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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 16.1895

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Schlosser, Julius von: Ein veronesisches Bilderbuch und die höfische Kunst des XIV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.5778#0204
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i78

Julius von Schlosser.

Fresken ausgeschmückt. In der Sala degli Spagnuoli sieht man auf der einen Seite die uns bereits wohl-
bekannte Darstellung der Fontaine de jouvenance, auf der anderen eine Reihe lebensgrosser Gestalten,
die einem Rittergedichte des Herzogs Tommaso III., Marchese von Saluzzo: »Le chevalier errant«
entnommen sind.' Das Schloss gehörte ehemals den Markgrafen von Saluzzo. Die Burg Issogne
bei Ivrea, erst gegen Ende des XV. Jahrhunderts erbaut, enthält Fresken, die verschiedene Künste und
Gewerbe, Scenen aus dem intimen Leben der Schlösser, Turniere etc. darstellen sollen.2 Auch Castell
Verzuolo bei Saluzzo zeigt noch (sorgfältig restaurirte) Fresken;3 in der alten vernachlässigten Burg-
schenke von Lagnasco bei Cuneo sieht man tanzende Paare im Zeitcostüme.4

Wie lange sich die alten Compositionen hielten, beweist das Inventar der Schlösser in Chatn-
bery und in Turin nach dem Tode Herzogs Philipp II. von Savoyen 1498.5 Obwohl gewiss manche
der hier aufgezählten Teppiche noch ins XIV. Jahrhundert zurückgehen mögen, so ist angesichts der
schnellen Abnützung doch bei der Mehrzahl eine Entstehung im Quattrocento anzunehmen. Die
antiken Stoffe, die Geschichte des Theseus, des Meleager, des Alexander und des Königs Darius, die
Zerstörung Trojas können ebensogut dem Mittelalter wie der Renaissance angehören; ganz mittel-
alterlich sind aber die Scenen aus den Romanen und Chansons de geste von Chlodwig, Karl dem
Grossen, von Parzival, von den Kindern Regnault's de Montauban. Auch die Geschichte des Bertrand
du Guesclin finden wir noch, desgleichen die Gerechtigkeit des Trajan, die vielbehandelte Geschichte
der Makkabäer, die neun Preux, die Jagd des Einhorns, den Kampf der Tugenden und Laster, höfische
Scenen der Jagd und des Schachspiels.
Mailand. Viel reicher und glänzender ist das Bild des Hofes in Mailand, wohl des hervorragendsten jener

Zeit in Oberitalien, dessen politische Stellung auch eine ganz andere war. Das Haus der Visconti, das
durch die Gunst König Wenzels seit i3g5 den Herzogstitel führte, ist schon durch verwandtschaftliche
Beziehungen mit Frankreich in enger Verbindung. Gian Galeazzo ist verheiratet mit Isabella von
Valois, der Schwester Karl V.; deren Tochter Valentine ist bekanntlich die Stammmutter des Hauses
Orleans, wie denn Mailand überhaupt ein wahrer Heiratsmarkt für die Prinzen Europas war: man
denke an Barnabö Visconti und seine zehn Töchter.

Das prunkvolle Leben dieses Hofes, dessen Glanz die düsteren Schatten seiner blutbefleckten Ge-
schichte nur noch mehr steigern, spielte sich vornehmlich in den beiden Residenzschlössern von Mailand
und Pavia ab. Beide stehen noch aufrecht, einst echte Typen der italienischen Stadtburg, wie sie uns
das Castell von Ferrara noch mit ungebrochener Kraft vor Augen stellt, heute vielfach verändert und
entstellt. Jetzt hat man endlich die Restaurirung des Castells von Mailand in Angriff genommen.0

Ueber das alte, von Azzo Visconti i33g angelegte Schloss sind wir durch die ausführliche Be-
schreibung eines gleichzeitigen Geschichtsschreibers, des Gualvaneo della Fiamma leidlich gut unter-
richtet (Docum. K). In einem Saale befand sich die Darstellung des Ruhmes, die wir schon als
Bonne Renommee auf den französischen Teppichen fanden,7 ein Sujet, auf das noch zurückzukommen
sein wird. Im Gefolge der »Gloria« zeigten sich berühmte Helden und Herrscher des Alterthums:
Aeneas, Attila, Hector, Hercules u. A., dann Karl der Grosse, der ja in die Reihe der Preux gehört,
endlich Azzo selbst und, wie es scheint, Cangrande della Scala sowie Orpheus und Virgil.8 Im Hofe,
der durch zwei Fontänen belebt war, sah man Gemälde des »Punicum bellum«. Käme uns nicht der
versificirte Anhang Gualvaneo's zu Hilfe, so würden wir kaum errathen, dass mit diesem Ausdrucke die
Geschichte der Dido und des Aeneas, ihrer Sentimentalität wegen ein auf wirklichen wie in fingirten
Gemälden der Dichter sehr beliebter Stoff, gemeint ist.

> Biscarra, Studio preparatorio, p. 276.

2 Biscarra, a. a. O., p. 264.

3 Ebenda, p. 276.

4 Ebenda, p. 277.

5 Ed. Vayra in Miscellanea di storia Italiana, vol. XXII, p. 9 ff. (Docum. J).

» Beltrami, II castello di Milano durante il dominio dei Visconti e degli Sforza, Milano 1894.

7 Vgl. auch die Schilderung Chaucer's in seinem oben erwähnten Gedichte: House of fame.

8 Vgl. die leider sehr dunklen Verse, die Fiamma seiner Beschreibung angehängt hat.
 
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