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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Hrsg.]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 19.1898

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Schlosser, Julius von: Tommaso da Modena und die ältere Malerei in Trevisio
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https://doi.org/10.11588/diglit.5780#0310
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274 Julius von Schlosser.

spricht; das Morgenroth des neuen Zeitalters, das in der treuen Wiedergabe des Lebens und der Natur
sein malerisches Ideal erblickte, glimmt auch schon auf ihnen. Auch hier ist jene Freude an der
Wiedergabe ganz porträthaft aufgefasster Köpfe und Figuren, wohl aus der nächsten Umgebung des
Malers, ist jener Griff in das lebendige Weben der Gegenwart selbst zu spüren, der uns die paduani-
schen Fresken mit ihrem individuellen Zuschauerporträt so merkwürdig macht.1 Namentlich zwei
Typen kehren immer wieder, vom Maler mit Vorliebe benützt. Der eine ist der energische, aus-
gearbeitete Kopf eines älteren Mannes, der in vollster Schärfe namentlich in der Figur des lesenden
Vaters der heil. Katharina hervortritt und eine gewisse Familienähnlichkeit — wohl auf das Modell
zurückzuführen — mit den nicht minder lebendigen Köpfen der Gesandten des Königs von England
nicht verleugnen kann. Nicht weniger charakteristisch sind die ausdrucksvollen Köpfe der beiden Prä-
laten hinter Papst Cyriacus auf der Scene des Empfanges der elftausend Jungfrauen, in einen wohl be-
absichtigten Contrast zwischen dem vollen und behäbigen Typus des einen und dem hageren und durch-
geistigten des andern zu einander gestellt. Und wie der König Nothus in seinem Aeussern ein Sohn
jener zu einer gewissen Fülle und Behäbigkeit neigenden venetischen Rasse ist, so hat.sich der Maler
in seinen weiblichen Gestalten nicht minder den charakteristischen Typus der Frauen seines Landes
zum Vorbilde genommen. Sie haben nichts von der zierlichen Magerkeit und Schlankheit der alten wie
der heutigen Toscanerinnen; sie neigen schon in früher Jugend zur Ueppigkeit und Corpulenz; und
so hat der Meister mit der scharfen Beobachtungsgabe seines Stammes — denn dass er ein Einheimi-
scher, ein Veneter ist, unterliegt wohl keinem Zweifel — selbst den jugendlichen Gestalten der Jung-
frauen eine gewisse, von den scharfen eckigen Formen namentlich der letzten Giotteske ganz auffallend
abweichende Fülle verliehen. Es ist fast derselbe Gegensatz, der zwischen der fleischigen, robusten
Körperlichkeit der Niederländer, namentlich des vlämischen Stammes, und den auch im Leben nicht
selten bis zur Hässlichkeit gesteigerten knochigen und mageren Gestalten der Oberdeutschen, beson-
ders der Franken, herrscht. Sind doch auch die Niederländer die Veneter des Nordens, der eigentlich
und fast ausschliesslich malerisch begabte Stamm der Deutschen, während die Franken, ähnlich den
Toscanern, als scharfe und phantasievolle Zeichner ihr Höchstes geleistet haben. Am charakteristi-
schesten ist dieser venetische Typus, den, wie bekannt, die Meister des Cinquecento — man denke an
Tizian und namentlich an Palma vecchio — in seiner ganzen üppigen Schönheit unserer Phantasie ein-
geprägt haben, in einer stets wiederkehrenden, vom Maler mit sichtlicher Vorliebe geschilderten Be-
gleiterin der heil. Ursula vertreten. Noch heute begegnen uns in den Lagunen wie im venetischen
Berglande solch' rundliche hochblonde Köpfchen mit den vollen Wangen und dem eigenwillig auf-
geworfenen Stumpfnäschen. In dem veronesischen Hausbuche der Cerruti, das ich im XVI. Bande
dieses Jahrbuches publicirt habe, ist dieser Typus ebenso charakteristisch vertreten. In edlerer Bildung,
sehr an die herrliche Gestalt der heil. Lucia in den Fresken Altichieros von S. Giorgio erinnernd, tritt
er uns in der schönen und würdigen Frauengestalt der Mutter der heil. Ursula entgegen. Wie an-
muthig der Meister die noch fast knabenhafte Jünglingsgestalt zu behandeln weiss, davon gibt der
jugendliche Falkner des zweiten Frescos ein hübsches Beispiel.

Auch das Colorit dieser Fresken hat den nationalen Charakter der altveronesischen Schule, in
der sich, wieder im scharfen Gegensatze zu dem zweiten grossen Kunstvolke Italiens, den Toscanern,
die ganze eminent malerische Veranlagung der venetischen Rasse schon in dieser frühen Periode zeigt.
Sie haben, obgleich furchtbar misshandelt und zerstört, im Ganzen dieselbe rosige und helle aber doch
tiefe und farbensatte Wirkung wie die Werke des Altichiero. Ihre ganze Schönheit — und es ist dies
bezeichnend für ihre malerische Haltung — enthüllt sich erst in den Originalen selbst; auch die beste
Photographie vermag nur ein schwaches, eigentlich völlig ungenügendes Abbild zu geben; denn ganz
anders als bei den giottesken Wandgemälden, die doch coloristisch (vielleicht nur von Siena abge-
sehen) über den Eindruck trefflich ausgeführter Miniaturen nicht hinwegkommen, ist die Farbe bei ihnen
ein wesentliches, ein Lebenselement. Ich habe dies selbst bei meinem wiederholten Aufenthalte in

1 Siehe Jahrbuch XVI, S. 195 ff. (mit Details aus den paduanischen Fresken).
 
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