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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 16.1895

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Abhandlungen
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Schlosser, Julius von: Ein veronesisches Bilderbuch und die höfische Kunst des XIV. Jahrhunderts
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https://doi.org/10.11588/diglit.5778#0229
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Julius von Schlosser.

grandiose Kunstweise inauguriren. Sie verlassen die einfache Composition Giotto's; statt die Wand
in Rahmenbilder zu theilen, bedecken sie diese ihrer ganzen Ausdehnung nach mit gewaltigen tiguren-
reichen Fresken, darin der stets selbstständigen Schule von Siena folgend. Ueber ihnen schwebt
der Geist Dante's; sie malen die Welt der Divina Commedia und jene grossen scholastischen Alle-
gorien des Campo Santo in Pisa und von S. Maria Novella in Florenz, deren Gegenstücke die poli-
tischen Allegorien der Sienesen sind. Diese in idealer Höhe dahinschreitende Kunst erfordert auch
ideale Typen und wie die Literatur in Dante, so hat die bildende Kunst des Mittelalters hier, sowie
in den gothischen Kathedralen Frankreichs, wirklich ihren höchsten krönenden Gipfel erreicht. Noch

Fig. 17. Vom Altar der Massegne in S. Francesco zu Bologna.
(N'ach einer Photographie von Alinari.)

auffalliger ist das Typenwesen bei den unmittelbaren Nachfolgern, Schülern und Enkelschülern Giotto's,
bei den beiden Gaddi, Taddeo und Agnolo, sowie bei den Spinelli. Diese sind fast schon an den Propor-
tionen ihrer Figuren zu erkennen. Sie haben sich einen willkürlichen Canon des menschlichen Körpers
zurechtgemacht und es ist interessant, das Strecken und Dehnen ihrer Figuren aus den untersetzten
Bauernstaturen Giotto's heraus zu beobachten, das bei Parri Spinello bereits einen unnatürlichen Grad
erreicht und an die Carricatur streift, ebenso wie die Gesichtstypen des Taddeo Gaddi.

Ganz anders verhält sich die Kunst Norditaliens. Dort, in Toscana, eine gelehrte ideenreiche
und ideale Kunst, in die Welt Dante's und der scholastischen Bildung eingesponnen; hier eine naive
Kunst, die an der Erde haftet, an der liebevollen Betrachtung des Wirklichen ihre Freude findet. Ob-
wohl Dante seine letzten Lebensjahre in Oberitalien verbracht hat, ist der Einfluss seines Geistes hier
wenig zu spüren. Es ist der Gegensatz zwischen den beiden Hauptstädten, der Heimat des grossen
 
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