüber seine volle Selbstständigkeit be-
wahrt habe.
c) Reliefs in Bronze.
4. Charitas, kleines Medaillon (Fig. 6). Erst im verflossenen Jahre ist
der Münzsammlung des Allerhöchsten Kaiserhauses als Geschenk des Herrn
Hofrathes i. P. Karl von Latour eine kleine Bronze zugewachsen, welche sich
als Copie des Flötner'schen Steinreliefs CHARITATIS erweist.
Das Stück, 38 Millimeter im Durchmesser, zeigt, von einem schmalen
Lorbeerkranze umrahmt, dieselbe Darstellung der Charitas mit zwei Putten;
nur die Architektur ist, dem verschiedenen Formate entsprechend, einiger-
massen geändert, die Gruppe mehr in die Breite gezogen und der Faltenwurf
ziemlich frei behandelt. Eine fremde grobe Hand hat das Mauerwerk der Ar- Fig. 6.
chitektur des Mittelgrundes verdeutlichen wollen und die Luft durch Punzen-
schläge markirt. Im Uebrigen ist das Medaillon ein unciselirter Guss, welcher, ohne Zweifel in jüngerer
Zeit, versilbert wurde. Die Rückseite ist glatt und vom Gebrauche — das Stück ist oben gelocht und
wurde vermuthlich als Anhängsel getragen — wie polirt; sie trägt, roh und flüchtig eingravirt, das
Monogramm Christi mit den drei Nägeln darunter.
Ob das Medaillon von Peter Flötner herrührt oder von fremder Hand nach seinem Steinrelief
copirt wurde, muss, namentlich bei dem Zustande unseres Exemplars, dahingestellt bleiben. Die
Mittheilung Neudörfer's, Flötner habe allerhand Historien in Stein geschnitten für die Goldschmiede
■ A. a. 0., S. 99.
2 Geschichte des deutschen Kupferstiches und Holzschnittes, S. 216.
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Die Bronze der Sammlung Wasset in Paris (Molinier Nr. 654 beschreibt sie sehr ungenügend),
welche, wie ich nach dem mir vom Besitzer freundlichst zugesandten Abdrucke beurtheilen kann, in
Allem mit dem Steinrelief übereinstimmt, ist als ein Abguss nach unserem Steinmodell zu betrachten.
3. Justitia (Fig. 5), ähnlich gekleidet, sitzt ebenfalls auf einer Mauer und hält mit der Rechten
eine "Wage empor, während die Linke ein nach aufwärts gerichtetes Schwert vor die Brust hinhält.
Im Hintergrunde bergige Landschaft mit einem Haus in der Tiefe, der Himmel mit Wolken belebt; im
Vordergrunde rechts eine Mauer.
Das Material, aus welchem beide Reliefs gearbeitet sind, ist ein gelblicher Kehlheimerstein, die
Grösse der Bilder 79 X 67 und 78 x 66 Millimeter, ihre Erhaltung im Ganzen eine vorzügliche; nur
die rechte Hand des einen Knäbchens ist abgestossen und die Justitia über dem rechten Auge be-
schädigt, so dass sie Freiherr von Sacken (Katalog der Ambrasersammlung, II, p. 101) als »mit ver-
bundenen Augen« schildern konnte (eine Binde ist indess nicht wahrnehmbar).
Die beiden Stücke scheinen trotz der bedeutend grösseren Figur der Justitia — sie misst in ihrer
sitzenden Stellung vom Scheitel bis zur Fusssohle 64, dagegen die Charitas nur 56 Millimeter — zu-
sammenzugehören. Sie könnten möglicherweise einem, wie wir sehen werden, von Flötner Öfter und
sehr verschieden behandelten Cyklus angehören, welcher die theologischen und Cardinaltugenden dar-
stellt, oder sie sind, was mir wahrscheinlicher ist, als Gegenstücke — Liebe und Gerechtigkeit — ge-
meint, wurden aber erst, nachdem sie unabhängig von einander entstanden waren, in diese Verbindung
gebracht. Vgl. unten S. 9.
Hinsichtlich ihrer Ausführung bemerkt Freiherr von Sacken, dass sie »im Stile der Dürer-
schen Schule sehr gut geschnitten« seien; ich möchte im Gegentheile sagen, dass sie die volle Eigen-
art eines reifen Meisters zeigen, welcher allerdings Ort und Zeit seiner Thätigkeit deutlich erkennen
lässt. Man wird denn überhaupt, um dies gleich hier zu bemerken, nicht umhin können, dem von
Reimers1 hinsichtlich der Holzschnittwerke Flötner's abgegebenen, von Lützow2 bestätigten Urtheil
beizustimmen, dass gerade Flötner »ein Mann von ganz ungewöhnlicher Selbstständigkeit, nicht in den
Bannkreis Dürer's gezogen wurde«; dass er, »obwohl er selbstverständlich die Werke des Meisters
kannte und studirte«, ebenso diesem wie den Italienern gegenüber seine volle Selbstständigkeit be-
wahrt habe.
c) Reliefs in Bronze.
4. Charitas, kleines Medaillon (Fig. 6). Erst im verflossenen Jahre ist
der Münzsammlung des Allerhöchsten Kaiserhauses als Geschenk des Herrn
Hofrathes i. P. Karl von Latour eine kleine Bronze zugewachsen, welche sich
als Copie des Flötner'schen Steinreliefs CHARITATIS erweist.
Das Stück, 38 Millimeter im Durchmesser, zeigt, von einem schmalen
Lorbeerkranze umrahmt, dieselbe Darstellung der Charitas mit zwei Putten;
nur die Architektur ist, dem verschiedenen Formate entsprechend, einiger-
massen geändert, die Gruppe mehr in die Breite gezogen und der Faltenwurf
ziemlich frei behandelt. Eine fremde grobe Hand hat das Mauerwerk der Ar- Fig. 6.
chitektur des Mittelgrundes verdeutlichen wollen und die Luft durch Punzen-
schläge markirt. Im Uebrigen ist das Medaillon ein unciselirter Guss, welcher, ohne Zweifel in jüngerer
Zeit, versilbert wurde. Die Rückseite ist glatt und vom Gebrauche — das Stück ist oben gelocht und
wurde vermuthlich als Anhängsel getragen — wie polirt; sie trägt, roh und flüchtig eingravirt, das
Monogramm Christi mit den drei Nägeln darunter.
Ob das Medaillon von Peter Flötner herrührt oder von fremder Hand nach seinem Steinrelief
copirt wurde, muss, namentlich bei dem Zustande unseres Exemplars, dahingestellt bleiben. Die
Mittheilung Neudörfer's, Flötner habe allerhand Historien in Stein geschnitten für die Goldschmiede
■ A. a. 0., S. 99.
2 Geschichte des deutschen Kupferstiches und Holzschnittes, S. 216.