Raffaels Werkstätte.
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sind vor Allem die kräftige Markirung der Augen, der lange Bogenzug der Brauen und die starke
Betonung der Oberlippe, die sich unter der Nasenscheidewand tief einsenkt und an ihren scharfen Rän-
dern hell beleuchtet ist, während in ihre Mitte spitz der Schatten der Nase einfällt. Die Hände sind
stets derb und knochig, laufen aber in feine spitze Finger aus, wie es am besten die ausgestreckte Rechte
der mit ihren zwei Kindern heranschreitenden Frau zeigt. Wer dazu einen Blick in den grossen Saal
auf die Figuren der Anrede Constantins werfen und z. B. den Edelknaben, der das Schwert Constan-
tins hält, mit dem »Ascanius«, das Antlitz des Jünglings, der sich von der Mauer herablässt, mit den
einzelnen Gesichtern der dort um den Kaiser sich drängenden Krieger, die wehenden Gewandstücke
der Mädchen mit denen der Soldaten und die Bewegungen der einzelnen Figuren untereinander
vergleichen will, wird sich Giulio Romano's Stil schnell klar zu machen verstehen. Es bedarf
dazu nicht einmal der Heranziehung seiner späteren Bilder im Palazzo del Te zu Mantua, wie des
von Mars verfolgten Adonis aus der Sala di Psiche oder der Siegerin im
Bilde »des Laufes« aus der Sala delle madaglie, zum Vergleiche z. B. mit
dem Mädchen, das den Männern auf der Mauer die Gefässe mit Wasser
reicht.
So oberflächlich diese Einsicht in Giulio's Stil ist, sie wird doch hin-
reichen, um zu bemerken, dass nicht das ganze Bild des »Burgbrandes« von
ihm herrühren kann sondern dass ein bedeutender Unterschied zwischen
dem Vorder- und dem Hintergrunde besteht. Crowe und Gavalcaselle ist das
nicht entgangen. Während sie jedoch am Hintergrunde Raffael in »hervor-
ragender Weise« betheiligt wissen wollen, auf den allein »das sanfte und
harmonische Colorit und die feine Abwägung von Licht und Schatten«
zurückgeführt werden konnten, welche »die schlichte Grösse der Bewegungen
und den antiken Wurf der Gewandung noch mehr hervortreten lassen«,1
wird uns ein Vergleich von gewissen Figuren und Gruppen mit ähnlichen
aus den Loggienbildern, z. B. der Gruppe des knieenden Volkes (Fig. 2)
mit der gleichen auf der »Anbetung des goldenen Kalbes« (Fig. 3) und auf
dem Fresco »Moses zeigt dem Volke die Gesetzestafeln«, sowie die Neben-
einanderstellung des herabsteigenden Mannes und des Jakob auf dem Bilde der »Werbung um Rachel«
(Fig. 4) den Beweis erbringen, dass diese Theile des »Burgbrandes« von Penni ausgeführt sind.
Dass ihm daran nur ein so bescheidener Theil zufiel, ist aber noch nicht etwa in der Weise zu
verstehen, dass er von Giulio Romano bereits überholt gewesen wäre, es hängt dies vielmehr wieder
mit der ganzen Geschichte von Raffaels Arbeiten zusammen.
Unmittelbar mit dem Beginne der Stanza dell'Incendio muss nämlich der Auftrag Leo X. für die
Teppiche der sixtinischen Capelle zusammengefallen sein, der eine neue schwere Last auf die Schultern
unseres grossen Meisters lud und ihn zwang, wie es scheint, seine Hilfskräfte zu theilen. Während er
nun Giulio als den Schwächeren an den im Carton und in grösseren Studien genügend durchgebildeten
Fresken der Stanze thätig sein liess, die durch die neuen Unternehmungen ohnehin mehr in den Hinter-
grund gedrängt waren, bestellte er Penni bei der schon mehr Selbstständigkeit voraussetzenden, weil
minder gut vorbereiteten Arbeit der Teppichcartons. Giulio half sich bei seiner Aufgabe mit dem vor-
handenen Materiale, so gut er konnte. Da sich dieses aber nach der ganzen Art, wie Raffael die Vor-
bereitungen für seine Werke zu treffen pflegte, kaum derart auf das Einzelne erstreckt haben wird, dass
auch die weniger bedeutenden Nebentheile, die Figuren und Gruppen des Hintergrundes, bereits genau
festgestellt waren, so scheint der Fattore zu gelegener Zeit die Weisung bekommen zu haben, bei dieser
Lücke einzuspringen und das Fehlende nach eigener Erfindung in des Meisters Sinne zu vollenden, wie
er es später desgleichen bei der »Ostiaschlacht« thun musste, wo mir der Kampf auf und bei den
Schiffen ebenfalls seine Hand zu erkennen gibt. Er war es auch, der bei der Gelegenheit die Köpfe der
Fig. 4. Jakob aus dem Fresco
seiner Werbung um Rachel
in den Loggien.
1 Raffael II, p. 208.
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sind vor Allem die kräftige Markirung der Augen, der lange Bogenzug der Brauen und die starke
Betonung der Oberlippe, die sich unter der Nasenscheidewand tief einsenkt und an ihren scharfen Rän-
dern hell beleuchtet ist, während in ihre Mitte spitz der Schatten der Nase einfällt. Die Hände sind
stets derb und knochig, laufen aber in feine spitze Finger aus, wie es am besten die ausgestreckte Rechte
der mit ihren zwei Kindern heranschreitenden Frau zeigt. Wer dazu einen Blick in den grossen Saal
auf die Figuren der Anrede Constantins werfen und z. B. den Edelknaben, der das Schwert Constan-
tins hält, mit dem »Ascanius«, das Antlitz des Jünglings, der sich von der Mauer herablässt, mit den
einzelnen Gesichtern der dort um den Kaiser sich drängenden Krieger, die wehenden Gewandstücke
der Mädchen mit denen der Soldaten und die Bewegungen der einzelnen Figuren untereinander
vergleichen will, wird sich Giulio Romano's Stil schnell klar zu machen verstehen. Es bedarf
dazu nicht einmal der Heranziehung seiner späteren Bilder im Palazzo del Te zu Mantua, wie des
von Mars verfolgten Adonis aus der Sala di Psiche oder der Siegerin im
Bilde »des Laufes« aus der Sala delle madaglie, zum Vergleiche z. B. mit
dem Mädchen, das den Männern auf der Mauer die Gefässe mit Wasser
reicht.
So oberflächlich diese Einsicht in Giulio's Stil ist, sie wird doch hin-
reichen, um zu bemerken, dass nicht das ganze Bild des »Burgbrandes« von
ihm herrühren kann sondern dass ein bedeutender Unterschied zwischen
dem Vorder- und dem Hintergrunde besteht. Crowe und Gavalcaselle ist das
nicht entgangen. Während sie jedoch am Hintergrunde Raffael in »hervor-
ragender Weise« betheiligt wissen wollen, auf den allein »das sanfte und
harmonische Colorit und die feine Abwägung von Licht und Schatten«
zurückgeführt werden konnten, welche »die schlichte Grösse der Bewegungen
und den antiken Wurf der Gewandung noch mehr hervortreten lassen«,1
wird uns ein Vergleich von gewissen Figuren und Gruppen mit ähnlichen
aus den Loggienbildern, z. B. der Gruppe des knieenden Volkes (Fig. 2)
mit der gleichen auf der »Anbetung des goldenen Kalbes« (Fig. 3) und auf
dem Fresco »Moses zeigt dem Volke die Gesetzestafeln«, sowie die Neben-
einanderstellung des herabsteigenden Mannes und des Jakob auf dem Bilde der »Werbung um Rachel«
(Fig. 4) den Beweis erbringen, dass diese Theile des »Burgbrandes« von Penni ausgeführt sind.
Dass ihm daran nur ein so bescheidener Theil zufiel, ist aber noch nicht etwa in der Weise zu
verstehen, dass er von Giulio Romano bereits überholt gewesen wäre, es hängt dies vielmehr wieder
mit der ganzen Geschichte von Raffaels Arbeiten zusammen.
Unmittelbar mit dem Beginne der Stanza dell'Incendio muss nämlich der Auftrag Leo X. für die
Teppiche der sixtinischen Capelle zusammengefallen sein, der eine neue schwere Last auf die Schultern
unseres grossen Meisters lud und ihn zwang, wie es scheint, seine Hilfskräfte zu theilen. Während er
nun Giulio als den Schwächeren an den im Carton und in grösseren Studien genügend durchgebildeten
Fresken der Stanze thätig sein liess, die durch die neuen Unternehmungen ohnehin mehr in den Hinter-
grund gedrängt waren, bestellte er Penni bei der schon mehr Selbstständigkeit voraussetzenden, weil
minder gut vorbereiteten Arbeit der Teppichcartons. Giulio half sich bei seiner Aufgabe mit dem vor-
handenen Materiale, so gut er konnte. Da sich dieses aber nach der ganzen Art, wie Raffael die Vor-
bereitungen für seine Werke zu treffen pflegte, kaum derart auf das Einzelne erstreckt haben wird, dass
auch die weniger bedeutenden Nebentheile, die Figuren und Gruppen des Hintergrundes, bereits genau
festgestellt waren, so scheint der Fattore zu gelegener Zeit die Weisung bekommen zu haben, bei dieser
Lücke einzuspringen und das Fehlende nach eigener Erfindung in des Meisters Sinne zu vollenden, wie
er es später desgleichen bei der »Ostiaschlacht« thun musste, wo mir der Kampf auf und bei den
Schiffen ebenfalls seine Hand zu erkennen gibt. Er war es auch, der bei der Gelegenheit die Köpfe der
Fig. 4. Jakob aus dem Fresco
seiner Werbung um Rachel
in den Loggien.
1 Raffael II, p. 208.
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