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Kunsthistorische Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses <Wien> [Editor]
Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen des Allerhöchsten Kaiserhauses (ab 1919 Jahrbuch der Kunsthistorischen Sammlungen in Wien) — 22.1901

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I. Theil: Abhandlungen
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Dvořák, Max: Die Illumination des Johann von Neumarkt
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https://doi.org/10.11588/diglit.5948#0111
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Die Illuminatoren des Johann von Neumarkt.

wurden von führenden Geistern durchbrochen und theils durch eine neue subjective Gefühlsreligion,
theils durch rationelle Erkenntnis ersetzt, was ja im letzten Grunde beides auf eine und dieselbe Quelle
zurückgeht. Einen causalen inneren Zusammenhang zwischen dem neuen Religionsleben und -Glauben
und der parallelen formalen Kunstentwicklung construiren zu wollen oder vollends — wie Thode es
that — in der auffallendsten und populärsten Erscheinung des ersteren »die vorbereitende und trei-
bende Kraft der modernen Cultur« zu suchen, erscheint mir als vollkommen unberechtigt. Es wirkt
in solchen Aufstellungen noch die Religionsüberschätzung der religiösen Zeitalter nach. Denn ent-
steht nicht der Parallelismus der einzelnen historischen Stadien der Religion, Literatur und Kunst vor
Allem aus der gemeinsamen ihnen zu Grunde liegenden allgemeinen Entwicklung der Psyche im wei-
testen Sinne des Wortes, des geistigen Lebens und der menschlichen Erkenntnis, deren Bahnen wesent-
lich durch ein wenigstens in begrenzten Epochen gesetzmässig und objectiv verlaufendes Verhältnis
zu den Realitäten bestimmt werden? Bedarf es heute noch eines Beweises, dass der Stil Giottos ebenso
eng und fest mit der vorangehenden und folgenden Kunst verknüpft ist wie etwa eine neue Erschei-
nung der rein materiellen Cultur mit den älteren und kommenden Formen des wirthschaftlichen
Lebens? Wie in allen Zeiten, bringen neue religiöse Strömungen in gleicher Weise wie ein neuer
literarischer Geschmack in der Kunst unmittelbar nur neue Darstellungsstoffe mit sich.

In dieser Beziehung bedeuten die Bettelorden, wie bekannt, ein bestimmtes Programm, welches
jedoch nicht als eine einseitige Ordenseigenthümlichkeit aufzufassen ist sondern eine tiefe religions-
geschichtliche Bedeutung hat. In den Wandlungen der Darstellung Christi in der christlichen Kunst
treten uns die Wandlungen des Christenthums entgegen. In der ersten Zeit stellte man den Erlöser
als Gesetzgeber und Wunderthäter dar und an die Stelle der Majestas Augusti trat die Majestas Christi:
die Evangelien sind für die antike Welt ein historischer Bericht und eine Sammlung von ethischen
Vorschriften, später die Quellen eines grossen philosophisch-religiösen Systems. Auch für das XIII. Jahr-
hundert sind die Evangelien und noch mehr die Apokryphe und die Legenden ein historischer Bericht,
doch zu anderen Zwecken: das Leben und vor Allem das Leiden Christi als eines Menschensohnes will
man ihnen entnehmen. Die religiöse Phantasie ist unermüdlich bestrebt, den irdischen Schicksalen
des Heilands und seiner Mutter nachzugehen, »das Leben Christi wird neu durchgelebt«, wie einmal
gesagt wurde. Es wird immer und immer wieder der Versuch gemacht, eine neue Vita Christi zu
schreiben, und es entsteht dabei ein so wunderbares Werk wie die sogenannten Meditationes Bonaven-
turae, die als der Roman und das Confiteor eines christlichen Menschen jener Zeit erscheinen. Die
grossen Trecentocyklen aus dem Leben Christi und der Madonna sind die monumentale Versinn-
lichung dessen, was in religiösen Dingen die Gemüther beschäftigte.

Der neue religiöse Idealismus geht dann durch die Welt. Man nahm sich bisher nicht viel Mühe,
zu untersuchen, wie dabei die Wege verlaufen. Man findet jedoch im XIV. Jahrhundert so ziemlich
im ganzen Abendlande dasselbe religiöse Sentiment. Ueberall ist das Leben Christi und seiner Mutter
der Mittelpunkt der kirchlichen Poesie und der religiösen Grübelei. Die Bettelorden spielen bei der
Verbreitung des neuen subjectiv-lyrischen Christenthums eine wichtige Rolle, nicht die einzige. Das
Leben des Franciscus entsprang den allgemeinen religiösen Strömungen seiner Zeit und man fand auch
bald für das, was er persönlich empfunden und erlebt hatte, literarische Formeln und Deductionen, die
ein Gemeingut der neuen theologischen Literatur geworden sind.1 Die grössten Theologen der Bettel-
orden lehrten im Norden und der Einfluss ihrer Ideen erstreckt sich auf eine kaum übersehbare litera-
rische Production. Die bahnbrechenden theologischen und wissenschaftlichen Compendien des Alexan-

i Es ist unlängst ein Buch über den Einfluss der deutschen Mystik auf die Kunst von Pelzel erschienen. Der Haupt-
fehler der Arbeit besteht darin, dass sie fast ausschliesslich vom deutschen Material ausgeht und die Mystik als eine volks-
thümliche und specifisch deutsche religiöse Richtung und zugleich als den »höchsten Ausdruck der Cultur, die das Germanen-
thum im Mittelalter sich gebildet hat«, auffasst. Das Buch ist ausserdem vielfach eine Sammlung von Guriositäten. Es wäre
eine ungemein dankbare Aufgabe, den mystischen Strömungen des späten Mittelalters nachzugehen und ihren Einfluss auf
Kunst und Literatur zu untersuchen. Sie sind in der Zeit ihrer Entstehung weder volksthümlich noch irgendwie national
beschränkt sondern die reifste Frucht der vorangehenden religiösen Entwicklung des Abendlandes.
 
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