Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

DOI Heft:
Abhandlungen
DOI Artikel:
Hermann, Hermann Julius: Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0187
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Miniaturhandschriften aus der Bibliothek des Herzogs Andrea Matteo III. Acquaviva.

I73

gestalt eine Personification des aragonesischen Königshauses zu erkennen. Ihr entsprechend,
kniet links ein anderes Mädchen in violettem Kleide mit eingebundenem Gesicht; ein funkensprühendes
Stäbchen steckt sie ins Wasser. Was damit angedeutet sein soll, lässt sich mit Sicherheit kaum ent-
scheiden; ich vermuthe jedoch, dass in ihr die Familie »Acquaviva« als Pendant zu der die Ara-
gonesen betreffenden Frauengestalt personificirt sein soll. Sie hält das Stäbchen ins Wasser; mög-
licherweise sollte damit auf den Namen der »Acquaviva« als »Aqua viva« angespielt sein, wie ja auch
Latomio1 in einem Preisgedichte an Andrea Matteo diesen als »fönte di Acqua viva« feiert. Freilich
bleibt durch diese Erklärung das sprühende Stäbchen (vielleicht als Elektron? zu deuten) räthselhaft;
doch scheint mir dasselbe als Emblem der Acquaviva aufzufassen zu sein.

Stilistisch gilt von dieser Miniatur dasselbe wie von den beiden vorstehenden; sie gehört dem-
selben Miniator an. Trotz mancherlei Verzeichnungen und Verstössen gegen die Perspective (ich ver-
weise nur auf den in der Luft hängenden Hügel der Stadt Rom in unserem Bilde) wirkt das Bildchen
vortrefflich durch die peinliche Sorgfalt der Ausführung, das leuchtende Colorit, welches ganz an die
Farben von Edelsteinen mahnt, und die treffliche Composition.

IV. Buch: Das vierte Buch der Ethik beginnt mit einer Besprechung der Freigebigkeit (IXeuOepiiTKj?),
welche das richtige Verhalten irepl 860-17 ^pr)u.atwv y.at Xr/i^iv, die Mitte zwischen Verschwendung (äcrwTi'a) und
Geiz (avEXeoOspia), sei. Der Freigebige muss aber um des Schönen willen geben, und zwar auch in der richtigen
Weise, d. h. den würdigen Personen so viel, als sich gehört. Während der Geizhals unheilbar ist, kann der Ver-
schwender leicht zurTugend bekehrt werden, wenn er einmal Mangel leidet. Auch die Grossherzigkeit ([j.evaXo-
7vp£7:eia) bezieht sich auf das Vermögen. Sie hält die Mitte zwischen Kleinlichkeit ([juxpoirpETreia) und Protzen-
thum (ßavauc(a) und besteht in dem schicklichen Aufwände im Grossen. Wer in seinem Streben nach Ruhm und
Ehre das richtige Mass hält, besitzt, wenn es sich um Grosses handelt, Seelengrösse (iJ.e-(a.\oii,r/J.a), die Mitte
zwischen der Kleinmüthigkeit (|juy.po'b'jyjitx) und Aufgeblasenheit (/auviTYjc,). Dem Aristoteles mag, wie Zeller
vermuthet, bei seinen Ausführungen darüber sein grosser Schüler Alexander vorgeschwebt sein. Auch zwischen
dem übertriebenen Ehrgeiz (q>iXoTiüia) und dem Mangel an Ehrgeiz (äftAcrcpia) müsse man die richtige Mitte
halten. Ferner ist die Sanftmuth (zpac-crjc;) das richtige Verhalten in Bezug auf Zorn (op-p}); sowohl die Zorn-
losigkeit (äopfif/ofa) als auch der Zornmüthige (öpYtWrr);) sind tadelnswerth.

Auch bei den geselligen Tugenden zeigt Aristoteles, wie der Takt, die Aufrichtigkeit, Heiterkeit und
gesellige Bildung stets den Mittelweg zwischen den Extremen einhalten müssen. Ebenso verhält es sich mit der
Schamhaftigkeit (a!3w?) und der Nemesis, welche eigentlich nicht Tugenden genannt werden können, da sie
mehr einem passiven Seelenzustande entsprechen.

d) f. 27: Miniatur zum IV. Buche (Tafel IX).

In ihrer Anlage entspricht die Miniatur zum vierten Buche im Wesentlichen der vorhergehenden,
nur dass hier das Mittelbild in seiner Bedeutung als Versinnbildlichung der Hauptidee des Buches
wieder eintritt. Die ganze Miniatur ist von einem violetten Renaissancerahmen eingefasst, der durch
zwei Horizontalbänder die Randbilder in drei Reihen gliedert, während ein grüner Blattrahmen das
Textblatt mit dem Centraibilde umschliesst. Nur der oberste Streifen ist durch eine Renaissance-
architektur besonders geschmückt. Zu beiden Seiten des Mittelbildes sind nämlich Renaissancepfeiler
angebracht, welche ein Gesims tragen, das von einem Segmentgiebel gekrönt wird. Fruchtguirlanden
mit Edelsteinen und Perlen schwingen sich von der Mitte des Giebels zu zwei Vasen, die auf den
Pilastern stehen, von welchen Perlen und die Wappen des Herzogs an Fäden herabhängen. Der oberste
Streifen enthält keine historische Darstellung sondern gewährt blos einen Ausblick auf eine Hügel-
landschaft.

Ehe wir die übrigen drei Darstellungen der Randminiatur betrachten, wenden wir uns zur
Erklärung des Centralbildes, welches von einem braunen Rahmen mit geschmackvollen goldenen
Renaissanceornamenten umschlossen wird. Auffallender Weise hat hier der Miniator die allegorische
Darstellung mit zwei mythologischen in einem Bilde vereinigt.

In einer offenen loggienartigen Halle sitzt eine Frau in hellviolettem reichgefältelten Kleide und
einem Schleier, der das lang herabwallende Haar umhüllt. Ein weisses Tuch fällt von ihrem Schoosse
auf die Erde, wo eine Menge Goldstücke aufgehäuft sind. Einem jungen Manne in schwarzem Sammt-
mantel und Käppchen reicht sie einige Goldstücke. Zweifellos versinnbildlicht diese allegorische Gestalt

1 Vgl. Bindi, Acquavivi letterati.
 
Annotationen