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Hermann Dollmayr.
wirklich in den beiden Kuppelbildern schon die Vorzüglichkeit der Detailbildung für Giovanni da
Udine sprechen darf, lehrt ein weiterer Vergleich ihrer betrachteten Theile mit dem, was er erwiesener-
massen an den Pfeilern malte. Es stimmt das so überein, dass wir es als ausgemacht annehmen dürfen,
unser Meister sei in den beiden Kuppelbildern dem Fattore zu Hilfe gekommen. Wie anders sehen
doch die Thiere aus, die dieser allein geschaffen hat: die Rinder auf dem »Opfer Noahs«, die Lämmer
auf den folgenden Fresken sowie die Kameele und Reitthiere auf dem »Auszuge Jakobs«!
Alle Bilder der betrachteten Folge haben ihren eigenthümlichen, ungewöhnlichen Reiz. Es ist
»eine Reihe köstlicher Idyllen«. Die Handlung, auf wenige Figuren beschränkt, spielt, wo es nur
angeht, in einer reichen Landschaft, die zu einem Hauptelemente der Schilderung geworden ist. Und
sie gerade »ist das beste Verbindungsglied zwischen den figürlichen Darstellungen und den orna-
mentalen Malereien; sie löst den Ernst und die strenge Haltung der ersteren, öffnet das Gemüth zu
heiteren, freien Empfindungen und bewahrt die festliche Stimmung, welche der farbenglänzende
Schmuck der Pfeiler und Wände angeregt hat«.1 Doch konnte ein solches Resultat nicht dadurch
Fig. 18. G. d. Udine. Helios.
(Theil eines Deckenfrcscos in der Villa Madama.)
allein zu Stande gekommen sein, dass Jeder blos sein Bestes that; hier musste Jemand absichtlich
darauf bedacht gewesen sein. Der sich das angelegen sein liess, war derselbe, der auch die Decoration
mit feiner Empfindung ersann, Giovanni da Udine, sein Mittel dazu die eben besprochene Land-
schaft. Sie hat man auch immer auf ihn zurückgeführt, ohne gerade eine Verpflichtung zu fühlen, sich
deshalb besonders zu rechtfertigen, da sie von vorneherein mit ihm wesensgleich erschien. Wer aber
dennoch nach Beweisen verlangt, darf nur die Landschaften in den Kuppelbildern des dritten Stock-
werkes betrachten, die Giovanni dreissig und etliche Jahre später gemalt hat. Sie gleichen den unseren
so genau, als wenn sie zu gleicher Zeit mit ihnen entstanden wären. In beiden Serien ist es nicht mit
der blossen Wiedergabe der allgemeinen Erscheinung von Baum und Strauch abgethan; es waltet in
ihnen ein tieferes Verständniss ihrer Formen, der gesetzmässigen Entwicklung von Stamm, Ast und
Zweig, von Laub und Blatt. Man vergleiche vor Allem das Fresco »Jakob mit den Töchtern Labans
am Brunnen«. Damit lässt sich auch die Ueberzeugung gewinnen, dass ich Recht gehabt habe, als ich
Giovanni die Hintergründe auf der »Vertreibung Attilas« und auf den Teppichen absprach. Gemalt
wurden die Landschaften von ihm wahrscheinlich, nachdem Penni das Figürliche vollendet hatte;
1 Springer, Raffael und Michelangelo II, 143 ff.
Hermann Dollmayr.
wirklich in den beiden Kuppelbildern schon die Vorzüglichkeit der Detailbildung für Giovanni da
Udine sprechen darf, lehrt ein weiterer Vergleich ihrer betrachteten Theile mit dem, was er erwiesener-
massen an den Pfeilern malte. Es stimmt das so überein, dass wir es als ausgemacht annehmen dürfen,
unser Meister sei in den beiden Kuppelbildern dem Fattore zu Hilfe gekommen. Wie anders sehen
doch die Thiere aus, die dieser allein geschaffen hat: die Rinder auf dem »Opfer Noahs«, die Lämmer
auf den folgenden Fresken sowie die Kameele und Reitthiere auf dem »Auszuge Jakobs«!
Alle Bilder der betrachteten Folge haben ihren eigenthümlichen, ungewöhnlichen Reiz. Es ist
»eine Reihe köstlicher Idyllen«. Die Handlung, auf wenige Figuren beschränkt, spielt, wo es nur
angeht, in einer reichen Landschaft, die zu einem Hauptelemente der Schilderung geworden ist. Und
sie gerade »ist das beste Verbindungsglied zwischen den figürlichen Darstellungen und den orna-
mentalen Malereien; sie löst den Ernst und die strenge Haltung der ersteren, öffnet das Gemüth zu
heiteren, freien Empfindungen und bewahrt die festliche Stimmung, welche der farbenglänzende
Schmuck der Pfeiler und Wände angeregt hat«.1 Doch konnte ein solches Resultat nicht dadurch
Fig. 18. G. d. Udine. Helios.
(Theil eines Deckenfrcscos in der Villa Madama.)
allein zu Stande gekommen sein, dass Jeder blos sein Bestes that; hier musste Jemand absichtlich
darauf bedacht gewesen sein. Der sich das angelegen sein liess, war derselbe, der auch die Decoration
mit feiner Empfindung ersann, Giovanni da Udine, sein Mittel dazu die eben besprochene Land-
schaft. Sie hat man auch immer auf ihn zurückgeführt, ohne gerade eine Verpflichtung zu fühlen, sich
deshalb besonders zu rechtfertigen, da sie von vorneherein mit ihm wesensgleich erschien. Wer aber
dennoch nach Beweisen verlangt, darf nur die Landschaften in den Kuppelbildern des dritten Stock-
werkes betrachten, die Giovanni dreissig und etliche Jahre später gemalt hat. Sie gleichen den unseren
so genau, als wenn sie zu gleicher Zeit mit ihnen entstanden wären. In beiden Serien ist es nicht mit
der blossen Wiedergabe der allgemeinen Erscheinung von Baum und Strauch abgethan; es waltet in
ihnen ein tieferes Verständniss ihrer Formen, der gesetzmässigen Entwicklung von Stamm, Ast und
Zweig, von Laub und Blatt. Man vergleiche vor Allem das Fresco »Jakob mit den Töchtern Labans
am Brunnen«. Damit lässt sich auch die Ueberzeugung gewinnen, dass ich Recht gehabt habe, als ich
Giovanni die Hintergründe auf der »Vertreibung Attilas« und auf den Teppichen absprach. Gemalt
wurden die Landschaften von ihm wahrscheinlich, nachdem Penni das Figürliche vollendet hatte;
1 Springer, Raffael und Michelangelo II, 143 ff.