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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Abhandlungen
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Hermann, Hermann Julius: Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0173
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Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva. l63

Fig. 4. Wien, Cod. Phil, graec. 2, f. 72: Stück der Randleiste.

2. Aristoteles' nikomachische Ethik.1

(Wien, Hofbibliothek, Phil, graec. 4.)

Die in schöner, sorgfältiger griechischer Cursive geschriebene Handschrift (288 Mm. breit und
43o Mm. hoch) enthält 90 feine Pergamentblätter mit Goldschnitt und wurde unter van Swieten 1754
mit einem einfachen weissen Schweinslederband mit dem goldenen Doppeladler versehen. Der Codex
stammt aus dem Besitze des Hofhistoriographen Johannes Sambucus, der ihn in Italien erworben hat.
Sambucus schenkte die Handschrift dem nachmaligen Kaiser Maximilian II., der damals bereits König
von Böhmen war, wie aus der auf der Versoseite des Schmutzblattes stehenden Widmung hervorgeht:
»Maximiliano regi Bohemiae,2 archiduci Austriae, duci Burgundiae etc., domino suo clementissimo, in-
fimus cliens Joannes Sambucus Pannonius.«

Die Schrift rührt nach Kollars Ansicht von Angelos Konstantinos aus Sternataja bei Otranto her,
dessen Schreiberzeichen (f. 90) (^^j sich auch in den Handschriften Phil, graec. 29, Phil, graec. 3
und Hist. graec. 2 findet. Doch stimmt die Schrift der Ethik im Detail nicht genau mit der in den ge-
nannten Handschriften.

Jedes der zehn Bücher der nikomachischen Ethik ist mit einem prachtvollen Titelbild geziert,
welches den Inhalt des entsprechenden Buches verdeutlicht. Die künstlerische Bedeutung, das gegen-
ständliche Interesse und der Reichthum der Decoration machen die Handschrift zu einem der prunk-
vollsten Exemplare miniirter philosophischer Handschriften, die uns aus der Renaissance erhalten sind.
Ihre Miniaturen bieten zudem eine werthvolle Bereicherung der verhältnissmässig kleinen Zahl philo-
sophisch-allegorischer Bilder der Renaissance, welchen ein gelehrtes Programm zur Grundlage diente;
und dass die Miniaturen der Wiener Handschrift im vollsten Sinne als Programmmalereien zu be-
trachten sind, unterliegt keinem Zweifel; ja der Gelehrte, welcher das Programm entworfen hat, —
und als solchen dürfen wir wohl den Herzog selbst annehmen — bekundet in der Wahl der Allegorien,
der mythologischen und historischen Scenen ausgedehnte Kenntnisse der antiken Literatur, Philo-
sophie, Mythologie und Geschichte.

Die Erklärung der Miniaturen bietet vielfach ausserordentliche Schwierigkeiten. Ein Hauptgrund
dafür besteht darin, dass viele der allegorischen Personificationen für diesen speciellen Zweck erfunden
werden mussten; selbst die Attribute derselben mussten erdacht werden, um den Gegenstand möglichst
einleuchtend zu gestalten. Gewöhnlich sind diese Allegorien nach Humanistenart sehr gekünstelt und

1 Lambeccius, a.a.O., Nr. LIX im VII. Band, p. 159; Nessel, Catalogus Bibl. Caes. Vind., Phil, graec. 4; Waagen,
Die vornehmsten Kunstdenkmäler in Wien II, 104 f.; W. Bradley, A Dictionary of miniaturist, Illuminators, calligraphers
and copyist (London, Bernard Quaritch, 1884) III, 76.

2 Maximilian war am 14. Februar 1548 zum König von Böhmen erwählt worden, wurde aber erst am 20. Septem-
ber 1562 gekrönt.

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