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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Schlosser, Julius von: Tommaso da Modena und die ältere Malerei in Trevisio
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0273
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246

Julius von Schlosser.

Fig. 3. Auszug zum Turnier. Von der Aussenseite der Loggia de' Cavalieri.
(Nach einer Zeichnung von Carlini.)

Benoit de Sainte-More, in einem 3o.ooo Verse umfassenden Werke besungen,1 das ungemeine Popu-
larität erlangte und im XIII. Jahrhundert in Deutschland von Konrad von Würzburg (f 1287) in seinem
»langen liet von Troje«, in Italien aber von Guido dalle Colonne aus Messina nachgeahmt wurde.

Aus derselben Zeit scheinen auch die Malereien der Aussenseite zu stammen, aus denen der
gleiche ritterliche Geist spricht: Ritter in der charakteristischen Tracht vom Anfange des XIV. Jahr-
hunderts, zum Turnier sprengend, mit weiss und schwarz getheilten Schilden und Schabracken,
voran Herolde mit Trompeten (Fig. 3).

Schon Costüm und Bewaffnung der Figuren weisen deutlich auf die Zeit des Ueberganges vom
XIII. zum XIV. Jahrhundert; es ist wohl anzunehmen, dass diese Gemälde um jene selbe Zeit, als
man der Loggia dei Cavalieri so grosse Sorge zuwandte, um i3i3, entstanden sind.

Kunstgeschichtlich sind diese Fresken nun vom grössten Interesse, abgesehen davon, dass sie uns
eine der ältesten Darstellungen der höfischen Epopöe in Italien vor Augen führen. Nichts an ihnen
zeigt den italo-byzantinischen oder gar giottesken Stil der gleichzeitigen italienischen Kunst, wir
befinden uns hier vollständig auf dem Boden der nordländischen, französisch-deutschen Kunst. Alle
diese Darstellungen könnten ihrem Stil nach ebenso gut in einer Miniaturhandschrift des Liedes von
Troja stehen und eine solche Handschrift hat ohne Zweifel auch dem Wandmaler der Loggia als Vor-
lage gedient, ein weiteres interessantes Beispiel für den schon wiederholt statuirten Zusammenhang
zwischen Buchmalerei und grosser Kunst im Mittelalter.2 Es ist durchaus nicht nothwendig, etwa an
einen nordländischen Künstler zu denken. Das ritterliche Oberitalien dieser Zeit ist durchaus franzö-
sisch in Art und Sitte. Ich brauche nur an die reiche franco-italienische Literatur jener Tage zu er-
innern, die nicht nur in den Formen — ganz wie der alte trevisanische Maler auf seinem Gebiet —
sondern auch in der Sprache der Provence und Nordfrankreichs dichtet, an Erscheinungen wie den
venezianisch - provencalischen Troubadour Bartolommeo Zorzi,3 an die französisch geschriebene
Chronik eines anderen Venezianers dieser Zeit, des Martino da Canale, oder auf der anderen Seite an
den deutsch schreibenden Friauler Thomasin de Zirclaria, den Verfasser des »Wälschen Gastes«. Es
ist dieselbe Zeit, die in Piemont, in der schönen Kirche von Sant'Andrea in Vercelli, die freilich ein
englischer Architekt (um 1224) ausgeführt haben soll, ein Gebäude in den ausgebildeten Formen des
nordländisch romanischen Stiles erstehen sah. Ein ähnlicher Fremdling sind die Malereien der Loggia
von Treviso in Italien; jedenfalls sind sie das merkwürdigste, bisher ganz unbeachtete Zeugniss nord-
ländischen Einflusses auf das höfische Oberitalien, das diesen seinen Charakter, wie ich an anderer
Stelle auszuführen versucht habe,4 nicht einmal in der Periode der nationalen Wiedergeburt, in der
giottesken Kunst, und in der folgenden seiner Selbstständigkeit — in der venetischen Schule des
Altichiero — jemals verleugnet hat.

1 G. Paris, La litterature francaise au moyen-äge, p. 76 f. Die Quelle Benoit's sind die apokryphen Romane des
Dictys und Dares. 2 Vgl. Jahrbuch XVIII, 23. 3 Vgl. Molmenti, a. a. O., S. 125.

4 Vgl. Jahrbuch XVI. (Ein veronesisches Bilderbuch etc.)
 
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